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Die musikalische DNA von Pink Floyd

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Wer jemals das Radio angedreht hat, kennt Pink Floyd. Manche mögen vielleicht nur „diesen ‚we don’t need no education‘-Song“ kennen, andere wiederum schwören auf die Syd Barrett-Phase der Band und wieder andere lieben ihre Floyds zu allen Schaffensphasen. Aber niemand kommt um diese Band herum, die so mühelos zwischen wildester Psychedelik und eingängigen Rockballaden hin und her spazieren konnte.

Ihren Pop-Appeal hatte die Band den meisten ihrer Kollegen voraus und tatsächlich mussten sie sich dafür noch weniger verbiegen als beispielsweise Genesis oder andere Prog-Rock-Bands, die ebenfalls mit dem Mainstream flirteten. Was bei Pink Floyd zum Hit avancierte, sollte nicht immer unbedingt einer sein. Obwohl die Band nach dem Ausstieg von Barrett die monumentale Jam-Sessions gegen nicht minder beeindruckende Bühnenshows eintauschten: Im Kern des Ganzen stand stets der „Anything Goes“-Gedanke, der sie zu einer der führenden britischen Rockbands überhaupt machte.


Hört euch hier Pink Floyds musikalische DNA als Playlist an und lest weiter:


Entgrenzung, Krieg und Chaos waren zentrale Themen im Schaffen der Band, aber auch Verlust und Tod. Nachdem sich Barrett auf seiner letzten Floyd-Nummer mit den Worten „I’m most obliged to you for making it clear that I’m not here“ 1968 empfahl, verstarb er 2006 als verkanntes Genie. Zwei Jahre später erlag Richard Wright seinem Lungenkrebs. Sie leben in der Musik ihrer Band weiter, ob nun in Songs wie Shine On You Crazy Diamond oder dem letzten Album der Gruppe, The Endless River, auf dem finale Aufnahmen Wrights zu hören sind.

So gerne sich die Floydsche Fanbase auch über ihre Lieblingsband zerstreitet, so wenig waren sie einander zeitweise grün. Doch die Musik schweißte sie zusammen. Werfen wir also einen Blick auf die musikalische DNA von Pink Floyd, um herauszufinden, was die besondere Magie dieser Band ausmacht.


1. The Searchers – Needles and Pins

Kaum zu glauben, aber die zukünftigen Visionäre begannen auch mal ganz klein. Roger Waters und Nick Mason lernten sich während ihrer Studienzeit kennen und schlossen sich mit Keith und Sheilagh Noble sowie Clive Metcalfe zusammen, bevor Richard Wright dazu stieß. Sigma 6 lautete der Name des Sextetts, die damals vor allem Songs von populären Skiffle-Bands wie den Searchers spielten. Deren größte Hits waren selbst von anderen geliehen, wie etwa Needles and Pins, einem Remake von der Komposition Jack Nitzsches und Sonny Bonos, die durch Jackie DeShannon weltberühmt gemacht wurde.

Mit dem, was Pink Floyd nur wenige Jahre später auf ihrem Debütalbum The Piper At The Gates Of Dawn präsentierten, hatte das allerdings noch recht wenig zu tun. Endgültig zusammen fand die Band erst nach einer Vielzahl von Besatzungswechsel und Namensänderungen im Jahr 1965. Syd Barrett hatte sich nach seinem Einstieg als jüngstes Mitglied zum Leadsänger hochgearbeitet und übernahm von nun auch die erste Gitarre. Seine Vision war es, welche die ersten Jahre der Band entscheidend prägte. Der Skiffle-Sound war passé, von hier an standen ausgedehnte Jam-Sessions und unkonventionelle Klänge auf dem Programm!


2. Pink Anderson – I Got a Woman Cross Town

„Oh by the way, which one’s Pink!?”, spöttelte die Band auf Wish You Were im Song Have A Cigar. Auf dem Album rechneten sie einerseits mit den gierigen Schwätzern der Musikindustrie ab, wie sie auch dem ehemaligen Mastermind Barrett einen der schönsten Abgesänge aller Zeiten darboten. Barrett wurde 1968 aus der Band geschmissen und durch David Gilmour ersetzt, der die Band von da an mit seinen charakteristischen Soli bereicherte.

