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Popkultur

Zum 65. von Gary Numan: Erst gehasst, dann vergöttert

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Gary Numan
Foto: Michael Putland/Getty Images


Gary Numan gilt als Pionier der elektronischen Musik. Diesen Ruf musste er sich hart erarbeiten: Anfangs sah er sich Hass und Anfeindungen ausgesetzt. Zum 65. Geburtstag des Londoners blicken wir auf eine bemerkenswerte Karriere zurück.

von Björn Springorum

Pioniere haben es nicht leicht. Oft werden sie als Spinner abgetan, als Wichtigtuer, Exzentriker, die um jeden Preis auffallen wollen. Gary Numan kann ein Liedchen davon trällern: Obwohl er gemeinhin als eine der wichtigen Figuren in der Entwicklung der elektronischen Musik angesehen wird, macht ihm die englische Musikpresse das Leben schwer. „Prätentiös“ nennt sie ihn, „pseudointellektuell“ gar. Aber warum eigentlich?

Synthesizer statt Punk

Ursachenforschung: Gary Numan wird am 8. März 1958 als Gary Anthony James Webb im Londoner Bezirk Hammersmith geboren. Mit 15 bekommt er eine Les Paul, spielt nach eigenen Angaben mal erfolglos bei The Jam vor und gründet dann selbst eine Band, die sich bald darauf Tubeway Army nennt. Während der Rest von London in Punk-Bands spielt und so klingen will die die neuen Sex Pistols, geht Webb in eine andere Richtung. Er nennt sich Gary Numan (nach einem deutschen Klempner namens Neumann, dessen Namen er aus den gelben Seiten hat) und konstruiert Musik, die aus Synthesizern und dystopischen Science-Fiction-Sounds besteht. Die Haare trägt er auffällig ins Gesicht, will damit aber keinen Stil begründen; vielmehr soll es seine Akne-Narben kaschieren.

Damals spielt unter anderem noch sein Onkel in der Band, mit Are ‘Friends’ Electric schaffen sie es sogar irgendwie an die Spitze der UK-Charts. Numan, durchaus nicht ganz bescheiden, entscheidet, dass er als Solokünstler besser dran ist und führt das ganze Ding zwar mit derselben Band, aber eben unter seinem eigenen Namen weiter. Das geht anfangs auch gut, mit Cars gelingt ihm der nächste Durchmarsch an die Spitze.

Reinkarnation David Bowies

Danach hat er aber auch schon genug vom schnöden Pop und wird zu dem, was in den Augen vieler Kritiker*innen ein prätentiöser, aufgeblasener Kerl ist. Alles wird kritisiert, an seinem Auftreten wird gemäkelt, an seinen Klamotten, an seiner Stimme. Dass er eine leichte Form von Autismus hat und deswegen in der Öffentlichkeit und in Interviews manchmal ein wenig seltsam wirkt, scheint niemanden zu kümmern.

Eher ist Numan da schon als Reinkarnation David Bowies zu sehen, der sehr früh mit Funk, Jazz oder Ambient experimentiert und bei jedem weiteren Album in eine andere Rolle schlüpft. Wo alle Ziggy Stardust oder den Thin White Duke lieben, lässt Gary Numans Erfolg in den frühen Achtzigern aber rasch nach. Bands wie OMD oder Depeche Mode übernehmen die Staffel und überholen ihn. Numan zieht sich zurück und bringt ein experimentelles Album nach dem anderen heraus. Visionäre Werke, wenn auch sperrig: Damals wenig beachtet, mittlerweile als wichtige Bindeglieder zwischen den Achtzigern und dem neuen Millennium wertgeschätzt. Gary Numan verwendet sehr früh Samples und Computerprogramme, kollaboriert mit vielen Künstler*innen. Der Mainstream hat ihn da fast schon vergessen.

Comeback dank Nine Inch Nails

Viele andere Bands eben nicht. Nine Inch Nails etwa, große Bewunderer von Gary Numans Schaffen, werden in den frühen Neunzigern erfolgreich – und ziehen ihn wieder mit hoch. Numan wird im Industrial-Kontext wiederentdeckt und praktisch postwendend heilig gesprochen. Ob damit wieder alles gut gemacht werden kann, was man ihm vorgeworfen hat, ist fraglich: Er wurde boykottiert, teilweise sogar zensiert, man warf ihm vor, „richtige“ Musiker*innen arbeitslos zu machen. Haltlose Anschuldigungen und beschämendes Verhalten, gar keine Frage. Und dennoch einer, der sich nicht unterkriegen ließ. Vielleicht hat er „nur“ zehn Millionen Platten verkauft; doch wenn man von Kim Wilde, Tears For Fears oder den Nine Inch Nails zu den größten Einflüssen gezählt wird, dann kann man den einen oder anderen toxischen Kommentar vielleicht besser verschmerzen.

Und am wichtigsten ist ja: Gary Numan macht bis heute relevante, intelligente, inspirierende Musik. Zuletzt erscheint 2021 sein 19. Album Intruder, ein großes, hymnisches Industrial-Dystopie-Epos vom Ende der Welt. Nur mal so: Diese Qualität hält heute fast niemand aus seiner Klasse.

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