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Popkultur

„Black Monk Time“: Wie fünf amerikanische GIs in Deutschland Rock-Geschichte schreiben

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The Monks auf der Bühne. Foto: Hiroyuki Ito/Getty Images

Damals belächelt, heute als Erfinder von Punk und Krautrock verehrt: Vor 55 Jahren veröffentlichen die Monks ihr seltsames Meisterwerk Black Monk Time. Und haben keine Ahnung, wen sie damit alles beeinflussen werden.

von Björn Springorum

Hört hier das Album:

Der Kalte Krieg in Deutschland

Mitte der Sechziger in Deutschland. Der Eiserne Vorhang teilt das Land in zwei Hälften, westlich davon sind viele tausend US-Soldaten stationiert. Auf den US-Bases lauscht man mit wachsender Beunruhigung den Meldungen, nach denen die USA im Februar 1965 erstmals Nordvietnam bombardieren. Und während in Kalifornien so langsam Jefferson Airplane oder die Byrds in die Startlöcher gehen, um dem Summer of Love die berauschte Bühne zu bereiten, herrscht in Westdeutschland ein anderer Ton.

Der bleibt auch Gary Burger, Larry Clark, Roger Johnston, Eddie Shaw und Dave Day nicht verborgen. Die fünf teilen zwei Gemeinsamkeiten: Sie alle sind als GIs in Gelnhausen bei Frankfurt stationiert. Und sie alle lieben Beat-Musik. Schon Ende 1964 versucht man unter dem Namen Torquays, ein Stücken von der üppigen Beatlemania-Torte abzukommen. Sie tingeln durch Bars in der Nähe von Militärbasen, nehmen eine Single in Heidelberg auf, versuchen sich wie so viele andere Bands der damaligen Zeit an einer Mischung aus beliebten Covern und Eigenkompositionen.

Wie GIs in Stuttgart den Punk erfinden

Im Gegensatz zu jenen anderen Bands gibt es bei den jungen GIs aber einen fundamentalen Unterschied. Aus Gründen, die im Nebel der Geschichte verborgen liegen, beginnen die Torquays während einer Residency in der Stuttgarter Rio Bar, wie wild mit ihrer Musik, ihren Instrumenten und dem Equipment zu experimentieren. Sie manipulieren Klänge, verwenden elektronische Hilfsmittel, setzen Rückkopplung und eine für diese Zeit vollkommen ungeahnte Verzerrung ein. Man kann sich kaum ausmalen, wie das schwäbische Publikum auf diese wilden Typen reagiert, aber: Ohne dass es damals jemand weiß, entsteht hier die Urform eines Sounds, der später The Velvet Underground beeinflussen soll, den Punk vorwegnimmt und den Krautrock in sein kosmisches Fundament gießt – produziert von fünf US-amerikanischen Soldaten auf einer kleinen Bühne in Stuttgart. Seltsamer ist der Rock‘n‘Roll selten.

Gespürt hat die Band das damals nicht, wie sich Gary Burger 2009 erinnern wird: „Wir wussten alle, dass wir andere Musik machen, doch wir wären nicht im Traum darauf gekommen, Vorreiter für irgendwas zu sein. Wir hatten keine Ahnung, eine neue Bewegung zu erschaffen. Und ich denke eigentlich immer noch: Hey, wir waren doch nur eine Rock‘n‘Roll-Band, die eine Menge Spaß hatte und glücklich – oder unglücklich – genug war, an diesem Album arbeiten zu können.“

Das Cover

Tonsur statt Pilzkopf

Dieses Album, von den der Frontmann spricht, ist natürlich Black Monk Time, das erste und einzige Studioalbum der Band, die bald nach ihrer Zeit in Stuttgart in The Monks umbenannt wurde. Bevor man im Studio ein Stück Musikgeschichte einspielt, das erst Jahrzehnte später seine verdiente Anerkennung erhalten soll, einigt man sich mithilfe eines deutschen Management-Teams auf ein neues Image. Wie in allerbesten Metal-Kreisen tritt die Band fortan in Mönchskutten mit langen Kapuzen auf, rasiert sich sogar eine Tonsur und streut reichlich Verwirrung, Ärger, Angst und Faszination. Gute Mischung eigentlich.

