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Popkultur

Interview mit Death From Above 1979: „Eine erfolgreiche Band ist eine statistische Anomalie“

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Death From Above 1979
Foto: Norman Wong

Death From Above 1979 aus Kanada liefern auch mit Is 4 Lovers Musik für lange Nächte in ranzigen Underground-Clubs. Solange wir da nicht tanzen dürfen, drehen wir den Dance Punk des Duos eben zuhause auf. Im Interview verraten Jesse F. Keeler und Sebastien Grainger, dass sie zwar laut, schrill und hyperaktiv klingen, im Herzen aber waschechte Hippies sind.

von Björn Springorum

Der Begriff „Dance Punk“ klingt nur so lange seltsam, bis man die Musik von Death From Above 1979 gehört hat. Das kanadische Duo aus Bassist Jesse F. Keeler und dem singenden Schlagzeuger Sebastien Grainger tobt sich in schrillen, oszillierenden, furiosen Soundwelten aus, die klingen, als hätte man die Nine Inch Nails mit Bikini Kill im Studio eingesperrt.

Hier könnt ihr Is 4 Lovers hören:

Mit Is 4 Lovers ist man nach 20 Jahren zwar erst bei Album vier angekommen. Wenn man weiß, dass es sich eigentlich um eine herrlich unberechenbare Band handelt, die in ihrer eigenen Blase operiert und keinen Bock auf Erwartungen oder das Social-Media-Spiel hat, ist das dennoch eine ganze Menge. Auch die gefürchteten Presse-Rüpel, die Interviews sabotieren, sind die beiden Freunde nicht mehr: Gute Voraussetzungen für einen schönen Zoom-Plausch an einem kanadischen Morgen.

Ihr löst euch nach eurem erfolgreiche Debüt You’re A Woman, I’m A Machine auf, rauft euch wieder zusammen und macht euch trotzdem auffallend rar in den sozialen Medien. Woher kommt diese Unberechenbarkeit in eurem Schaffen?

Jesse F. Keeler: All unsere musikalischen Helden und Vorbilder waren unberechenbar. Nimm nur mal David Bowie und schau dir an, wie dramatisch er sich von Album zu Album verändert hat. Man wusste einfach nicht, was man erwarten kann.

Sebastien Grainger: Wir sind einfach nicht dafür geschaffen, den ganzen Tag im Netz rumzuhängen und Kontakt zu unseren Hörer*innen zu halten. Uns ist natürlich bewusst, dass Musik derzeit vor allem online stattfindet, aber wir suchen die Nähe zu unseren Fans lieber bei unseren Konzerten. Wenn wir uns Zeit und Raum für eine gewisse Zeit teilen. Wenn du also nicht zu jeder einzelnen unserer Shows kommst, dann wirst du nicht jeden Tag etwas von uns hören oder sehen. (grinst) Wir sind einfach so gestrickt, das hat nichts mit einer Taktik zu tun. Wenn wir also ein kleines bisschen mysteriös wirken, dann nur, weil wir auch ein kleines bisschen mysteriös sind.

Schöne Einstellung, aber einer Karriere nicht sonderlich zuträglich, oder?

Jesse: Der einzige Grund, weshalb diese Attitüde für uns kein Career Suicide war, ist, dass es uns schon vor dem Social-Media-Boom gab. Junge Bands haben es da natürlich deutlich schwerer, das ist mir bewusst. Wir hatten ja nicht mal eine MySpace-Seite, als wir uns auflösten. Und das war 2006! (lacht)

Sebastien: Schon klar, Konsistenz ist der Schlüssel zum Erfolg. Schau dir die größten Podcasts, die größten Serien, die größten Bands an: Sie bleiben immer dran, legen regelmäßig nach, verschwinden nie aus der öffentlichen Wahrnehmung. Doch auf unsere verquere Weise sind auch wir irgendwie konsistent – zumindest seit unserer Reunion: Wir brachten 2014, 2017 und 2021 Alben raus. Und Is 4 Lovers wäre eigentlich auch schon 2020 erschienen. Da hast du’s: total konsistent. Was über unserer Band hängt wie ein Damoklesschwert ist die unausgesprochene Drohung, dass wir alles hinschmeißen. Weil wir es ja schon mal gemacht haben. Und weißt du was: Vielleicht werden wir wieder alles hinschmeißen. (lacht)

„Wir sind keine Demokratie.“

Wie funktioniert ihr als Duo? Es ist zumindest unmöglich, bei Abstimmungen zu klaren Mehrheiten zu kommen…

Jesse: Wir sind keine Demokratie, so viel steht schon mal fest. Das kann auch gar nicht funktionieren. Was machst du, wenn einer etwas will, der andere aber nicht? Deswegen sind wir mittlerweile sehr gut darin, uns Dinge zu erklären und näherzubringen, die uns wichtig sind. Nach 20 Jahren wissen wir natürlich so langsam auch, was der andere mag. Das erlaubt es uns, uns gegenseitig immer ein kleines bisschen mehr zuzumuten. Wir wissen, wie man es verpacken muss.

