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Popkultur

Zeitsprung: Ab 6.4.1968 gehört Syd Barrett offiziell nicht mehr zu Pink Floyd.

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Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 6.4.1968.

von Christof Leim

Am Anfang war Syd Barrett die treibende Kraft hinter Pink Floyd, als Gitarrist, Sänger, genialer Songschreiber und spiritueller Anführer. Von den elf Songs auf dem Debüt The Piper At The Gates Of Dawn stammen acht von ihm, an zwei weiteren schreibt er mit. Die Platte erscheint am 4. August 1967, ein halbes Jahr später gehört er nicht mehr zur Band. Denn Barrett verschwindet in seinem eigenen Universum, aus der Welt geworfen durch viel zu viel LSD und eine instabile Psyche.

Hier könnt ihr in The Piper At The Gates Of Dawn reinhören:

1967 gibt es viel zu tun bei Pink Floyd. Das erste Album steht in den Läden, die Reaktionen fallen bestens aus, Konzerte sollen gespielt werden. Doch Roger Keith „Syd“ Barrett legt ein zusehends verstörendes Verhalten an den Tag: Der früher gut gelaunte und witzige junge Mann mit dem natürlichen Rockstar-Look verwandelt sich allmählich in einen deprimierten Eremiten, der wirres Zeug redet oder einfach ins Leere starrt. Der 21-Jährige leidet unter Halluzinationen, gestörter Sprache, Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen.

Das kann nicht gut gehen

Im Juni 1967 dann bleibt er für ein ganzes Wochenende verschollen. Als seine Kollegen ihn finden, haben sie ihn trotzdem verloren. Der Syd Barrett, den sie kannten, ist „verschwunden“, wie Keyboarder Rick Wright es ausdrückt. Für mehrere Monate hatte der Frontmann schon üppige Mengen an Acid und anderen bewusstseinserweiternden Drogen genommen. Man darf davon ausgehen, dass es an jenem Wochenende zu einem Trip keine Rückfahrkarte mehr gab. Ebenso gilt als wahrscheinlich, dass Syd Barrett an Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung litt. In Kombination mit LSD & Co. kann das nicht gut gehen.

Ein Bild aus fröhlicheren Zeiten: Syd Barrett lachend mit Pink Floyd

Als Mitglied, ja sogar Anführer einer Band funktioniert das natürlich kein Stück: Bei einer Show in San Francisco verstimmt er während Interstellar Overdrive ganz langsam seine Gitarre, bei anderen Gigs spielt er durchgehend nur einen Akkord oder steht einfach bewegungslos da. Seine Antworten in Interviews wirken einsilbig und wirr, wenn er überhaupt etwas sagt. Oft weiß er nicht, wo er sich befindet, manchmal verfällt er sogar in eine katatonische Starre.

Ein Schulfreund muss helfen

Es gibt noch helle Momente, unter Fans wird etwa das Konzert in Stockholm im September 1967 geschätzt, aber bei einer Tour im November 1967 zusammen mit Jimi Hendrix spielt David O’List von The Nice die Gitarre – zur Sicherheit. Kurz darauf heuern Pink Floyd David Gilmour an, einen Schulfreund von Barrett. Er soll als zusätzlicher Gitarrist die Konzerte zusammenhalten. Fünf Mal tritt die Band als Quintett auf, manchmal umkreist Syd dabei den Neuen lauernd oder stellt sich nur wenige Zentimeter vor ihn. Es wird klar, dass es so nicht weiter gehen kann.

Am 26. Januar 1968 befinden sich die Musiker auf dem Weg zu einer Show in der Universität von Southampton – und verzichten darauf, Barrett einzusammeln. Im Van fällt damals die Frage:„Sollen wir Syd abholen?“ Die Antwort: „Das können wir sein lassen.“ Fertig. Syd Barrett ist damals 22 Jahre alt. Einfach dürfte das den Pink-Floyd-Mitgliedern nicht fallen, aber allem Anschein nach haben sie schlicht keine Wahl. Drummer Nick Mason gibt später im Rolling Stone zu Protokoll: „Ich kann mich noch genau an das Gefühl der Erleichterung erinnern. Er war der Hauptsongwriter, der Frontmann, aber interessanterweise schienen wir uns ohne ihn besser gefühlt zu haben. Wenn ich zurückdenke, frage ich mich, wie das funktionieren konnte. Aber so war es.“

