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Popkultur

Zeitsprung: Am 18.2.1974 legen Kiss ihr Debütalbum vor.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 18.2.1974.

von Christof Leim

Am 18. Februar 1974 legt eine neue Band aus New York ihr erstes Album vor. Anfangs zeigt die Welt nur verhaltenes Interessen, aber irgendwas ist dran an dem Gesamtpaket aus Rock’n’Roll, Make-up und möglichst großer Show. Dies ist die Geschichte von Kiss, dem Debüt unserer liebsten Schminkemonster.

Hört hier in Kiss rein:

Eigentlich haben Bassist Gene Simmons und Gitarrist Paul Stanley Anfang der Siebziger bereits einen Plattenvertrag in der Tasche. Doch die beiden hegen Zweifel, dass die Band Wicked Lester es mit ihrem folkigen, verspielten Rocksound bis nach ganz oben schaffen wird. Paul und Gene wollen es härter, und vor allem wollen sie ein Spektakel sein, das den wilden Rock’n’Roll der Zeit mit einer unübersehbaren Bühnenpräsenz verknüpft. “Die erste Band, die mich umgehauen hat, waren die Beatles”, erzählt Gene später dem Melody Maker. “Vorher war niemandem bewusst, welche visuelle Präsenz eine Gruppe haben konnte. Alle vier hatten den gleichen Haarschnitt und die gleiche Kleidung. Wenn man einem von ihnen auf der Straße begegnet ist, wusste man, dass er er zu einer Band gehört. Dieses Konzept hat mich begeistert, insbesondere die Tatsache, dass es keinen Frontmann gab und jedes Mitglied ein Viertel des Ganzen darstellte.”

Der frühe Alice Cooper steht für Kiss ebenso Pate wie Simmons’ Liebe zu Comics und Superhelden, dazu die Stones und andere klassische Kapellen der British Invasion sowie bisschen New York Dolls (aber ohne den Punk-Anteil) und – natürlich – eine Menge Beatles, wie es sich gehört. In Peter Criss finden sie den passenden Drummer, in einer legendären Probe stößt Leadgitarrist Ace Frehley hinzu. Am 3. Januar 1973 ist damit das Original-Line-up von Kiss komplett.

Die Vier setzen alles nun daran, um den klassischen Traum von Ruhm, Reichtum und Rock’n’Roll wahr werden zu lassen. In einem heruntergekommen Loft in Manhattan arbeiten sie an den Songs und an ihrem „Act“. Das ikonische Make-up entsteht, die Kostüme aus schwarzem Leder und Glitzerkram und die ersten Showeinlagen wie synchrone Gitarrenheldenposen, Böller und Feuer.

In New York können sie Demos mit dem legendären Hendrix-Produzenten Eddie Kramer aufnehmen, erste Showcases laufen aber nicht so gut – auch weil der Bruder von Peter Criss einem Plattenfirmenboss auf die Schuhe kotzt. Schon bei den frühen Konzerten ziehen Kiss alle Register, selbst wenn noch kaum Leute zuschauen: Schminke, Bühnenvollgas und eine den finanziellen Mittel angemessene Produktion. Statt Pyros stehen dann eben zunächst Kerzenständer auf der Bühne. Aber all das macht Kiss zu einem unübersehbaren Hingucker.

Den visuellen Aspekt versteht insbesondere ihr Manager bestens: Bill Aucoin, der eigentlich aus der Fernsehwelt kommt. Ihre geschäftliche Heimat finden Kiss bei Casablanca Records, dem neuen Label von Neil Bogart, der selbst als Sänger ein paar Erfolge eingestrichen und mit Künstlern wie Curtis Mayfield und den Isley Brothers gearbeitet hat. Von Hard Rock versteht er nach eigenen Aussagen nichts, das Potenzial von Kiss erkennt er jedoch deutlich.

Im Oktober oder November 1973 schließlich wird es ernst: Kiss spielen in den Bell Sound Studios in New York ihr Debüt ein. Als Produzenten fungieren Kenny Kerner und Richie Wise. Wie so oft mit Erstlingswerken können die Musiker ihre Songs im Schlaf spielen, so dass die ganze Angelegenheit nicht mehr als eine oder zwei Wochen dauert, je nachdem, wen man fragt.

