Popkultur
Die musikalische DNA von Nirvana
Manchmal braucht es nicht viel Können, um die Welt zu verändern. Manchmal reicht einfach eine Vision, gepaart mit unbändigem Willen. Nirvana haben es vorgemacht. „Ich habe keinen Plan davon, was es heißt, ein Musiker zu sein“, sagte deren Frontmann Kurt Cobain 1993 in einem Interview. „Ich könnte nicht mal den Gitarren-Grundkurs bestehen…“ Und dennoch steht das ebenso simple wie energische Gitarrenriff von Smells Like Teen Spirit auf den Bestenlisten für immer ganz oben. Cobain war ein genialer Songwriter. Nicht unbedingt, weil er so viele Kniffe drauf hatte. Sondern weil hinter der Musik seiner Band eine deutliche Haltung stand.
Hört euch hier die msuikalische DNA von Nirvana in einer Playlist an und lest weiter:
Das alles war schlagartig vorbei, als sich Cobain am 5. April 1994 das Leben nahm. Sein Tod schockierte die ganze Welt nicht allein deswegen, weil damit ein begnadeter Musiker weniger auf der Erde zu finden war, nein. Ohne Nirvana fehlte plötzlich eine der lautesten Stimmen der letzten Rock-Revolution, der Schimmer einer so notwendigen Hoffnung schien vorerst erloschen. Die Geschichte war damit aber noch nicht zu Ende geschrieben. Was aus dem genialen Drummer Dave Grohl wurde, wissen wir alle: Mit den Foo Fighters brachte er eine Band an den Start, die zwar weniger wütend ist, dafür aber umso emphatischer den Geist der Grunge-Musik in die Gegenwart herüber rettete. Und obwohl Krist Novoselic in musikalischer Hinsicht keineswegs ähnliche Erfolge für sich verbuchen konnte, so zeigt sein politisches Engagement der letzten Jahrzehnte doch, dass der Spirit von Nirvana weiterhin sein unvergleichliches Aroma verströmt.
Nirvana waren wohl die erfolgreichste, bei Weitem aber nicht die einzige Band der Grunge-Ära. Zahlreiche andere Bands, von den Meat Puppets hin zu Soundgarden und natürlich Courtney Loves Hole, gehörten zur Konkurrenz und waren doch zugleich Verbündete im musikalischen Aufstand gegen das Establishment. Die Liste von alten und zeitgenössischen Einflüssen auf das Schaffen von Cobain, Grohl und Novoselic ließe sich wohl unendlich weiterführen. Versuchen wir aber trotzdem einmal, die musikalische DNA dieser in jeder Hinsicht revolutionären Band aufzuschlüsseln!
1. The Beatles – Hey Jude
Es überrascht wohl kaum, dass die größte Rock-Band ihrer Zeit auch einige Kniffe von der wohl größten Band aller Zeiten gelernt hat: The Beatles waren (beinahe) von Anfang an Teil von Kurt Cobains Leben. Seine Tante Mari erinnerte sich sogar daran, dass er angeblich bereits im Alter von nur zwei Jahren den Song Hey Jude nachgesungen haben sollte. „Meine Tanten gaben mir Beatles-Platten“, erinnerte sich Cobain in einem Interview mit Jon Savage im Jahr 1993. „Als Kind habe ich die meiste Zeit die Beatles gehört. Wenn ich Glück hatte, konnte ich mir sogar eine Single kaufen.“ Cobain, der in seinen Tagebüchern John Lennon als seinen Helden bezeichnete, ist aber nicht das einzige Mitglied, das die Fab Four verehrte: Krist Novoselic führte Paul McCartney als einen der Bassisten an, die ihn maßgeblich beeinflusst haben. Selbst Dave Grohl sagte, dass er ohne die Beatles nicht Musiker geworden wäre. „Von einer Generation zur nächsten werden die Beatles immer die wichtigste Rock-Band aller Zeiten sein“, erklärte er. Da müssen sich selbst die für die Band ebenso wichtigen Led Zeppelin oder Velvet Underground eben hinten anstellen!
