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Popkultur

30 Jahre „Live Through This“ von Hole: Ein Meisterwerk im Todesschatten von Kurt Cobain

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Courtney Love von Hole
Foto: Jim Steinfeldt/Michael Ochs Archives/Getty Images

Wenige Tage nach Kurt Cobains Tod erscheint das zweite Hole-Album Live Through This. Hinter dem prophetischen Titel steckt ein knallhartes Meisterwerk, ein weibliches Nevermind – mit ähnlich katastrophalem Ausgang für eine Beteiligte.

von Björn Springorum

Im April 1994 überschlagen sich die Ereignisse. Kurt Cobain flieht aus einer Entzugsklinik, kauft Shotgun-Munition in einem Waffenladen in Seattle und nimmt sich am 5. April 1994 das Leben in seinem Zuhause. Courtney Love, seit gut zwei Jahren seine Ehefrau, ist zur selben Zeit ebenfalls in einer Entzugsklinik in Los Angeles. Sieben Tage nach seinem Tod erscheint Live Through This, die zweite Platte ihrer Band Hole. Das Album ist ein Meisterwerk, steht damals aber im langen Schatten von Kurt Cobain und seinem tragischen Tod.

Selbstbestimmt, wild, ein bisschen derb

Zu Unrecht, denn: Live Through This ist eine der besten Platten der Neunziger. Nachdem Courtney Love und ihre Band schon mit dem schroffen, wüsten, bewusst unbequemen Debüt Pretty On The Inside von sich Reden machen und eine durchaus ansehnliche Kult-Anhängerschaft um sich scharen können, will Love andere Wege einschlagen. Nicht inhaltlich, wohlgemerkt: Loves Texte sind direkte Schläge in die Magengrube des Patriarchats, setzen sich mit Missbrauch, toxischen Schönheitsidealen und Misogynie auseinander. Wohl aber klanglich – wo das Debüt ihr Bleach war, könnte man sagen, will sie jetzt ihr Nevermind schreiben.

Nirvana-Kopist*innen sind Hole allerdings zu keinem Moment. Sicher hat die Arbeit ihres Mannes einen Einfluss auf sie (ebenso wie andersherum auch), aber Courtney Love hat viel zu viel Attitüde und Haltung, als dass sie einem Mann nacheifern würde. So erinnert sich auch Don Fleming an sie, der gemeinsam mit Kim Gordon von Sonic Youth ihr Debüt produziert: „Sie war der übereifrigste Mensch, den ich je getroffen habe… Sie gab 180 Prozent. Ich habe mit einigen Leuten gearbeitet, denen man die Leistung erst entlocken musste. Bei Courtney gab es das nicht.“ Sie ist laut, selbstbestimmt, wild, auch ein bisschen derb und schlägt zu, wenn es denn mal sein muss. Vor allem aber ist sie vor allem in den ersten Jahren der Neunziger eine begnadete Songwriterin.

Ein neues Nevermind

Im Oktober 1993 nimmt die Band in den Triclops Sound Studios in Georgia ihr zweites Album auf. Man folgt der Empfehlung der Smashing Pumpkins, die dort Siamese Dream produziert haben. Die Produzenten Paul Q. Kolderie und Sean Slade, die auch hinter Radioheads Pablo Honey stecken, wissen, was von ihnen erwartet wird: Nach einem regelrechten Bieterstreit einiger Majors um Hole machen Geffen das Rennen und schießen allein für diese Aufnahmen eine Million US-Dollar vor. Das Ziel ist spätestens jetzt klar ausformuliert: ein neues Nevermind. Wird auch was: Die Platte holt mehrfach Platin, verkauft sich allein in den USA 1,6 Millionen Mal.

Zugänglicher, radiotauglicher und nicht mehr ganz so verzerrt von Wut und Lärm ist das Ziel – und das soll laut Courtney Love mindestens ebenso schocken wie der Krach des Debüts. „Ich möchte, dass diese Platte diejenigen schockiert, die nicht gedacht hätten, dass wir auch eine weiche Seite haben, und gleichzeitig wissen, dass wir unsere sehr, sehr harte Seite nicht verloren haben“, sagte sie mal. Das Resultat ist ein Quantensprung vom Debüt entfernt, ein Album, das so anders klingt, dass man mindestens ein weiteres Album dazwischen vermuten würde. „Ich wollte keine Punkrock-Platte – die habe ich ja schon gemacht“, so ihre saloppe Antwort.

Hat Cobain die Platte geschrieben?

Vor der Tour zu In Utero schaut auch Cobain im Studio vorbei, singt Backing Vocals in einigen Tracks. Jahrelang wird sich das Gerücht halten, dass im Grunde er die meisten Songs von Live Through This geschrieben habe. Deutlicher kann man Sexismus in der Musikszene nun auch nicht darstellen. Mehrfach äußert sich Love darüber, manchmal amüsiert, manchmal zurecht genervt. Fest steht: Es wäre ebenso dämlich zu behaupten, dass sie In Utero geschrieben hätte. Man beeinflusst sich eben als Ehepaar, aber gleich daraus zu stricken, dass natürlich ein Mann ein derart großartiges Album geschrieben hat, ist einfach nur beschämend. Loves beste Reaktion darauf war mal, zu sagen, dass das Album viel besser geworden wäre, hätte Cobain es geschrieben. „Er war damals einfach besser als ich, was mich ziemlich annervte.“ So.

Grunge fordert sein nächstes Opfer

Das Album erscheint am 12. April 1994 zu einem denkbar tragischen Zeitpunkt. Der Tod von Kurt Cobain dominiert immer noch das Tagesgeschehen, Love selbst zieht sich völlig zurück. Die Band sagt alle Konzerte ab, wochenlang hört man nichts. Im Juni soll dann die Tour zur Platte starten, als der Grunge sein nächstes Opfer zu beklagen hat: Zwei Monate nach Cobains Tod stirbt auch Hole-Bassistin Kristen Pfaff an einer Überdosis. Ebenfalls mit 27 Jahren. Sie wird in den Nachwehen von Cobains Tod tragischerweise fast übersehen.

Wieder sagt die Band alles ab. Erst im August 1994 – erstmals mit der neuen Bassistin Melissa Auf der Maur – stehen Hole beim Reading Festival in England auf der Bühne. Bis zum Sommer 1995 touren Hole fast ununterbrochen, erspielen sich den Ruf einer dringlichen, direkten, ungemütlichen, aber ultimativ sehenswerten Live-Band mit zunehmend erratischem Verhalten von Frontfrau Love. Kein Wunder, nach allem, was passiert ist: Sie nutzt die Bühne für Therapie, für Trauerbewältigung, für ihren ganz persönlichen lauten Abschied von Kurt Cobain. Live Through This wird auf ewig mit dem Tod von Kurt Cobain verbunden sein – steht für sich aber als eines der großen Rock-Meisterwerke des 20. Jahrhunderts.

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