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Popkultur

Warum gelten Coldplay eigentlich als „Guilty Pleasure“?

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Foto: Kevin Mazur/AMA2015/WireImage/Getty Images

Sieben Grammys, über 75 Millionen verkaufte Alben weltweit, ein Superbowl: Coldplay setzen hinter diese Punkte einen Haken. Die Zahlen sprechen für sich, verdammt viele Menschen hören ihre Musik – zugeben will das aber keiner. Anlässlich des neuen Albums stellen wir uns die Frage, warum man Coldplay irgendwie peinlich findet, auch wenn man sie mag.

von Victoria Schaffrath

Hört euch hier die letzte Coldplay-Platte A Head Full Of Dreams an:

Man enttäuscht sich beinahe ein wenig selbst, wenn dieses so eingängige Klavier-Intro immer wieder denselben Effekt hat: Breites Grinsen, die Füße wippen und wenn der Rest der Instrumente bei Clocks einsetzt, gibt man sich bereitwillig dem stampfenden Rhythmus hin. Anstatt Euphorie bleibt jedoch bei vielen eher das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, wenn die letzten Töne eines Coldplay-Songs verklingen.

Vom Pub ins Stadion

Liegt es daran, dass wir den Jungs von nebenan den gigantischen Erfolg neiden? Dabei haben sie sich diesen redlich erarbeitet: Beinahe jede (britische) Band beginnt mal in irgendeinem Pub. Auch bei Coldplay gibt es nach der Gründung 1996 erste Gigs in und um Camden, Londons musikalischem Epizentrum. Wir sprechen von der Blütezeit des Pianorock, so ergeben sich zwangsweise Berührungspunkte mit Bands wie Keane. Während sich die Kollegen die Hörner abstoßen und feiern, einigen sich Coldplay auf eine demokratische Führungsweise und verbannen harte Drogen aus der Band. Klingt vernünftig, aber auch ein bisschen langweilig.

Diese etwas zahme Art legen die jungen Wahl-Londoner auf der Bühne freilich ab; frühe Live-Performances wirken roh, mitreißend und authentisch. Der quirlige Frontmann Chris Martin bringt es fertig, der Verwundbarkeit seiner Texte mit einer energetischen Darbietung ein gut verdauliches Gegengewicht zu verleihen. Die ruhigen Momente gehen dafür umso tiefer. Genau diese Magie macht die Gruppe schnell zum Liebling der britischen Musikszene; die Single Yellow, die 2000 den Durchbruch markiert, beschreibt der Guardian gar als Wendepunkt für den Rock.

 

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Die Clocks laufen langsamer

Nun kann man Coldplay unmöglich den eigenen Erfolg vorwerfen, aber diese ursprüngliche Energie lässt sich nur bedingt ins Jahr 2019 übersetzen. Der früher willkommene Optimismus des Materials kommt etwas verklärt daher, und auch die bunten Bühnenshows wirken fast anachronistisch. Die Band füllt dennoch weltweit die größten Stadien und Festivals, 2016 dürfen sie gar den amerikanischen Superbowl spielen. Dazu holen sich die Briten wohlweislich zeitgemäße Unterstützung in Form von Beyoncé und Bruno Mars. Der Plan geht allerdings nach hinten los, denn Martin überlässt den beiden Entertainment-Sonnengöttern kampflos die Bühne. Er kann stimmlich nur schwer mit den bis in die letzte Paillette durchkonditionierten Sänger*innen mithalten. Der Rest der Gruppe hält sich, wie sonst auch, im Hintergrund. Nach der Halbzeit-Show bleibt der Eindruck, dass die Fix-You-Urheber irgendwie den Anschluss verpasst haben.

Aber es bleibt eben genau das: Ein Eindruck, denn die Zahlen stimmen nach wie vor. Für Singles holt man sich sogar Kolleg*innen wie Rihanna oder eben Beyoncé ins Boot. Zu genau diesen Kollaborationen, nämlich Princess Of China und Hymn For The Weekend, muss sich die Gruppe zur Mitte des aktuellen Jahrzehnts allerdings Vorwürfe des Kulturraubs gefallen lassen. Besonders in den Videos nutzt man Bräuche oder Stereotypen aus chinesischen und indischen Kulturkreisen, scheinbar ohne sich im Detail mit ihrer Bedeutung auseinandergesetzt zu haben. Die Setlist und das Artwork für das neue Doppelalbum Everyday Life lassen nun arabische Einflüsse erkennen. Ob Coldplay dieses Mal sensibler mit dem Thema umgehen, erfahren wir am 22. November.

Eilmeldung: Neues Album

Genau, schauen wir doch auf das neue Album. Mit einer Promo-Aktion dazu sorgten Coldplay nämlich schon für einige verdrehte Augen. Anstatt die Platte wie mittlerweile üblich über die sozialen Medien oder andere Online-Plattformen anzukündigen, gingen per Schreibmaschine beschriftete Briefe an ausgewählte Fans. Die Setlist erschien gar als Anzeige in einer Reihe internationaler Tageszeitungen, bevor die Band sie schließlich doch auf Instagram einstellte.

 

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Eigentlich ein kluger Schachzug: Die Kampagne fällt verhältnismäßig günstig aus und ist in aller Munde. Und doch erntet das Quartett dafür einiges an Häme, vielleicht, weil die handgetippten Briefe ein wenig zu kalkuliert erscheinen, als dass sie wahrhaft lässig aussehen könnten. Andererseits traut man Fronter Chris Martin eine solch unschuldige Aktion beinahe zu.

Chris Martin: Ein Frontmann aus dem Kinderbuch

Der eher unscheinbare Typ aus Exeter gilt als Hippie des modernen Rock,  bezeichnet sich als „Alles-Gläubiger“. Als er und Schauspielerin Gwyneth Paltrow 2014 die Scheidung bekannt geben und dabei von einer „bewussten Ent-Paarung“ sprechen, sorgt das besonders in den britischen Medien für zahlreiche Pointen. Bei Konzerten fragt er die Fans gern mal, ob es allen gut geht.

Manchmal scheint er weniger gelassen. Über die Veröffentlichung des Albums Mylo Xyloto sagt er 2011, dass er mit dem Gedanken an Selbstmord spiele, weil ihn die öffentliche Meinung so ängstige. Immer wieder gibt sich Martin so roh und emotional, vielleicht einen Hauch zu menschlich. Seine Texte bieten so ein enorm hohes Identifikationspotential, doch es fehlt zum Teil an existenzieller Tiefe. Kollege Liam Gallagher bringt es, wie so oft, auf den Punkt: „Chris Martin sieht aus wie ein Erdkundelehrer“, und auf der Bühne bewegt er sich auch wie einer.

Enthemmt enthusiastisch

Vielleicht lässt es sich darauf herunterbrechen: Coldplay sind einfach nicht besonders sexy. Es schickt sich nicht, sie zu hören, weil ihr ungebremster Idealismus naiv wirkt. In einer Zeit, wo bereits Teenager wie Billie Eilish dem Zynismus verfallen, tanzen Martin und Co. lieber weiter auf der Klinge des Kitsch. Labels wie „Rockstar“ interessieren sie ungefähr so sehr wie der Rock selbst, den sie als erledigt betrachten. Vielleicht ist es diese Freiheit von Konventionen und Erwartungen, die uns insgeheim ein wenig wütend macht, wenn wir die Band farbenfroh und mit einfachen Melodien über die großen Bühnen dieser Welt springen sehen. Aber wahrscheinlich schenken uns Coldplay dadurch genau die Pause von der Realität, die wir brauchen.

Die musikalische DNA von Coldplay

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