Popkultur
Die musikalische DNA von Deep Purple
Dö-dö-dööö, dö döö-dö-dööö, dö-dö-döööö – dö dööö! Töne, die beizeiten aus jedem Jugendzimmer dröhnen, sobald der Nachwuchs die Gitarre für sich entdeckt. Das weltbekannte Riff von Deep Purples Smoke In The Water ist aber eben nicht alles, was die 1968 gegründete Band um das einzig verbliebene Gründungsmitglied Ian Paice ausmacht. Ohne Deep Purple wäre Hard Rock vielleicht hart geblieben, hätte sich aber nicht zu Metal verdichtet. Zahlreiche Bands nannte die Band neben Black Sabbath und Led Zeppelin als Teil der heiligen Trias, die den Sound des Genres entscheidend beeinflussen sollten. So beständig wie ihr Einfluss aber war die Band als solche keineswegs. Für eine längere Zeit existierte Deep Purple überhaupt nicht und die ständigen Veränderungen im Kader sind längst legendär: Tatsächlich sogar haben die einzelnen Zusammensetzungen bei Fans und Kritik sogar ihre eigenen Namen beziehungsweise Nummern!
Hört euch hier die musikalische DNA von Deep Purple in einer Playlist an und lest weiter:

Deep Purple, die 1975 einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde als lauteste Band der Welt erhielten, arbeiteten so hart wie sie klangen. Ganze sechs Alben nahm die Band während ihrer ersten dreieinhalb Jahre auf und noch 2007 spielten sie 40 Konzerte – nur allein in Frankreich! Ein Arbeitseifer, der durchaus seine negativen Effekte mit sich brachte. Interne Zerwürfnisse, vorzeitige Drogentode, das Kommen und Gehen von Mitgliedern. Das Rockerleben ist eben doch kein leichtes. Obwohl Deep Purple indes vielen Veränderungen und Rückschlägen ausgesetzt waren, zeichnete sie doch stets ihre Beharrlichkeit aus. Als die Band zum Beispiel 1971 in der Schweiz ihr Album Machine Head im Montreux Casino aufnehmen wollte, standen sie vor einer verbrannten Ruine. Irgendein Genie hatte während eines Frank Zappa-Konzerts eine Leuchtpistole gezündet, der Saal brannte ab. Deep Purple jedoch ließen sich nicht beirren, zogen in ein nahegelegenes Hotel und nahmen inspiriert vom Geschehen dort den Song mit dem wohl markantesten Riff der Rockgeschichte auf: Smoke On The Water. Dass Deep Purple mehr als ein paar Skandälchen und einen großen Hit zu bieten haben, liegt vor allem in ihrer stilistischen Vielseitigkeit begründet. Werfen wir also einen Blick auf die musikalische DNA einer Band, die Härte neu definiert hat!
01. Peter DeRose – Deep Purple
Aller Anfang ist schwer, für eine Band war er sehr beschwerlich: Roundabout schienen von Anfang an unter einem schlechten Stern zu stehen. Die im Namen ausgedrückte Idee eines Besetzungskarussells nämlich schien sich früher zu bewahrheiten, als es den Mitgliedern lieb war. Während einer Tour durch Dänemark und Schweden aber schüttelten sie den Namen ab und legten sich einen neuen zu: Deep Purple. Wie es dazu kam, darum ranken sich die Legenden. Eine behauptet, Ritchie Blackmore habe diesen Namen einem Journalisten genannt, der die Band auf einer Fähre interviewte. Einer anderen zufolge war die Umbenennung nicht ganz so spontan: Alle Mitglieder hätten ihre Favoriten auf eine Tafel geschrieben und dann demokratisch abgestimmt, heißt es. Welche Version auch immer stimmt, sicher ist eins: Der Name geht auf den gleichnamigen Song von Peter DeRose zurück, einem aus dem Radio bekannten Pianisten. Was die dramatische Klaviernummer aus den dreißiger Jahren mit der wilden jungen Rockband zu tun hatte? Es handelte sich schlicht um den Lieblingssong von Blackmores Großmutter! Selbst der härteste Rocker will eben noch der Oma eine Freude machen.