2. Hüsker Dü – Chartered Trips
„Weißt du, Kurt und ich, unsere ganze Generation eigentlich ist mit Pop-Musik aufgewachsen: den Beatles, den Byrds, den Zombies, diese Art Band. Ich habe Songs immer geliebt“, gestand Grohl gegenüber einem seiner größten Vorbilder überhaupt: Bob Mould. Der hatte mit seiner Band Hüsker Dü einen neuen Punk-Sound definiert, der nicht vor klassischen Pop-Strukturen und Mitsingrefrains zurück schreckte. „Ich war 15 und hatte Zen Arcade“, erinnerte sich Grohl in einem anderen Interview an seine erste Berührung mit der Band. „Das war, als ich mich dazu entschied, diese Musik zu lieben. Für mich wäre es falsch gewesen, irgendetwas anderes zu machen.“ Als Zen Arcade, das bahnbrechende Doppelalbum von Hüsker Dü, 1984 erschien, erwischte es die Teenager genau zur rechten Zeit: Grohl hatte zwei Jahre vorher sein erstes Konzert besucht und war so beeindruckt vom Auftritt der Band Naked Raygun, dass er flugs zum Punk konvertierte und tagtäglich Fanzines wie Maximumrocknroll studierte. Hüsker Dü brachten das Beste aus beiden Welten zusammen: Ihre bittersüßen Songs wie Chartered Trips erinnerten an die Pop-Musik der späten sechziger Jahre und doch wohnte ihnen die explosive Energie von Punk und Hardcore inne. Obwohl der Einfluss von Mould und Konsorten vielleicht eher im Sound der Foo Fighters widerhallt, so stellte Grohl doch eins klar: „Als Nirvana bekannt wurden, fragten mich Leute: ‚Worin liegt das Rezept für diese Art von Musik?‘, und ich meinte nur: ‚Puh, habt ihr nie von Hüsker Dü gehört?‘“
3. The Melvins – Gluey Porch Treatment
Bands wie Hüsker Dü oder etwa die Replacements aber waren nicht die einzige, die in dieser entscheidenden Phase der achtziger Jahre dem Punk- und Hardcore-Sound einen neuen Drive gaben. Die Melvins gründeten sich 1983 und hätten sie das nicht getan, wir hätten vielleicht nie von dieser Band namens Nirvana auch nur gehört. Cobain behauptete steif und fest, mit ihnen sein erstes Konzert erlebt zu haben und traf Novoselic erstmals im Proberaum der exzentrischen Band um King Buzzo. Novoselic war zuerst nicht daran interessiert, mit dem hageren Blonden eine eigene Band aufzumachen, dieser konnte ihn aber mit Verspätung überzeugen: Ganze drei Jahre, nachdem der junge Kurt dem riesig gewachsenen Bassisten ein Demo-Tape in die Hand gedrückt hatte, meldete der sich zurück! Bei den ersten Bandproben unterstützte sie noch Dale Crover an den Drums, neben Buzz Osborne das zweite feste Mitglied im rotierenden Kader der Melvins. Als Crover 1988 nach San Francisco zog, empfahl er zuerst Dave Foster als seinen Nachfolger, bevor King Buzzo Cobain und Novoselic mit einem Drummer namens Dave Grohl zusammenbrachte, der nach dem Ende seiner Hardcore-Punk-Band Scream eine neue Gruppe suchte. Kein Wunder also, dass Nirvana sich auch den grungigen Sound von den Melvins liehen. Als die Band 1989 mit Bleach debütierte, klang darin noch das Melvins-Debüt Gluey Porch Treamtent nach. Oder?
4. Celtic Frost – Mesmerized
Tatsächlich gab Novoselic 2001 in einem Interview zu, dass besonders ein Tape mit zwei Alben darauf während der Aufnahmen zu Bleach wichtig gewesen wäre, weil es bei der Band auf Dauerrotation lief. Auf der einen Seite fand sich eine LP der US-Rock-Band The Smithereens, auf der anderen Seite eine Platte des Schweizer Extreme-Metal-Projekts Celtic Frost. „Sie standen total auf Celtic Frost“, erinnerte sich auch Grohl mit einem Schmunzeln. „Sie haben Celtic Frost und die Smithereens gehört und glaubten, sie würden genauso klingen.“ Grohl selbst, der bei den Aufnahmen von Bleach bekannterweise noch nicht Teil der Band war, lud den Celtic Frost-Sänger Thomas Gabriel Fischer allerdings selbst ins Studio, als er 2004 an seinem Solo-Projekt Probot arbeitete. Celtic Frost ist indes bei weitem nicht die einzige Metal-Band, auf die sich alle drei Nirvana-Mitglieder einigen konnten. Denn neben Bands wie Led Zeppelin oder The Who, die mit ihrem zerstörerischen Bühnenauftritten den Weg für Nirvanas eigene Performance geebnet hatten und dabei auch tausende Metal-Bands inspirierten, liebten Cobain und Novoselic auch Black Sabbath, deren Hand Of Doom sie gerne live coverten. So viel zumindest steht fest: Nirvana mochten auch ihren Metal dreckig und verbissen!
