Popkultur
Die musikalische DNA von Led Zeppelin
Es gab Rockbands, die den Rock’n’Roll-Lifestyle ernst genommen und voll ausgekostet haben. Und es gab Led Zeppelin. Led Zeppelin haben den Rock’n’Roll-Lifestyle überhaupt erst erfunden. Sicherlich haben sie dabei auch seine Schattenseiten zu spüren bekommen. Wäre die Rockwelt nicht ein besserer Ort, wenn John Bonham immer noch die Sticks schwingen würde? Dass die Band nach dem Tod ihres Schlagzeugers das Handtuch warf, ist ihnen hoch anzurechnen. Denn obwohl sich wohl kaum ein würdiger Ersatz hätte finden lassen, so wäre es für Jimmy Page, Robert Plant und John Paul Jones wohl ein Leichtes gewesen, weiterzumachen und fette Schecks mit nach Hause zu nehmen. Das aber wollten sie nicht. Denn das gehört zum Rock’n’Roll-Lifestyle ebenso dazu wie zerstörte Hotelzimmer: Prinzipien.
Hör dir hier die musikalische DNA von Led Zeppelin als Playlist an und lies weiter:
Neben einem ausgeprägten Zerstörungsdrang und eisernen Grundsätzen war es vor allem die gemeinsame Vision, die Led Zeppelin zu einer der oder besser noch der wichtigsten Rockbands aller Zeiten machte. Sie revolutionierten Rockmusik, das Albumformat und die Musikbranche im Ganzen. Ihr Einfluss auf die Musikwelt ist schlicht nicht zu ermessen. Aber Led Zeppelin hatten auch ihre Vorbilder und nicht selten wurde ihnen vorgeworfen, bei anderen gemopst zu haben. Dazed And Confused, sogar Stairway To Heaven sollen angeblich auf den Kompositionen anderer basieren. Was an diesen jeweiligen Vorwürfen dran ist, wird am besten im Gerichtssaal geklärt. Wir schauen uns dennoch mal an, welche musikalischen Stifterfiguren die vier Erfinder des Rock’n’Roll-Lifestyles hatten.
1. John Mayall and the Bluesbreakers – I’m Your Witchdoctor
Bevor Led Zeppelin zur größten Band ihrer Zeit wurden, ackerten sich ihre Mitglieder in der britischen Blues Rock-Szene ab. In den sechziger Jahren feierten die Rolling Stones bereits internationale Erfolge, die lokale Szene wurde von Bands wie den Yardbirds getragen, bei denen auch Jimmy Page bis zur Auflösung der Band im Jahr 1968 am Bass aushalf. Das Ende der Yardbirds bedeutete zwar das Aus für eine hoffnungsvolle Supergroup, doch zugleich den Anfang für Led Zeppelin. Auch der Yardbirds-Gitarrist Eric Clapton sollte eine beispiellose Karriere hinlegen.
Zuerst heuerte Clapton bei John Mayall und seinen Bluesbreakers an. Neben Alex Korner gilt Mayall als der Vorreiter der britischen Blues-Szene und wird sogar als „Vater der weißen Blues“ geführt. Dass er damit seine Spuren bei den jungen Wilden von Led Zeppelin hinterließ, steht also außer Frage. Noch heute zollt ihm etwa Robert Plant mit Live-Coverversionen von Songs wie I’m Your Witchdoctor Tribut, einem fantastischen Hybrid aus Blues und dem Psychedelik-Sound, der sich in den Swinging Sixties parallel entwickelte. Beides sollte seine Spuren bei Led Zeppelin hinterlassen.
2. Howlin’ Wolf – Killing Floor
Der Blues schlich sich langsam, aber stetig in England ein. Neben regionalen Talenten wie Mayall und Korner waren es vor allem die schwarzen Helden aus den USA, welche den größten Einfluss auf Led Zeppelin ausübten. Der „King Of The Electric Blues“ Muddy Waters beispielswiese oder Skip James spielten eine Interpretation des Genres, die sich eindeutig in den ersten beiden Led Zep-Alben niederschlug: Zugleich roh und doch versiert klang Waters’ elektrifizierte Interpretation der Delta Blues-Tradition. Genau das Richtige für die junge Band, die ihrem Lifestyle echtes musikalisches Können nebenan stellten.