Echte Fans wissen natürlich, wer mit Pink und auch mit Floyd gemeint war: Pink Anderson und Floyd Council waren zwei Blues-Musiker, deren Platten auch in Barretts Schrank standen. Als die sich damals noch Tea Set nennende Band herausfand, dass bereits eine andere Gruppe mit demselben Namen existierte, improvisierten sie. Das konnten sie schließlich am besten: improvisieren. Es ist durchaus kein Zufall, dass ausgerechnet zwei Blues-Musiker Pate standen…


3. Chuck Berry – Beautiful Delilah

Denn der Blues ist die Wurzel aller Rockmusik und tief in die musikalische DNA von Pink Floyd eingeschrieben. „Jeder Gitarrist in Großbritannien kann mindestens drei Chuck Berry-Nummern spielen“, sagte Nick Mason Anfang 2017 nach dem Tod der großen Rhythm’n’Blues-Legende in einem TV-Special. „Seine Musik hat uns alle im Laufe der letzten fünfzig Jahre beeinflusst!“ Berry war die Speerspitze des frühen Rock’n’Rolls und damit einer derjenigen, die den Blues-Sound auf ein neues Level hoben.

Syd Barrett soll Berry geradezu religiös verehrt haben und auch David Gilmour hatte schon dessen Song Beautiful Delilah als Coverversion mit seiner damaligen Band Jokers Wild eingespielt, als von seinem Einstieg bei Pink Floyd noch gar keine Rede war. So wie Berry aber die Konventionen dann am meisten ehrte, wenn er sie brach, wandten sich auch Pink Floyd schnell vom Rhythm’n’Blues ab. Sie waren für Größeres bestimmt – oder zumindest sollten sie nachziehen und für Rockmusik im Gesamten eine neue Ära einläuten. Mit einigen Pauken, seltener Trompeten und viiiiiiieeeeeeellll Effektgeräten.


4. Jimi Hendrix – Are You Experienced?

So wie es Fans gibt, für die Pink Floyd nur in der Urbesetzung um Syd Barrett herum existiert, so lehnen manche das Frühwerk der Band komplett ab und vertiefen sich lieber in das Schaffen der Band nach dem schicksalshaften April 1968. Es ist nicht unbedingt notwendig, Position zu beziehen, um zu erkennen, dass sich mit dem Weggang Barretts bei der noch relativ jungen Band einiges änderte. Zwar blieb die Band ihrer psychedelischen Magie auch mit Alben wie More und Ummagumma und Atom Heart Mother treu, legte aber selbst neben ihren wildesten Experimenten eine noch fokussiertere Seite an den Tag.

Gilmours Gitarrenspiel mag ein Faktor gewesen sein, warum die Band Anfang der siebziger Jahre eine seichte Kehrtwende machten. „Meine Finger erzeugen einen sehr speziellen Sound“, versuchte er es einmal etwas unbeholfen zu erklären. „Sie sind nicht sehr schnell, aber ich denke, dass sie Wiedererkennungswert haben.“ Richtig gedacht! Einer seiner Gitarrenidole war nicht umsonst Jimi Hendrix, der die musikalische Leidenschaft und den künstlerischen Ausdruck über alles stellte. Kennengelernt hatten die beiden sich schon, als Gilmour noch bei Jokers Wild spielte und in Paris lebte. Der Brite zeigte dem amerikanischen Kollegen die französische Hauptstadt. Da wären wir gerne dabei gewesen!


5. Cream – Spoonful (Live)

Neben Hendrix’ unvergleichbarem Spiel und seiner unvergleichlich destruktiven Performance war es auch Eric Claptons Sound, der auf Gilmour einen starken Einfluss ausübte. Mit seiner Supergroup Cream hatte Clapton vorgemacht, was Pink Floyd später in viel größerem Rahmen perfektionieren sollten: Die Band war unfassbar laut, scherte sich nicht um die Maximallänge eines Rocksounds und entführte ihr Publikum regelmäßig in eine andere Welt. Blues Rock made in Britain – noch so ein missing link zwischen den musikalischen Wurzeln und einer aufregenden Gegenwart!