5. Pixies – Gigantic
Was Nirvana aus dem Metal mitnahmen war einerseits die Zerstörungswut und andererseits das Faible für Laut-Leise-Dynamiken, wie sie Black Sabbath oder später auch Earth, das Drone/Doom-Projekt von Cobains gutem Freund Dylan Carson, perfekt beherrschten. Eine andere Band aber zeigte schon vor Nirvana, dass dies auch im US-Indie möglich war. Mit Surfer Rosa setzten sich die Pixies ein Denkmal wie kein zweites. Zwischen einer kuriosen Ballade wie Where Is My Mind? und Haudruff-Punk à la Oh My Golly passten Songs, die beide Facetten vereinten, so wie etwa Gigantic mit Kim Deal an den Haupt-Vocals. Cobain stürzte es geradezu in eine Krise, Surfer Rosa zu hören – hier war all das versammelt, was er mit Bleach erreichen wollte und nicht konnte! Er ließ sich aber nicht entmutigen, ganz im Gegenteil. Surfer Rosa, so erzählte er 1992 gegenüber dem Melody Maker, ließ ihn von seinem „Black Flag-beeinflussten Ansatz Abstand nehmen“. Jetzt versuchte er stattdessen, im Stile von Iggy Pop oder Aerosmith heranzugehen und gestand frank und frei, dass Smells Like Teen Spirit seine Version eines Pixie-Songs war. „Ich muss es zugeben“, sagte er dem Rolling Stone. „Als ich zum ersten Mal die Pixies hörte, spürte ich eine so starke Verbindung mit der Band, dass ich bei ihnen hätte einsteigen müssen – oder zumindest einer Pixies-Cover-Band. Wir haben ihre Dynamiken verwendet, erst laut und sanft zu sein und dann laut und hart.“ Immerhin: Das gelang Nirvana auf eine Art, die selbst unnachahmlich war.
6. R.E.M. – Everybody Hurts
Die von Cobain zitierten Iggy Pop und Aerosmith standen natürlich in Kontrast zu anderen Bands aus Nirvanas Zeiten, die für die Entwicklung der Band maßgeblich waren – ob nun die Pixies oder die befreundete Noise-Rock-Kombo Sonic Youth, die das Trio von Anfang an unterstützten und ihnen sogar einen Plattendeal bescherten. Die gemeinsame Europa-Tour beider Bands im Sommer des Jahres 1991 wurde in der Dokumentation 1991: The Year Punk Broke festgehalten. Darin schwärmt Cobain überraschender Weise von einer Band, die – obwohl aus dem Punk kommend – für einen wesentlich poppigeren Sound stand als die befreundeten Sonic Youth. „Wenn ich doch nur ein paar Songs schreiben könnte, die so gut sind wie ihre“, sinniert er darin. „Ich habe keine Ahnung, wie diese Band das macht. Gott, sie sind einfach die besten. Sie sind mit ihrem Erfolg umgegangen wie Heilige und haben weiterhin tolle Musik abgeliefert.“ Von wem die Rede war? R.E.M.! Der Einfluss der Band um Michael Stipe sollte auch der Kritik nicht entgehen: Als Nirvanas Unplugged-Album nach Cobains Tod im Jahr 1994 veröffentlicht wurde, zogen viele Rezensionen Vergleiche zum jüngeren Werk der Band aus Athens, Georgia. Drauf gebracht hatte sie Cobain wohl selbst: Der nämlich sagte 1993, dass das kommende Nirvana-Album „ziemlich ätherisch, akustisch, wie das letzte R.E.M.-Album“ klingen sollte. Gemeint war natürlich Automatic For The People mit Hits wie Everybody Hurts.