02. Joe South – Hush
Etwas zeitgemäßer, aber ebenso eine Leihgabe war der erste Hit der frisch getauften Deep Purple. Hush erschien auf ihrem Debütalbum Shades Of Deep Purple und erreichte glatt die Nummer vier der US-amerikanischen Billboard Hot 100-Charts, in Kanada landete das Cover sogar auf Platz zwei. Vielleicht ein Grund, warum die legendären Cream die junge Band mit auf Tour nahm? In beider Heimat zumindest kam das Stück nicht gut an. Großbritannien nämlich sollte noch etwas Zeit brauchen, um das neue Talent in seiner Mitte zu erkennen. Dabei präsentierte sich die Band doch von der besten Seite und machte klar, dass sie gekommen war, um zu rocken. Rod Evans, Ritchie Blackmore, Jon Lord, Nick Simper und Ian Paice ließen das von South für den Sänger Billy Joe Royal geschriebene Stück wesentlich psychedelischer, wilder und vor allem härter klingen. Ein Vorzeichen für das, was von dieser Band zu erwarten war! Von wegen Hush – Deep Purple wollten laut sein!
03. Neil Diamond – Kentucky Woman
Und wenn Deep Purple schon aus dem Gospel-beeinflussten Blues-Rock von Joe South eine mächtige Portion Härte extrahieren konnten, dann ja wohl ebenso aus einer Country-Nummer von Neil Diamond! Mit ihrem Cover von seinem Song Kentucky Woman landete die Band den zweiten Hit ihrer Karriere und zeigten einmal mehr, dass unter ihren Händen selbst aus echtem Softie-Material ein energischer Rocksong mit psychedelischer Kante werden konnte. Allein, die Band spielte den Song lediglich im Jahr seiner Veröffentlichung 1968 und 1969, seitdem aber nicht mehr. Ob es vielleicht am Sängerwechsel lag? Unwahrscheinlich, denn auch der frischgebackene Frontmann Ian Gillan schmachtete auf der Bühne den starken Frauen aus Kentucky zu. Wahrscheinlich wollte die nachhaltig veränderte Band lieber für ihr eigenes Material anerkannt werden. Gillan selbst sprach von einer „radikalen Veränderung“, die mit Roger Glover und ihm Einzug in die Band hielt. „Es waren nicht einfach ein Sänger und ein Bassist, die einer Band beitraten – es war eine Songwriter-Einheit“, betonte er.
04. White Boys (Aus dem Musical Hair)
Noch bevor allerdings diese Veränderungen Deep Purple nicht nur personell, sondern auch musikalisch zu einer anderen Band machten, ließen sie sich zu einer weiteren Huldigung hinreißen: Auf der LP Deep Purple findet sich mit dem Song Emmaretta eine Hymne auf die Sängerin Emmaretta Marks, die zu dieser Zeit im Musical Hair zu sehen war und die Rod Evans angeblich verführen wollte! „Emmaretta / did you get my letter?“, schmachtete er die Kollegin an. Hat sie? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Dass Evans mit seiner Aufreißernummer Erfolg hatte, ist zumindest nicht überliefert. Dabei sang sie selbst in Hair darüber, wie „pretty“ White Boys doch sein können – und schließlich arbeitete Evans im Laufe seines Lebens auch als Model! Es entscheiden aber nun mal nicht Äußerlichkeiten allein. Evans überwarf sich selbst mit seiner Band, nachdem er sie 1969 verließ und sich elf Jahre später mit ihrem Management im Gerichtssaal wiedertreffen musste. Dort wurde er zu einer satten Geldstrafe für die unrechtmäßige Verwendung des Namens Deep Purple verurteilt und erhält auch weiterhin keine Einnahmen aus den ersten drei Alben der Band. Autsch!
