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Popkultur

40 Jahre „The Dreaming“: Kate Bushs großes Pop-Experiment vor „Running Up That Hill“

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Kate Bush
Foto: Rob Verhorst/Getty Images

Früher kritisiert, heute ein Klassiker der experimentellen Popmusik: Mit The Dreaming spielt eine damals 24-jährige Kate Bush konsequent gegen die Regeln. Die Geschichte eines visionären Albums.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch The Dreaming anhören:

Kate Bush ist wieder in aller Munde. Die vierte Staffel von Stranger Things hat die Ikone der Selbstbestimmung zurück in den Zeitgeist katapultiert und einer neuen Generation vorgestellt. Eine wunderbare Sache. Als damals der Song Running Up That Hill erscheint, ist die Engländerin bereits 27 und hat fünf Studioalben veröffentlicht. Im Grunde liegt 1985 bereits eine komplette Karriere hinter ihr, in der sie mit Durchsetzungsvermögen, Stärke und Vision die Welt der weiblichen Popmusik für immer verändert hat.

Vorkämpferin aller Künstlerinnen

Bush schreibt ihre ersten eigenen Songs mit 13, ihr Debüt The Kick Inside erscheint mit 19. Der große Durchbruch kommt mit Wuthering Heights, eine Nummer, die sie mit 18 selbst schrieb. Innerhalb weniger Stunden. Es ist die erste Nummer Eins einer Künstlerin in Großbritannien. Und doch für Kate Bush nur der Anfang: Sie schreibt nicht nur ihre Songs selbst, sie ist auch Co-Produzentin, ist bei Videodrehs ebenso beteiligt wie in Sachen Outfits, gründet schon in den Anfangsjahren einen eigenen Verlag und ihr eigenes Management, um volle künstlerische Kontrolle über ihr Werk zu behalten. Es ist die Blaupause für alles, was nach ihr kommen soll.

1980 beginnt Bush mit den Arbeiten an ihrem vierten Album The Dreaming. Schon im September 1980, als gerade ihr drittes Album Never For Ever erscheint und überall Babooshak läuft, beginnt sie mit den Aufnahmen. Diesmal entscheidet sie sich, das Album komplett allein zu produzieren. Sie badet in der neugewonnenen Freiheit, experimentiert nach Gusto mit Produktionsmethoden, Sounds, vor allem aber mit dem Fairlight CMI, einem innovativen neuen, aber auch sperrigen und einschüchternden Synthesizer.

Kate Bush reißt ihre Statue ein

Bei den Aufnahmen zu The Dreaming komplettiert sich das Bild einer vollkommenen, einer vergeistigten Künstlerin, die fern der Welt allein über ihren Instrumenten thront und sich ganz ihrer Muse hingibt. Sie will weg vom Bild der Popkünstlerin, will weiter hinein in die Kunst, in das Unvorhersehbare. Sie hat genug vom Status des feenhaften Popstars, will ausbrechen aus der Norm. Das geht einige Monate gut, im Juni 1982 erscheint sogar bereits die erste Single Sat In Your Lap. Danach stagniert die Arbeit, Kate Bush leidet erstmals unter einer Schreibblockade. Den Sommer über arbeitete sie in den Abbey Road Studios und anderen Aufnahmetempeln in London, bricht die Arbeiten aber bald darauf ab.

Erst Anfang 1982 nimmt sie die Arbeiten wieder auf. Bis Mai soll es dann noch dauern, dann ist die Platte endlich fertig. Als sie am 13. September 1982 erscheint, reagiert die Öffentlichkeit irritiert, gar erschüttert. The Dreaming ist ein krasser Bruch mit ihren vorherigen Werken, ein experimentelles Poplabor, auf dem Polyrhythmen, munter wechselnde Takte und Samples eine progressive Bühne bestellen, die Bush mit zahlreichen Instrumenten wie Mandoline, Didgeridoo oder irischen Flöten bespielt. Hits im klassischen Sinne gibt es keine, dafür verwunschene, seltsame Narrative mit gelooptem Gesang und breiter Themenauswahl.

Kate Bush und Houdini

Kate Bush erzählt uns von alten Gangsterbossen aus Noir-Krimis (There Goes A Tenner), vom Vietnamkrieg (Pulling Out The Pin), von der Not indigener Australier (The Dreaming) und vom Leben des großen Harry Houdini. In dem Entfesselungskünstler und Illusionisten erkennt Bush eine verwandte Seele. Einen, der ebenfalls ausbrechen wollte aus der Norm und aus sich selbst. Der das Publikum erschrecken, herausfordern, bewegen wollte. All das tut Kate Bush auf The Dreaming. Doch statt Rufen des lustvollen Erstaunens erntet die frühere Pop-Elfe harsche Kritik. Bewusst unkommerziell sei das, schimpften manche, woraufhin Bush nur verwundert die Augenbrauen heben kann: Wie könne denn ein Album, das in Großbritannien auf die Drei in die Charts einsteigt, bitteschön unkommerziell sein?

Es wird dennoch das Album bleiben, das sich am schlechtesten verkauft. Sein Wert wird erst viel später erkannt: Björk nennt es Jahre später ihren größten Einfluss, ganz allgemein ist The Dreaming ein Werk, das Art Rock mitdefiniert. Ihr dient es als Neuanfang, als Fanal, dass jetzt endglötig nach ihren Regeln gespielt wird. Und bei aller Seltsamkeit, bei aller Vertracktheit und bei allen abgefahrenen Soundspielereien darf man aber eines nicht vergessen: Ein Peter Gabriel wäre schon 1982 für ein solches Album in den Himmel gelobt worden. Aber eine Frau, die hat gefälligst leicht verdauliche Pop-Hits zu liefern.

Ganz unberührt von den vielen negativen Reaktionen ist sie dennoch nicht. Rückblickend nennt sie dieses Werk gern ihr „Sie ist verrückt geworden“-Album, für den Nachfolger Hounds Of Love nimmt sie sich drei Jahre Zeit. Auf dem zeigt sie sich versöhnlich und wandelt den kreativen Tornado von The Dreaming in kunstvolle, furiose, magische Popsongs wie Running Up That Hill (A Deal With God). Ohne dieses besondere, schwierige, schwer verdauliche Album von 1982 wäre das nicht möglich gewesen.

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