Nicht nur Gilmour, sondern auch Barrett und Nick Mason waren Fans der Landsmänner. Für den Schlagzeuger Mason kam ein Konzert des Trios einer religiösen Offenbarung gleich. „In dieser Nacht wurde mir klar, dass es mir ernst war“, erinnerte er sich überschwänglich. Ganz besonders hatte es ihm der übermenschliche Drummer Ginger Baker angetan. „Ich habe die Energie geliebt. Unnötig, sich ein Beatles-Jackett und Hemden mit Kragen überzuziehen, unnötig, einen Sänger zu haben, der gut ausschaute. Der Drummer versteckte sich nicht im Hintergrund auf so einer furchtbaren Plattform… Er war ganz vorne dabei!“ Gleichberechtigung unter allen Beteiligten – das war es auch, was Pink Floyd ausmachte. Zumindest für eine ganze Weile…


6. Miles Davis – All Blues

Von Mason und Rick Wright ist oftmals kaum die Rede, wenn über Pink Floyd diskutiert wird. Waters und Gilmour oder auch Barrett werden überwiegend als die Musiker angesehen, welche die Band zu dem gemacht haben, was sie war. Das allerdings ist ein Fehler. Nicht nur Masons ausdrucksvolles Schlagzeugspiel, auch Wrights Arbeit an Keyboards bildeten überhaupt erst das Fundament des typischen Pink Floyd-Sounds. Wright brachte seinen Jazz-Hintergrund in die Band ein und injizierte dem Ganzen damit eine ganz besondere Note.

„Jazz ist meine Inspiration“, sagte der 2008 verstorbene Musiker in einer Dokumentation. Nirgends wurde das offensichtlicher als auf dem Song Breathe von Dark Side Of The Moon. Bei den Aufnahmen wurde Wright zum Quasi-Bandleader und steuerte einige der ikonischsten Parts überhaupt bei. Der markante Akkordwechsel, der auf den Gesangspart überleitet, basiert auf einem einzigen Akkord von Miles Davis’ Überalbum Kind Of Blue, das Wright neben Davis’ Porgy and Bess-Interpretation als seine liebste Platte des Prince of Darkness nannte. Ein einziger Akkord, der doch so viel bewirken kann – das sagt nicht nur viel über Miles Davis, sondern auch Wrights verkanntes Genie aus!


7. Bob Dylan – Sad-Eyed Lady Of The Lowlands

Dass Pink Floyd zwischen all dem psychedelischen Rock und den kuriosen Studioexperimenten selbst Folk-Balladen glänzend meistern konnten, mag zuerst verwundern. Doch Songs wie Wish You Were Here oder die kurzen Pigs On The Wing-Stücke von der Animals-LP kamen keinesfalls aus dem Nichts. Vielmehr wurde in ihnen die Leidenschaft der Band für die Musik Bob Dylans hörbar. Unabhängig voneinander nannten Barrett, Gilmour und Waters den näselnden US-Amerikaner als ihr Idol. Insbesondere Waters aber scheint sich von ihm einiges abgeschaut zu haben.

Zugegebenermaßen: Für den großen Kollegen hatte Waters zuletzt keine warmen Worte über. „Verfickt noch eins, was ist nur mit der verkehrt!?“, schäumte er 2017 in einem Interview. „Warum hast du das gemacht?“ Gemeint war ein Album mit Frank Sinatra-Coverstücken, das Zimbo wenige Monate zuvor veröffentlicht hatte. 2012 klang das noch ganz anders. Gegenüber dem Radio-Moderator Howard Stern schwärmte Waters von Dylans Sad-Eyed Lady Of The Lowlands. „Er hat mein Leben verändert! Als ich ihn hörte, dachte ich mir: ‚Wenn Bob das kann, dann ich erst recht!‘“ Gemeint war die Überlänge von satten elf Minuten und 19 Sekunden. Pink Floyd schafften mehr – viel mehr! Trotzdem kein Grund, angesichts eines harmlosen Coveralbums auszuteilen. Oder?