Led Zeppelin kombinierten ihre Leidenschaft für den Blues aber mit durchaus anderen Stilen und ungehörten Elementen, als sie 1969 debütierten. Kein Wunder, mochten sie doch die musikalischen Grenzgänger selbst am liebsten. Howlin’ Wolf stand für einen spannenden Blues-Stil, der sich vor allem von Country beeinflusst zeigte. Zwei Genres, wie sie unterschiedlicher eigentlich kaum sein konnten, fanden in seinen Songs zueinander. Seinen Song Killing Floor bauten Led Zep auf ihrer ersten US-Tour in ihre Setlist ein und entwickelten daraus ein anderes Stück, das auf ihrer zweiten LP zu hören war: The Lemon Song zitiert allein die erste Zeile des Howlin’ Wolf-Stücks Wort für Wort. Ein harmloses und kurzes Versatzstück, das vor Gericht landete.
3. Blind Willie Johnson – It’s Nobody’s Fault But Mine
Howlin’ Wolf, dessen Plattenfirma die britische Band verklagt hatte, erhielt einen Scheck im Wert von rund 45 000 Dollar und einen Songwriting-Credit. Ein fairer Preis? Schwer zu sagen. Anderen jedenfalls war dasselbe nicht vergönnt. Gleich mehrmals holten sich Led Zeppelin ihre Inspiration vom Gospel-Blues-Künstler Blind Willie Johnson. Der allerdings konnte nicht so einfach vor Gericht ziehen: Auf Stücke wie It’s Nobody’s Fault But Mine, das Led Zeppelin 1976 auf Presence coverten, und Jesus Make Up My Dying Bed, das die vier auf In My Time Of Dying verarbeiteten, hatte er selbst keinen urheberrechtlichen Anspruch.
Natürlich wäre es also falsch zu sagen, dass Led Zep bei Blind Willie Johnson geklaut haben, hat dieser letztlich selbst nur Traditionals neu interpretiert. Aber sein unnachahmlicher Stil prägte die Band wie sonst kaum ein anderer Blues-Künstler. Da hilft es auch nichts, wenn Jimmy Page einen anderen Musiker, Josh White, als Inspiration für In My Time Of Dying anführte. Dass sie aber ihr ganz eigenes Ding draus gemacht haben, steht indes genauso fest. Nobody’s Fault But Mine beispielsweise klingt kaum noch mehr nach der Aufnahme Johnsons. Und war es letztlich nicht stets der Zweck des Blues, dass seine Lieder von allen überall gesungen werden sollen?
4. Robert Johnson – Traveling Riverside Blues
Denn wenn es um den Blues geht, kann höchstens vielleicht Robert Johnson Originalität für sich beanspruchen. Der früh verstorbene King Of The Delta Blues schrieb das Gros der Stücke, die heutzutage als Blues-Standards gelten. Ohne seine Stücke hätte es Blues und also auch Rhythm and Blues beziehungsweise Rockmusik schlicht nicht gegeben, oder zumindest nicht in dieser Form. Die Rolling Stones mopsten bei ihm und auch Led Zeppelin arbeiteten sich an seinem musikalischen Erbe ab. Anders als die Stones gaben sie ihm aber für Traveling Riverside Blues einen Credit, als sie ihn 1990 als Bonustrack einem umfassenden Box Set beilegten.
Led Zeppelin hatten ihre Lektion offenkundig gelernt. Besser spät als nie! Im Lemon Song – ja, der schon wieder! – hatten sie von Johnson zuvor die anrüchige Zeile „squeeze me till the juice runs down my leg“ übernommen. Okay, natürlich: Das Werk des 1938 verstorbenen Künstlers war ebenso gemeinfrei wie die Traditionals, die sein Namensvetter den vier britischen Hitzköpfen beibrachte. Aber dennoch zeigte allein die Coverversion des Traveling Riverside Blues, dass es auch anders geht. Ehre, wem Ehre gebührt! Und wenn irgendjemandem Ehre gebührt, dann doch wohl Robert Johnson.
5. The Who – My Generation
Der Blues ist zweifelsohne das wichtigste Element in der Musik Led Zeppelins. Auf ihm basiert alles. Led Zep wären aber nicht Led Zep gewesen, wenn sie den Sound des Mississippi-Deltas nicht mit vielen anderen Zutaten zu einer einzigartigen Mischung verrührt hätten. Die Einflüsse kamen auch von Bands aus dem erweiterten Umfeld der britischen Blues Rock-Szene. Wusstet ihr, dass Jimmy Page und John Paul Jones 1966 gemeinsam mit dem Yardbirds-Gitarristen Jeff Beck und Keith Moon sowie John Entwistle von The Who das Studio enterten? Die Aufnahme zu Beck’s Bolero lief dermaßen gut, dass die Idee nahelag, eine Supergroup zu gründen.