Während der Rest der Musikwelt aussieht wie die Beatles, Pilzkopf und braven Anzug trägt, gibt es da diese durchgeknallten Amis, die aussehen wie Mönche, unbeschreibliche Musik spielen, die Jugend in den Bann ziehen und die Erwachsenen verstören. Und dann erst diese Musik: In einem Studio in Köln wirft man neben herkömmlichen Songstrukturen auch das Instrumentarium der Zeit über den Haufen, verwendet eine Fuzz-Box, ein Wah-Wah-Pedal sowie ein sechssaitiges Banjo. Und spielt sich in andere Sphären. Rhythmisch und fast schon tranceartig, mit monoton leiernden Passagen statt zum üblichen Vers-Chorus-Vers-Ding spielen sie sich in einen lauten Rausch, hinein in hypnotisierende Spiralen, die Jahre vor den Sex Pistols die subversive Aura des Punk und Monate vor The Velvet Underground psychedelische Avantgarde entfesseln.

„Wir haben die Musik geträumt“, berichtet Burger in einem alten Interview. „Das klingt jetzt esoterisch, ist aber die Wahrheit. Wir trafen uns eines Tages und sagten: Wir haben keinen Bock mehr auf diesen kitschigen Müll, der immer nur davon handelt, wie hübsch du bist und wie toll die Welt ist. Die Welt war aber kein toller Ort. Deutschland war nicht gerade sorgenfrei.“

Keine Chance in den USA

Worüber sollen US-Soldaten, stationiert in Westdeutschland, also singen wenn nicht über den nächsten drohenden Krieg. In Monk Time heißt es:

You know we don’t like the army

What army?

Who cares what army?

Why do you kill all those kids over there in Vietnam?

Mad Viet Cong

My brother died in Vietnam!

Das hätte sich zu der Zeit noch keine Band in den USA erlaubt – Soldaten hin oder her. Doch Black Monk Time ist voll davon. Zumeist bestehen die Lyrics aus wenigen Zeilen. Sie pendeln zwischen semipoetischem Nonsens, Beat-Klischee und ätzender Kritik an Militär, Krieg und Staat. Mit I Hate You schreibt man schon 1965 einen Song, der die finstersten Momente von Joy Division oder den Smiths vorwegnimmt und zynisch geifert:

Hey, well I hate you with a passion baby yeah (but call me)

Well you know my hate’s everlastin’ baby yeah yeah (but call me)

Befeuert von fiebrigen, kompromisslosen Rhythmen, brennen die Monks tagsüber im Studio wegweisende Songs auf einen Vierspurrekorder, während sie abends neben Bill Haley And His Comets auf den Bühnen stehen. Sogar in Hamburgs Top Ten Club werden sie geschickt, wo drei Jahre zuvor schon die Beatles Aufmerksamkeit erregen konnten. Am Ende reicht es trotz des veritablen Kulthits Boys Are Boys And Girls Are Choice nicht für den Durchbruch: Ihre Konzerte verstören und strengen bewusst an, sorgen aber für keinerlei vergleichbare Manie Marke Beatles oder Stones.

Und ihr einziges Album aus dem März 1966, das überfordert wohl eher. Auch heute fragt man sich, wie ein derartiger Sound 1966 überhaupt möglich war. Während die ganze Welt klingt wie die Beatles oder die Flower-Power-Kings der Westküste, evozieren die Monks mit Black Monk Time ein Anti-Pop-Album, das wegen seiner unverhohlenen Antikriegsbotschaft bis 1997 nicht in den USA veröffentlicht wird.

Einfluss für Dead Kennedys, White Stripes und Beastie Boys

Doch selbst ohne Erfolg ist die Eruption der Mönche messbar auf dem Seismografen: Ein Jahr nach Black Monk Time finden sich viele ihrer Ideen und Techniken auf The Velvet Underground & Nico, ganze neun Jahre soll es dauern, bis das gesellschaftliche Auflehnen, die unkontrollierte, wilde Art zu singen und die dröhnenden Rückkopplungen die Sex Pistols zu den bad boys des Empire machen.

Die Monks gibt es da längst nicht mehr. Im September 1967 lösen sie sich auf, zu einer zweiten Platte kommt es nie. Ihr Einfluss ist bis heute ungebrochen: Dead Kennedys, Beastie Boys oder White Stripes zählen diese fünf ideenreichen, aber glücklosen Musiksoldaten zu ihren wichtigsten Einflüssen. Die Monks wollen schon damals nichts davon wissen. Nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten löschten sie dieses kurze, heftige Kapitel für Jahrzehnte aus ihrer Vita. Aber das ist ja das Schöne an uns Musik-Nerds: Wahre Kunst bleibt nie für immer verborgen.

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