Auf der Tracklist stehen heute legendäre Songs wie Strutter, Nothin’ To Lose, Firehouse, Cold Gin, 100.000 Years und Black Diamond. Alle Stücke werden seitdem immer wieder im Konzert gespielt. In einer Liste der von Kiss am häufigsten gespielten Songs, deren Authentizität sich allerdings nicht so recht überprüfen lässt, finden sich – Stand Februar 2019 – Black Diamond und Cold Gin unter den ersten zehn, dicht gefolgt von Deuce, Firehouse und 100.000 Years. Auch Strutter und Nothin’ To Lose schaffen die Top 50.

Für das Jahr 1974 ist das Material schon relativ hartes, wildes Zeug, vor allem in der Lautstärke, in der Kiss das Ganze gerne live servieren. Paul und Ace verzahnen ihre Gitarren geschickt, letzterer spielt sehr einprägsame Rock’n’Roll-Licks, die Abertausende Rocker beeinflussen werden. Was man nicht vergessen sollte: Man hört, dass Gene Simmons auf Paul McCartney steht. Der Bass hämmert selten einfach nur stumpf Achtel durch, sondern verfolgt eigene Linien, die den Songs zusätzlichen Charakter verleihen.



Kiss erscheint am 18. Februar 1974 mit einem Cover, dass die vier Gesichter zeigt und – nicht zufällig – an Meet The Beatles erinnert, die erste US-Veröffentlichung der „Fab Four“. Ihre Gesichter malen unsere Helden wie auch in den folgenden Jahren selber an, nur Peter lässt für das Cover jemand anderes ran – weshalb sein „Catman“-Make-up auch nicht so aussieht wie vorher oder nachher. Gene Simmons’ „Demon“ verändert sich in der Folge noch ein wenig, Paul hat sein heute noch gültiges „Starchild“ gefunden, nachdem er kurz als „Bandit“ mit einer Art aufgemalten Augenmaske experimentiert hatte. „Spaceman“ Ace will besonders gut wirken und färbt sich für das Foto die Haare silber.

Die Songs sind da, das Outfit ist spektakulär, die Show steht, also könnte es mit der Rock’n’Roll-Weltherrschaft losgehen. Tut es aber nicht. Das Album verliert auf Platz 87 der Charts bereits den Schwung, die Single Nothin’ To Lose knackt die Top 100, wird aber auch kein Hit. Nicht nur deswegen erfährt Labelboss Neil Bogart ordentlich Gegenwind von Warner Bros., deren Tochterunternehmen Casablanca Records sind. Band, Management und Plattenfirma müssen sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, das Make-up und alle anderen Gimmicks aufzugeben. Auch verdient für die Entscheider die  Band wegen der ganzen Showeinlagen zu wenig Geld mit Konzerten. Es ist allerdings genau dieses Live-Erlebnis, das der Band stetig mehr und mehr und dann noch mehr Fans beschert.

Bogart steuert kurzfristig dagegen: Er verdonnert seine Schützlinge, ein Cover von Kissin’ Time aufzunehmen, mit dem Bobby Rydell mal einen Hit geschafft hatte. Die Musiker haben darauf keine Lust (und spielen den Song bis heute fast nie live), doch tun, was sie zu tun haben. Kissin’ Time erscheint im April, zwei Monate nach dem Album, als Single, kommt aber über Platz 83 nicht hinaus. Ab Juli 1974 findet sich die Nummer dann auch auf allen neuen Pressungen der Platte.

Im August folgt Strutter als dritte Auskopplung, doch noch haben Kiss die Welt nicht in Aufregung versetzt. Die Band tourt wie blöde, sprengt jeden Abend so gut es geht die Bühne in die Luft und spuckt Feuer. Mehr als einmal brennen dabei Genes Haare. Schon im Oktober 1974 legen sie ihr Zweitwerk Hotter Than Hell nach, das ebenfalls nicht den erhofften Durchbruch bringt, genauso wenig wie Dressed To Kill (1975). Erst der Konzertmitschnitt Alive! (ebenfalls 1975) und der Song Rock And Roll All Nite macht die vier Musiker zu Superstars. Exakt drei Jahre nach Veröffentlichung des Debüts, am 18. Februar 1977, spielen Kiss zum ersten Mal im legendären Madison Square Garden ihrer Heimatstadt New York City. Aber das ist eine andere Geschichte.

Als Kiss 2019 nach mehr als vier Dekaden im Geschäft ihre Abschiedstour The End Of The Road starten, stehen oft sage und schreibe vier Stücke des Debüts auf den ersten Setlisten. Spätestens das unterstreicht: 1974 erblickte ein Klassiker das Licht der Welt. Es hat anfangs nur nicht jeder mitbekommen…

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