7. Garbage – Only Happy When It Rains
Obwohl Nirvanas Unplugged-Session diesen Stilwechsel absolut nachvollziehbar gemacht hätte, so war die Band doch noch im Vorjahr um einen rougheren Sound bemüht. Für Aufnahmen von In Utero nämlich rekrutierten sie die Produzentenlegende Steve Albini. Nicht aber deswegen, weil der kauzige Big Black- und Shellac-Mastermind ihnen Street Credibility in der Indie-Szene einholen würde, wie die Band nachdrücklich betonte. Nein, was Nirvana für In Utero wollten, das war ein anderer, authentischer Sound ohne viel Schnickschnack. Es sollte ihnen gelingen, auch wenn Novoselic mit Albinis Mix unzufrieden war, weil sein Bass kaum zu hören gewesen sei und Cobain insbesondere die Versionen von Heart-Shaped Box und All Apologies alles andere als perfekt fand. Wer musste also kommen, um den Remix zu retten? Der R.E.M.-Produzent Scott Litt! Wie das Album wohl geklungen hätte, wäre die Band beim Nevermind-Produzenten Butch Vig geblieben? Schlimmstenfalls wohl wie das Debütalbum von Vigs Band Garbage, die mit Songs wie Only Happy When It Rains Grunge im Jahr 1995 endgültig zu Grabe tragen schienen. Obwohl Vig mit der Produktion von Nevermind zweifelsohne einen guten Job gemacht hatte, der elektronisch angehauchte Breitbandsound von Garbage wäre mit Nirvana längst nicht mehr zu vereinbaren gewesen. Dann doch lieber der Hitzkopf Albini!
8. Bikini Kill – Rebel Girl
Allein der furiose Auftakt von Nevermind sollte nachhaltig das Erbe von Nirvana untermauern. Bis heute aber ist niemand sicher, wovon eigentlich in Smells Like Teen Spirit die Rede ist. „Wenn ich einen Song schreibe, sind die Lyrics das Unwichtigste“, erklärte Cobain in einem Interview. Tatsächlich schrieb er sie der Legende nach meist nur wenige Minuten vor der Aufnahme. „Solange sie nicht sexistisch oder peinlich sind, geht alles klar“, hatte er schon über die undurchdringlichen Texte von Bleach gesagt. Woher allerdings der Songtitel kommt, das zumindest steht fest: Während einer Diskussion über Anarchismus und Punk mit einem Mitglied von Bikini Kill sprühte die Bandkollegin Kathleen Hanna die Worte „Kurt Smells Like Teen Spirit“ an die Wand der Wohnung und Cobain war sofort begeistert vom revolutionären Potenzial des Slogans. Der einzige Haken allerdings: Mit „Teen Spirit“ war das gleichnamige Deodorant gemeint, welches seine damalige Freundin, das Bikini Kill-Mitglied Tobi Vail, zu dieser Zeit benutzte. Ups! Vail und Bikini Kill sollten Cobain an den Feminismus heranbringen und seine Beziehung zu der Musikerin sollte sich – auf welche Art auch immer – in den Lyrics von Nevermind niederschlagen. Im Text von Lithium beispielsweise soll es um das Rebel Girl gehen, mit der Cobain nicht unbedingt das gesündeste Verhältnis hatte. Gesünder aber vielleicht als das zu Courtney Love, deren destruktive Geschichte mit Cobain ja bestens bekannt ist.