05. Albert King – Born Under A Bad Sign
Es mag kaum überraschen, dass Deep Purple über ihre vielen Besetzungswechsel sich ständig neu erfanden. Als die sogenannte Mark III-Besetzung (David Coverdale, Ritchie Blackmore, Glenn Hughes, Jon Lord und Ian Paice) das Album Stormbringer veröffentlichte, fühlten sich einige Fans und auch die Kritik vor den Kopf gestoßen. Wo kamen plötzlich diese souligen und funkigen Töne her? Selbst Blackmore ließ sich selbst zu dem Kommentar hinreißen, es klänge wie „Schuhputzermusik“. Eine rassistische Stichelei gegen die eigene Band? Unnötig zu erwähnen, dass er schon bald hochkant rausflog! Deep Purple heuerten stattdessen Tommy Bolin an, der auf dem Nachfolger Come Taste The Band einen noch funkigeren Sound an den Tag legte! Sein Handwerk lehrte ihn unter anderem der Blues-Musiker Albert King. „Er brachte mir bei, dass es während Soli viel härter ist, simpel zu bleiben anstatt kompliziert zu spielen“, bestätigte Bolin in einem Interview. Simplizität ist schließlich auch die Essenz des Funks, in dessen Gefilden King gerne unterwegs war. Ein Beispiel wäre sein Song Born Under A Bad Sign, dessen Titel ebenso als Metapher auf Bolins Leben zu verstehen wäre: Er starb mit nur 25 Jahren an einer Überdosis, nachdem Deep Purple unter anderem wegen seiner und Glenn Hughes’ Drogenprobleme ihre Auflösung entschieden.
06. Yes – Roundabout
Dabei sollte es doch eigentlich niemanden wundern, dass eine Band wie Deep Purple weit mehr als nur Rock machte. Allein, weil natürlich auch sie mit den Prog Rock-Bands in ihrer Zeit viel Kontakt hatten und etwa mit Yes die Bühne auf Jazz-Festivals teilten. In Songs wie Burn vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 1974 deutete sich ein deutlich komplexerer Stil an, der den Zeitgenossen Tribut zollte. Verzahnte Gitarrensoli und quirlige Keyboard-Einsätze trafen auf knallharten Rocksound – eine schöne Synthese! Deep Purple dafür aber als „gescheiterte Prog-Band, die sich für mehr Erfolg hartem Rock zuwandten“ abzutun, wie es der Journalist Hans Morgenstern in einem Artikel tat, geht dann doch zu weit. Und immerhin: Deep Purple haben anders als Genesis oder Yes nicht ab den achtziger Jahren mit Mainstream-Pop geflirtet! 1971 war davon bei Yes allerdings noch nichts zu hören, als sie mit Fragile ihr drittes Album veröffentlichten und darauf ihre volle Virtuosität unter Beweis stellten. Der Eröffnungstrack heißt spannender Weise genauso wie Deep Purple vor ihrer Umbenennung: Roundabout.
07. Foreigner – Cold As Ice
Dabei wurde von Deep Purple mehr als einmal befürchtet, sie könnten sich wie andere vor ihnen zur belanglosen Hit-Maschine entwickeln. Als die zu diesem Zeitpunkt aus Joe Lynn Turner, Ritchie Blackmore, Jon Lord, Roger Glover und Ian Paice (Mark V) bestehende Band im Jahr 1990 das Album Slaves and Masters veröffentlichten, hagelte es Kritik. Als „generisches Foreigner-Wannabe-Album“ bezeichnete der Kritiker Alex Henderson die Platte abfällig. Ähm, wie bitte? Aber na gut, Meinungen sind ja wie… Also, jeder hat eins… Ach, ihr wisst schon! Böse Worte allerdings gab es auch von Jon Lord zu hören: „Slaves and Masters ist zweifellos ein Album, das nie unter dem Namen Deep Purple hätte veröffentlicht werden dürfen.“ Auweia! Cold As Ice, dieses Urteil! Wer übrigens mit Mitgliedern von Yes sowie auch Foreigner bestens klarkommt, ist der 1973 bei Deep Purple ausgestiegene Ian Gillan: Gemeinsam mit Rick Wakeman und Steve Howe von Yes erschien er 2014 auf einer Compilation mit The Doors-Covers, zu der auch Foreigner-Sänger Lou Gramm einen Track beisteuerte. Auch hatte er bereits im Jahr 2011 mit Gramm die Bühne geteilt. Zusammen nahmen sie an einer Tour unter dem Titel „Rock Meets Classic“ teil. Das hat zumindest mehr mit Deep Purple zu tun als der Sound von Foreigner, meinen wir.