8. Delia Derbyshire – Dr. Who (Opening Theme)

Es war aber nicht allein die Länge von Pink Floyd-Songs, die sie so besonders machten. Von Anfang an machte sich die Gruppe technologische Neuerungen zunutze, um ihre Klangpalette ebenso zu erweitern wie das Bewusstsein ihres Publikums. In den Abbey Road Studios waren sie dafür am besten aufgehoben und hatten mit Alan Parsons auch den idealen Komplizen gefunden. Mit ihm nahmen sie Dark Side Of The Moon auf, eines ihrer vermutlich engagiertesten Studioprojekte.

Zwei Jahre zuvor indes hatten die Floyds mit Meddle ein nicht minder ambitioniertes Album vorgelegt. Ganze 23 Minuten und 32 Sekunden lang ist die B-Seite, der Song Echoes. Genug Zeit, um eine Vielzahl von Stimmungen zu durchlaufen und dabei wie nebenbei eine Innovation nach der anderen zu präsentieren. Kürzer hält es da der Opener One Of These Days. Neben Masons Einsatz als, na ja, Leadsänger (ein Satz reicht bei einer fast komplett instrumentalen Nummer wohl für diesen Titel!?) fällt der Song vor allem wegen seines offensichtlichen Zitats des Dr. Who-Titelsongs auf. Die geniale Produktion von Delia Derbyshire war bei ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1963 ihrer Zeit so weit voraus, dass sie selbst heute kaum noch die ihr zustehende Würdigung erhalten hat.


9. The Beatles – A Day In The Life

Neben Derbyshire und anderen Mitgliedern des legendären BBC Radiophonic Workshops waren es im Großbritannien der sechziger Jahre vor allem die Beatles, die als Band die Grenzen der Pop- und Rock-Musik ausgelotet haben. Mit Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band hatten die Fab Four den Grundstein für die Psychedelic-Bewegung gelegt, der auch Pink Floyd (nicht immer zu Recht) zugeordnet wurden. Was sie auf einem Song wie A Day In The Life anstellten, nahmen sich Pink Floyd für ihre kühnsten Kompositionen zum Vorbild. Klassisches Songwriting traf auf musique concrète, wilde Stilwechsel und verstörende Klangcollagen.

„Als sie Sgt. Pepper’s aufnahmen, waren im selben Studio und spielten unsere erste Platte ein“, erinnerte sich Waters in einem Interview. „Als ich es mir zum ersten Mal anhörte, saß ich nur mit offenem Mund da und dachte: ‚Wow, das ist so lückenlos und vollendet.‘ Es war aber auch mehr als nur das: Es waren so viele Ideen und Erzählstränge darin versammelt. Mehr als jede andere Platte erteilte diese meiner Generation die Erlaubnis, loszulegen und zu tun, was auch immer wir tun wollten.“ Ein kreativer Befreiungsschlag für ein ganzes Zeitalter also. Kein Wunder, dass das an Pink Floyd nicht spurlos vorbei ging.


10. Kraftwerk – Autobahn

Ohne, dass wir Pink Floyd zwangsläufig auf ein Treppchen mit den Liverpooler Pilzköpfen stellen würden, aber auch ihre Musik hat weite Kreise gezogen. David Bowie, The Edge von U2, Queen, Radiohead, Tool und ein ganzer Haufen Prog- und Psychedelic Rock-Bands sowie die halbe Metal-Community haben sich auf die Band berufen. Sie selbst wurden schon früh in ihrer Karriere nicht nur von britischen Kollegen genau beobachtet. Auch die deutsche Krautrock-Szene hörte mit.

Wer kann schon von sich behaupten, Kraftwerk beeinflusst zu haben? Genau, die wenigsten. Pink Floyd aber schon – vermutlich zumindest. Die beiden Masterminds hinter der Band, Ralf Hütter und der mittlerweile ausgeschiedene Florian Schneider-Esleben, sind legendär interviewscheu und haben sich nur selten zu ihren Inspirationsquellen zu Wort gemeldet. Solange es nicht um Autobahnen oder Radsport ging, heißt das. Das ehemalige Mitglied Karl Bartos allerdings betont mittlerweile, dass Stücke wie Echoes und On The Run ein „wichtiger Einfluss“ gewesen sein. Vermutlich wegen der innovativen Studioexperimente und vielleicht auch der schieren Länge wegen. Die Originalversion von Autobahn schließlich ist mit beinahe 23 Minuten fast so lang wie Echoes!


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