Streich eines verrückten Genies

Anfangs soll Syd Barrett weiter zur Band gehören, Musik schreiben und aufnehmen, nur eben nicht mehr auf Tour gehen. So hatten es die Beach Boys mit Brian Wilson gehandhabt. Aber das funktioniert nicht. Zu seiner letzten Probe mit Pink Floyd bringt der Gitarrist den neuen Song Have You Got It Yet? mit, auf deutsch: „Hast du es jetzt verstanden?“ Zunächst wirkt die Nummer recht simpel, trotzdem bekommen die Musiker es einfach nicht hin – bis sie feststellen, dass Barrett bei jedem Durchgang klammheimlich das Arrangement ändert und dazu „Have you got it yet?“ singt. Bassist Roger Water nennt das treffend einen „Streich eines verrückten Genies“.

Das verrückte Genie: Syd Barrett (2.v.l.) mit Pink Floyd

Am 29. Juni 1968 erscheint das Zweitwerk A Saucerful of Secrets, nur ein einziger Barrett-Song findet sich darauf (Jugband Blues). Er spielt Gitarre bei Remember A Day und Set The Controls For The Heart Of The Sun, ansonsten erledigen die Kollegen die Arbeit. Angeblich wartet Syd mehrmals im Empfangsbereich des Studios darauf, von ihnen hereingebeten zu werden. Doch das bringt nichts mehr.

Nur: Er weiß nichts davon

Allerdings haben Waters, Wright, Mason und Gilmour es bisher nicht über das Herz gebracht, ihrem alten Freund ihre Entscheidung mitzuteilen. Das führt insbesondere für Keyboarder Wright zu unschönen Situationen, denn zu dem Zeitpunkt teilt er sich eine Wohnung mit Barrett. Manchmal muss er behaupten, nur eben Zigaretten zu holen, wenn er zu einem Gig fährt. Nicht selten findet er danach seinen Mitbewohner in gleicher Position vor, unbewegt und ausdruckslos. Bei ein paar Gigs taucht Syd sogar auf, starrt aber nur David Gilmour an. Am 6. April 1968 schließlich verkündet die Band offiziell, dass Syd Barrett nicht mehr zu Pink Floyd gehört.

 

Von dem schillernden Künstler, der die Band gestartet hatte, ist da nicht mehr viel übrig. Eine Schande, dass womöglich einfach ein schlechter Trip (oder eher: mehrere Dutzend) eine weitere Karriere verhindert haben. Dabei hatte der Mann noch viel vor. Ein Freund, der Poet Spike Hawkins, berichtete einmal von einem Ausspruch Barretts über die frühen Floyd-Aufnahmen: „Ich will viel tiefer gehen“, habe der Gitarrist gesagt. „Ich will Musik und Texte als Schlüssel verwenden, um Türen zu öffnen.“ Auf den Hinweis, er habe bereits Türen für die Band geöffnet, entgegnete der Künstler nur: „Ja, aber mit billigen Schlüsseln.“

Die erste Inkarnation von Pink Floyd: Mason, Barrett, Waters, Wright

Keine Rückkehr mehr

Damit endet die Geschichte von Syd Barrett noch nicht, aber wirklich ins Leben zurückkehren wird er nicht mehr. 1970 veröffentlicht er zwei Soloalben (The Madcap Laughs und Barrett), Konzerte spielt er kaum, weitere Projekte verlaufen im Sande. Seine Kollegen haben noch lange an dem Verlust zu knabbern und schreiben die Songs Wish You Were Here und Shine On You Crazy Diamond. Ausgerechnet bei den Aufnahmen zu letzterem taucht Barrett im Studio auf, übergewichtig und deutlich gezeichnet. Seine Freunde erkennen ihn anfangs nicht einmal. Er lebt zurückgezogen zunächst in London, dann in Cambridge, malt und gärtnert. Als einziger Kontakt zur Außenwelt fungiert seine Schwester Rosemary. Am 7. Juli 2006 stirbt Syd Barrett im Alter von 60 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Auf seinem Totenschein steht als Beruf: „Musiker im Ruhestand“. Traurig.

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