Fast also hätte es Led Zeppelin nicht gegeben. Zumindest nicht unter diesem Namen. Irgendjemand – der Legende nach Keith Moon – scherzte, die Band würde untergehen „wie ein Ballon aus Blei”. Aus dem Ballon wurde eine Zeppelin und aus Led Zeppelin eine Band, die The Who mehr als das Wasser reichen konnte. Die rohe Energie der Kollegen war für Led Zep stets ebenso vorbildlich wie ihr Hang zu großen Erzählbögen. Was das Album als Format alles bieten konnte, das lernten sie bei The Who. Nur gingen sie damit keineswegs unter. Ganz im Gegenteil! Aber so gerne sich Fans darüber streiten, welche der beiden Bands die bessere sei: Beide haben Rockmusik zu dem gemacht, was sie heutzutage ist.
6. Bert Jensch – Black Water Side
Neben der aufrührerischen Energie des Who-Sounds waren noch ganz andere Musiker für den klassischen Led Zep-Stil wichtig. Pages größte Inspiration war ausgerechnet ein Folk-Musiker, der Schotte Bert Jansch. Wer Jensch’ Black Water Side hört, wird sich sofort an einen Led Zeppelin-Song mit einem sehr ähnlichen Titel erinnern: das Instrumental Black Mountain Side vom Debütalbum der Band. Jansch hatte das Stück 1966 veröffentlicht, als er in London lebte und an der Speerspitze des britischen Folk-Revivals stand.
Janschs Gitarrenspiel war selbst für ein so traditionsreiches Genre wie Folk innovativ. Die offene Stimmung seines Instruments gab ihm viel Freiraum, durch Hinzunahme von zusätzlichen Noten gab er seinen Akkorden einen besonderen Klang und sein zum Teil aggressiver Anschlag sorgte für viel Dynamik. Sein eigenwilliger Stil machte ihn zu einem der einflussreichsten Folk-Musiker der sechziger Jahre und inspirierte eine Reihe von Rockmusikern, darunter auch Neil Young. Dass Page seine Komposition nahezu unverändert übernahm, machte ihn zu Recht wütend. Vor Gericht zog er aber nicht, weil er es sich schlicht nicht leisten konnte.
7. Elvis Presley – Love Me
Andere Led Zep-Mitglieder gingen respektvoller mit ihren Helden um. Robert Plant war seit früh an vom King Of Rock fasziniert. „Als Kind habe ich mich in der Weihnachtszeit hinter den Vorhängen versteckt und versucht, Elvis zu sein“, erinnerte er sich. „Da war ein bestimmtes Ambiente zwischen den Vorhängen und der Terrassentür, da herrschte für so einen Zehnjährigen ein toller Sound…“ Keine Frage, die Bühne faszinierte Plant schon immer. Auf ihr hatte er seine wohl wichtigsten Momente, der vielleicht schönste seiner Karriere aber fand dahinter statt.
Als Page gemeinsam mit Plant während der Siebziger ein Konzert Presleys besuchte, konnte er sich einen Traum erfüllen und sein Idol nach dem Gig im Backstagebereich treffen. Die drei verstanden sich auf Anhieb. „Ich erzählte ihm, dass ich besonders seine stimmungsvollen Songs wie das Country-Stück Love Me liebe. Als wir uns verabschiedet hatten und ich gerade den Korridor entlang lief, kam er durch den Türrahmen geplatzt und fing an, diesen Song für mich zu singen: ‚Treat me like a fool…‘“ Die beiden machten einen kleinen Wettbewerb draus und sangen einander Stücke des Kings vor. Was für ein Moment das gewesen sein muss!
8. Charles Mingus – Better Git It In Your Soul
Wie in beinahe jeden Rockband stahlen auch bei Led Zeppelin der Sänger und der Gitarrist allen anderen das Spotlight. Doch was wäre diese Band ohne die donnernden, zum Teil hochkomplexen Basslines von John Paul Jones gewesen? Der hatte das Musizieren von klein auf gelernt, seine Eltern waren im Varieté aktiv. Der Vater wollte seinen Filius dazu treiben, Saxofonunterricht zu nehmen, doch der hatte andere Pläne. „Als er rausfand, dass ich Bass spielen konnte, sagte er: ‚Na gut, gute Bassisten sind schwer zu kriegen.‘“, erinnerte sich Jones mit einem Schmunzeln.
