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Popkultur

Zeitsprung: Am 28.4.1988 starten Iron Maiden ihre Welttournee in einem Kölner Club.

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Iron Maiden
Iron Maiden bei Rock in Rio, 1985. Foto: Dave Hogan/Hulton Archive/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.4.1988.

von Matthias Breusch und Christof Leim

Stadionriesen spielen eher selten in kleinen Clubs. Iron Maiden schon: Ende der Achtziger dürften sie zwar die größte Metal-Band der Welt sein, doch am 28. April 1988 entzücken sie 500 Fans im Kölner Empire mit einer üppigen Arena-Show. Unser Autor war mittendrin.

Hier könnt ihr euch Maiden England ’88  anhören, das Livealbum aus der Ära:

Ein grauer Donnerstagmorgen um halb neun in Deutschland. Vor dem Ticketschalter des Empire stauen sich 150 Fans. Die meisten haben eine lange Anfahrt hinter sich. Es werden zügig mehr, durchweg Leute, die an diesem Tag blau machen – ob Schule, Lehrwerkstatt, Uni oder Job. Bis das Fenster endlich aufgeht und die begehrten Kärtchen gegen Bargeld – unfassbar günstige zehn Mark! – herausgerückt werden, wird es ein langer Tag im Nieselregen. Alle sind angefeuert durch eine lapidare Konzertankündigung im Radio. Zwei Abende zuvor verliest ein WDR-Redakteur die trockene Meldung, die englische Band Charlotte The Harlot werde kurzfristig für zwei Shows in Köln-Ehrenfeld anreisen.

Ein Code für Insider

Wer Maiden kennt, entschlüsselt den Code sofort: Die Band ist bekannt dafür, unter dem Namen früherer Songtitel vor dem Start jeder neuen Tour heimliche Aufwärm-Shows im Hinterland des Kontinents zu spielen. Und Charlotte The Harlot heißt ein Song des legendären ersten Albums von 1980. Mehr noch: Die obligatorische Gastspielreise nach der Veröffentlichung ihres siebten Albums Seventh Son Of A Seventh Son zwei Wochen früher steht unmittelbar bevor.

Iron Maiden Flyer Empire Köln

Iron Maiden sind seit ihren Gründungstagen die Könige der Mundpropaganda, ihr Ruf als musikalischer Abräumdienst ist purer Donnerhall. Mehr als zwei, drei Plakate zu kleben, kommt Papierverschwendung gleich. Schon in den beiden Jahren vor der Veröffentlichung ihres Debüts, das auf Anhieb Platz vier der UK-Albumcharts eroberte, spielen sie in Britannien nahezu ausschließlich in ausverkauften Läden. Auch das Empire ist am Ende proppenvoll.

Weihnachten und Ostern gleichzeitig

Nur wie kommt es dazu, dass die damals größte Metal-Bands in einem Kölner Vorort auftritt? In den Katakomben der ehemaligen Blumengroßmarkthalle in Ehrenfeld finden sich die Proberäume von 60 lokalen Bands. Außerdem verfügt der Komplex über ein großes Studio. Dort arbeiten Iron Maiden einen Monat lang akribisch an ihrer Performance für die Tour. Warum Maiden sich ausgerechnet Köln als „Arbeitslager“ aussuchen und nicht etwa zu Hause in London proben, lässt sich auf Anhieb nicht mehr rekonstruieren. Die Vorstellung, dass im Lärmbunker nebenan die mächtigen Maiden proben, dürfte bei vielen Musikern und Musikerinnen unter uns gleichermaßen Begeisterung und Schnappatmung bescheren.