Sebastien: Früher habe ich immer nur so viel komponiert, wie wir für das Album brauchten. Das ist mittlerweile anders, was uns natürlich viel mehr Auswahl gibt, wenn wir man bei einem Song nicht weiterkommen. Wichtig ist uns beiden, dass sich Death From Above nicht nach Arbeit anfühlen soll. Sobald sich ein Song gezwungen anhört, kommt er weg.

Jesse: Wenn ich komponiere, habe ich immer im Hinterkopf, dass Seb dazu Schlagzeug spielen und singen muss. Musikalisch sind die Tore immer weit geöffnet, alles ist möglich. Wir müssen es aber reproduzieren können – zumal Seb mittlerweile auch singt. Also, richtig singt, und nicht mehr nur rumschreit. (beide lachen)

Was führte 2006 zu eurer Trennung? Es lief ja damals richtig gut für euch.

Jesse: Wir waren noch so jung. Niemand hatte uns auf das vorbereitet, was uns erwartete. Niemand erklärte uns, was es bedeutete, so viel zu touren. Ich lebte früher mit den Typen von Alice Coopers Band in einem Haus. Ich fragte sie, wie es früher für sie so auf Tour war und ob sie auch mit einem Van unterwegs waren, in dem sie schliefen. Sie antworteten, dass sie nach der Show hinter dem Stadion von einem Privatjet abgeholt und zur nächsten Show geflogen wurden. Nicht allzu hilfreich. (lacht) Wir waren also allein, als es losging, und wussten nicht, wie wir mit dem Druck, mit all den Eindrücken umgehen sollten. Uns wurde alles zu viel und wir machten Schluss. Ich kenne viele Bands, die stattdessen zusammenbleiben und drogenabhängig werden. Das haben wir einfach mal ausgelassen. (lacht)

Sebastien: Ich hatte ein Bild von Jesse, geprägt von all den Jahren auf Tour und der wachsenden Verbitterung. Nach unserer Trennung war dieses Bild von ihm alles, was überdauerte. Er wurde zur Karikatur seiner selbst und ich musste ihn erst neu kennenlernen, als wir wieder zusammenfanden.

„Eine erfolgreiche Band ist eine statistische Anomalie, eigentlich gibt es so etwas gar nicht.“

Wie kam es dazu?

Sebastien: Wir realisierten beide, dass das, was wir haben, etwas Besonderes ist. Etwas, das man nicht als gegeben hinnehmen darf. Eine erfolgreiche Band ist eine statistische Anomalie, eigentlich gibt es so etwas gar nicht, so selten passiert es. Das einfach aufzugeben, wäre absolute Selbstüberschätzung. So eine Chance bekommst du kein zweites Mal. Nimm nur mal Julian Casablancas. The Voidz mag eine coole Band sein; die Leute wollen aber immer noch The Strokes sehen. Das lernten wir, das ließ uns die Dinge in einem anderen Licht sehen. Dennoch setzen wir uns Grenzen, weil es einfach unfassbar unvernünftig ist, wenn man so viel Zeit miteinander verbringt wie man das als Duo auf Tour tut. Doch mittlerweile haben wir funktionierende Strategien, um mit dem Stress umzugehen.

„Ich habe nur kein Grateful-Dead-Shirt im Schrank.“

Ein wenig überspitzt könnte man Is 4 Lovers als Hippie-Album bezeichnen. Als sehr lautes und schrilles Hippie-Album zwar, aber dennoch ein Album, auf dem die Liebe und der Antikriegstenor eine wichtige Rolle spielen.

Jesse: Ich glaube, ich bin auch ein Hippie. Meine Ideen, meine Überzeugungen, das alles passt ganz gut zu dieser Lebenseinstellung. Ich habe nur kein Grateful-Dead-Shirt im Schrank.

Sebastien: Ich finde es spannend, dass du von einem Songtitel wie No War gleich darauf kommst, dass wir eine Hippie-Band sind. Ist es denn eine derart radikale Idee, gegen den Krieg anzusingen?

Ein Blick in die Welt zeigt, dass es das irgendwie sogar ist.

Jesse: Stimmt, für einen Menschen in den USA unter 20 ist es das tatsächlich. Er hat noch keinen Tag ohne einen Krieg irgendwo erlebt.

Gar nicht hippieesk ist hingegen das fast schon tollwütige Energielevel in den neuen Songs. Wie bringt man so etwas zustande?

Sebastien: Die Dringlichkeit kommt daher, dass wir alles allein machen. Und es meist beim ersten oder zweiten Take belassen haben. Anfangs wollten wir noch viele Takes erneut einspielen, doch wir entschieden uns bewusst dagegen, damit es so roh bleibt. Und weil wir es selbst produziert haben, waren wir absolut nicht nervös. Das kenne ich auch anders. Ich denke, man hört, dass wir uns einfach verdammt gern im selben Raum aufhalten. Man hört unsere Sicherheit.

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