Was ihn inspirierte? Schwierig zu sagen, meint Jones selbst. „Als Bassist wurde ich von wenigen Leuten beeinflusst, denn erst in den mittleren bis späten Sechzigern war der Bass auf Platten richtig zu hören“, gab er zu Protokoll. Wenn schon, so betonte er, dann kamen seine Vorbilder aus dem Jazz: Ray Brown, Scott LeFaro und den großen Charles Mingus nannte er. Der temperamentvolle Mingus gilt als der vielleicht wichtigste Jazz-Bassist überhaupt, seine Alben wie Mingus Ah Um zu den essentiellen Klassikern des Genres. Die fiebrigen Läufe des Meisterbassisten strotzen nur so vor einer Energie, wie sie Jones bei Led Zeppelin kultivierte. Warum er aber nicht Jazz-Musiker geworden ist? „Ich konnte die Musiker nicht ausstehen“, gab er augenzwinkernd zu. „Also musste ich zum Rock’n’Roll zurück.“
9. Gene Krupa – Drum Boogie
Nicht nur einen fantastischen Bassisten, sondern auch den vielleicht besten Rockdrummer der Welt konnte Led Zeppelin vorweisen. John Bonhams tragischer Tod war ein schwerer Schlag für die Musikwelt: Niemand hat zuvor oder danach mit einer solchen Leichtigkeit das Kit regiert. Sein Gefühl für satte Grooves, sein Umgang mit der Bassdrum, seine schiere Geschwindigkeit allein machten ihn zu einer absoluten Ausnahmefigur. Auch Bonham aber fing mal klein an, und zwar ganz klein: Gerade acht Jahre alt war er, als er mit seinem Vater gemeinsam im Kino das Biopic The Benny Goodman Story sah. Nicht aber der Klarinettist und Bandleader Goodman hatte es dem Knirps danach angetan, sondern der Schlagzeuger Gene Krupa.
Bonham bezeichnete Krupa als „Gott“ zwischen all seinen Vorbildern, die vom Cream-Drummer Ginger Baker hin zu Jazz-Drummer wie Art Blakey und Max Roach reichten. „In den alten Big Band-Zeiten war der Schlagzeuger ein Hintergrundmusiker und nichts weiter. Gene Krupa war der erste Schlagzeuger, der wirklich wahrgenommen wurde“, schwärmte Bonham in einem Interview. „Er kam in den Vordergrund und spielter die Drums lauter als jemals jemand anderes zuvor. Und viel besser.“ Nachdem Ginger Baker für einen ähnlichen Paradigmenwechsel in der Rockmusik gesorgt hatte, war der Weg auch für Bonham frei, der das Erbe seiner beiden Idole in neue Höhen heben konnte. Was ein Jammer, dass er schon so früh von uns ging.
10. Sun Kil Moon – I Watched The Film The Song Remains The Same
Es ist allein schon unmöglich zu schätzen, welchen Einfluss Led Zeppelin auf die Rockwelt und darüber hinaus hatten. Was sie erfanden, war nicht allein Musik, sondern ein Lebensstil. Millionen von GitarrenschülerInnen haben sich an Stairway To Heaven versucht und welche Schülerband hat sich nicht an Communication Breakdown versucht? Nein, es ist unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, wie sich die musikalische DNA der Band über ihr verfrühtes Ende hinweg durch die Musikgeschichte fortgeschrieben hat.
Eine der schönsten Ehrerweisungen an eine der lautesten Bands ihrer Tage kam in den letzten Jahren ausgerechnet von einem ansonsten recht stillen Songwriter. Mark Kozelek ist als zynischer Hitzkopf bekommt, seine Songs unter dem Pseudonym Sun Kil Moon sind aber für gewöhnlich ruhig und getragen. Auf seinem vielleicht besten Album Benji erzählt der US-Amerikaner im rund zehnminütigen Stück I Watched The Film The Song Remains The Same, wie er die legendäre Live-Aufnahme als Kind im Mitternachtstheater sah und sich komplett in Bild und Musik verlor. Die frei strömenden Lyrics des Stücks enden schließlich bei Kozeleks eigener Karriere. Er dankt seinen Wegbegleitern „for helping me along in this beautiful musical world I was meant to be in”. Am Anfang aber standen auch für ihn Jimmy Page, Robert Plant, John Baul Jones und John Bonham.
Header Bild von tony morelli via Flickr [CC BY-SA 2.0].
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Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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