Iron Maiden Empire Ticket

Boss und Bassist Steve Harris überlässt bei den Proben wie immer nichts dem Zufall und verlangt von seinen Jungs stets höchste Professionalität. Der Kölner Arbeitseinsatz für die Roadcrew hält sich indes in Grenzen. Für die beiden Gigs am Donnerstag und Freitag muss das Equipment nur wenige Meter bewegt werden: Sie finden im Veranstaltungssaal des Empire statt, einem schlichten Rechteck mit Kneipentresen. Neben ihrem Instrumentarium nutzen die Briten für Licht und Ton auf der kaum 25 Quadratmeter winzigen Bühne ausschließlich die fest installierte Haustechnik. Am ehesten erinnert noch Drummer Nicko McBrains Schlagzeug-Gebirge an den normalen „Lebensraum“ der Band. Zudem lässt sich der Keyboarder Michael Kenney (eigentlich Harris’ Basstechniker), dessen Beiträge bei den Songs neueren Datums nötig werden, in dieser Situation kaum verstecken.

Klein, laut, schwitzig, großartig

Bei ihrer Show sind die volksnahen Helden aus der Ostlondoner Arbeiterklasse bestens gelaunt. Sie quetschen sich während des Auftritts der Kölner Vorgruppe High’N Dry ohne jegliche Berührungsängste durch die Menge, halten das eine oder andere Schwätzchen und nehmen auch so manchen Schluck aus hingehaltenen Bierbechern, bevor sie ihren Arbeitsplatz erklettern. Kostenpflichtiges Meet & Greet war noch nicht erfunden.

Schon mit der Startnummer Moonchild wird deutlich, wie viel Iron Maiden und ihr Mischpult-Team selbst unter stinknormalen Amateurbedingungen tatsächlich drauf haben. Die Klangqualität ist traumhaft, die Spielfreude überragend. Alle haben Spaß. Das Dauerlächeln von Gitarrist Dave Murray reicht von einem Ohr zum anderen. Steve steht kurz davor, samt Bass in die tobende Masse Mensch zu hüpfen. Weihnachten verschmilzt mit Ostern. Sänger Bruce Dickinson turnt mit gut geölter Kehle wie verrückt auf seinen anderthalb Quadratmetern herum. Seine entspannte Kommunikation mit dem Saal? Ist dieselbe wie vor 100.000 bei Rock in Rio. Selbstredend geistern Aufnahmen der beiden Shows durchs Netz und die Sammlungen der Die-Hard-Fans. Discogs verzeichnet sogar eine offizielle limitierte Vinyl-Auflage des Mitschnitts.

Ein Fest fürs Leben

Gegrillt von einem knappen Dutzend höllisch heißer bunter Scheinwerfer aus der niedlichen Lichtanlage über ihren Köpfen bringt die perfekt aufeinander eingespielte Formation mit 18 Songs in weit über zwei Stunden tatsächlich das volle Repertoire der Tournee, darunter bis auf zwei Songs – The Prophecy und Only The Good Die Young – das komplette neue Album. Für die weiteren Positionen im Ablaufplan hat die Band 1988 längst die pure Qual der Wahl, denn Seventh Son Of A Seventh Son ist der siebte mit Ohrwürmern gespickte Klassiker in Folge. Neben dem unvermeidlichen The Number Of The Beast beglücken die Engländer ihr Publikum mit Hymnen wie Hallowed Be Thy Name, Running Free, 2 Minutes To Midnight und Run To The Hills. In Form von The Prisoner und The Trooper stehen zudem seit 1982 respektive 1985 nicht mehr dargebotene Schätzchen auf dem Zettel.

Rares Sammlerstück: Doppel-Vinyl mit dem Mitschnitt einer der beiden Geheimshows

Ausnahmslos alle, die am späten Abend nassgeschwitzt aus der Empire-Sauna ins Freie taumeln, nehmen eine Erinnerung fürs Leben mit: Iron Maiden auf ihrem künstlerischen Gipfelpunkt aus allernächster Nähe gesehen zu haben. Denn als die Tour am 8. Mai in New York City „in echt“ startet, stehen deutlich größere Hallen und Festivals auf dem Reiseplan. Als hart arbeitende Liveband haben die Londoner nie aufgehört, alles zu geben. Aber Seventh Son of A Seventh Son erweist sich im Nachhinein als das letzte große Werk einer goldenen Ära…

Zeitsprung: Am 14.8.2006 erfinden Iron Maiden die Geschichte des „Benjamin Breeg“.

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