08. Johann Sebastian Bach – Goldberg Variations, BWV 988: Aria
Country, Blues, Funk und natürlich Rock in allen seinen (Vor-)Formen waren das offizielle Rezept des Deep Purple-Sounds, die Geheimzutat aber war klassische Musik. Zugegeben, spätestens seit Concerto For Group And Orchestra handelt es sich um ein sehr offenes Geheimnis, schon aber die frühen Deep Purple hätten ohne klassische Musik ganz anders geklungen. Maßgeblich dafür verantwortlich war Jon Lord, der 1969 auch das Concerto schrieb und sich an der Hammond-Orgel austobte wie kein Zweiter! Die vermeintlich chaotische Psychedelik seines charakteristischen Spiels aber war geschult an den Kompositionen der ganz Großen. Insbesondere Johann Sebastian Bachs Werke für Tasteninstrumente wie etwa die fürs Harpsichord geschriebenen Goldberg-Variationen waren für ihn maßgeblich. In seiner Leidenschaft für Klassik und seinem Lifestyle als Rocker sah der 2012 verstorbene Lord übrigens nie einen Widerspruch. „Wir werden genauso anerkannt wie irgendwas von Beethoven“, prahlte er 1973 in einem Interview. Wir wagen nicht, ihm zu widersprechen…
09. The Moody Blues – Dawn: Dawn Is A Feeling
Immerhin einhaken können wir: So bahnbrechend ein Projekt wie das Concerto auch war, neu war der Gedanke nicht. Fast zeitgleich zur Veröffentlichung brachte die Band The Nice ihre Interpretation der zwischen klassischer Musik und Jazz angesiedelten Komposition Five Bridges heraus und zwei Jahre zuvor schon hatten The Moody Blues mit Days of Future Past „ein eigenes Genre ins Leben gerufen“, wie es der begeisterte Kritiker Bill Holdship einst schrieb. Rock und Klassik, endlich vereint – das muss nicht nur Lord zugesagt haben, oder? Nun ja, sagen wir so: Es brauchte viel Überredungskunst, bis das Concerto Wirklichkeit wurde. „Ich stand einfach nicht auf klassische Musik“, grummelte Ritchie Blackmore und beschwerte sich über das angeblich arrogante Orchester. Auch für die Gemini Suite des Kollegen hatte Blackmore keine guten Worte übrig, obwohl auch hier alle Mitglieder der Mark II-Besetzung dabei waren. Mit klassischer Musik freundete sich Blackmore allerdings letztlich doch noch an, vor allem unbegleitete Violinenstücke mag er mittlerweile. Also so ziemlich das Gegenteil vom impressionistischen Orchester-Prog-Rock der Moody Blues!
10. Metallica – Master Of Puppets (Live)
Während Lord seine Ambitionen als klassischer Komponist weiter auslebte, war Blackmore froh, zum Rock zurückzukehren, nachdem die Reaktionen auf das Concerto eher verhalten ausgefallen waren. Das Album schrieb sich trotzdem als Pionierwerk in die Geschichte ein und zählt heute noch als Blaupause für etwa Roger Waters’ megalomanische Aufführung von Pink Floyds The Wall oder Metallicas S & M-Projekt. „Mit so gut wie keiner Ausnahme führt jede Hard Rock-Band der letzten 40 Jahre – meine eingeschlossen – ihre Wurzeln auf Black Sabbath, Led Zeppelin und Deep Purple zurück“, betonte auch Metallica-Drummer Lars Ulrich bei seiner Laudatio auf die Band, als diese in die Rock and Roll Hall of Fame eingeführt wurden. „Ich bin ziemlich verwirrt, dass sie so spät aufgenommen werden“, sagte er ebenfalls und drückte damit aus, was alle dachten. Seit 1993 wurden Deep Purple als offizielle Kandidaten für eine Aufnahme gehandelt und doch immer wieder verworfen, selbst wenn sie nominiert wurden. Woran es lag? Roger Glover zufolge soll ein Juror die Band als „One-Hit-Wonder“ abgetan haben. Dem widersprach nicht allein nur der Drummer einer der erfolgreichsten Metal-Bands aller Zeiten. Metallica selbst zeigten sich nicht allein mit S & M in der Tradition von Deep Purple, sondern coverten auch ihren Song When A Blind Man Cries für die Tribute-Compilation Re-Machined: A Tribute to Deep Purple’s Machine Head. Von wegen One-Hit-Wonders: Deep Purples Erbe lebt weiter!
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Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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