9. David Bowie – The Man Who Sold The World
Halten wir uns vielleicht also besser nicht weiter mit der Hole-Sängerin auf, um deren Rolle in Cobains Suizid die wildesten Verschwörungstheorien kursieren. Sondern werfen wir einen Blick auf den Künstler, dem Cobain noch kurz vor seinem Tod Tribut zollte. David Bowie war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Pop-Geschichte und sein sich ständig wandelndes Image ein steter Inspirationsquell für Nirvana. Auf dem in Europa verwendeten Cover von The Man Who Sold The World aus dem Jahr ist Bowie auf einer Chaiselounge zu sehen, eine gelockte Perücke fließt um sein Gesicht und fällt auf ein Brokatkleid mit Blümchenmuster. Ein Skandal! Für Nirvana aber genau das Richtige. Schon die Melvis traten häufiger in Kleidern auf, um in der männerdominierten Rockszene Geschlechterrollen in Frage zu stellen, und auch von Nirvana gibt es mehr als nur ein paar Bilder in geblümten Outfits. Ebenso ist Cobains, Grohls und Novoselics Einsatz für die Rechte der LGBTQ-Szene bestens bekannt. Bowie war eine der wichtigsten Figuren, die im Mainstream für Debatten über Bisexualität und Androgynität sorgte und drückte somit auch der Rebellion der Grunge-Szene ihren Stempel auf. Er selbst fand ebenso Gefallen an der Band. „Als ich erfahren habe, dass Kurt Cobain meine Arbeit mag, hat mich das umgehauen“, gab er zu und sagte auch, dass er gerne die Gründe des Amerikaners für seine Coverversion in Erfahrung gebracht hätte. Allein, es kam nie dazu. Zu Grohl war er allerdings nicht ganz so nett: Als dieser ihn einlud, bei einem Song für einen Film mitzusingen, lautet die brüske Antwort: „David, ich muss ehrlich sein, ich hab den Film gesehen und es ist einfach nicht mein Ding.“ Grohl bedankte sich artig, Bowie jedoch trat nach: „Okay, dann ist das erledigt. Jetzt verpiss dich!“ Autsch!
10. Oneohtrix Point Never – Animals
So wie es schon schwierig ist, die ganze Fülle der musikalischen DNA Nirvanas zu erfassen, umso schwieriger wird das angesichts ihres Erbes. Unzählige Bands aus allen möglichen Genres haben sich auf das Trio berufen, die Welle von Post-Grunge-Bands wie Puddle Of Mudd und Nickelback beispielsweise aber hätten wir uns wirklich sparen könnten. Selten jedoch wurde das Vermächtnis der Grunge-Zeit dermaßen radikal in Frage gestellt wie von Daniel Lopatin. Der New Yorker gilt als einer der Pioniere des sogenannten Vaporwave-Genres, in welchem Achtziger-Hits, Werbejingles und YouTube-Samples zu einem klebrigen Collage-Sound verarbeitet werden. Mit seinem Album Garden of Delete präsentierte er 2015 sein bisher ambitioniertestes Werk. Auf der LP setzte sich Lopatin mit dem Grunge-Mythos auseinander und versuchte, ihn zu zerlegen. In Interviews sprach er davon, dass Grunge nicht mehr als ein erfundenes Label von Nirvanas ehemaligen Label Sub Pop gewesen sei, ein Scherz auf Kosten der Musikpresse, die das neue Schlagwort dankend annahm. Der digitale „Hypergrunge“-Sound von Oneohtrix Point Never aber ließ sich ebenso von der Musik dieser Zeit inspirieren. Auf seinem Track Animals habe er versucht, die stimmliche Intensität von Nirvanas Song Polly nachzuahmen. Eine respektvolle Revolution gegen die Rebellion, welche Nirvana so entschieden mitgeprägt haben? Es hätte ihnen vielleicht ganz gut gefallen.
Das könnte dir auch gefallen:
25 Jahre Nirvana Nevermind – Teen Rage auf Konserve
10 Songs, die jeder Bob Marley Fan kennen muss
5 Wahrheiten über die Black Eyed Peas

Popkultur
„Please Please Me“: Vor 60 Jahren erscheint das schlüpfrige Debüt der Beatles
Am 22. März 1963 erscheint das erste Beatles-Album Please Please Me. Es beginnt mit einer frechen Aufforderung zum Oralverkehr, endet mit dem Orkan Twist And Shout – und macht die Beatles endgültig zu Stars.
von Björn Springorum
Heute kennt man sie ja alle, die Geschichten. So gut, dass es sich manchmal fast so anfühlt, als wäre man damals dabei gewesen. Auf der Reeperbahn. Im Cavern Club. Als Astrid Kirchherr aus den vier unscheinbaren Liverpooler Jungs die coolen Beatles macht. Bei ihrem vergeigten Vorspielen für Decca am Neujahrsmorgen 1962. Im Van von Gig zu Gig im kalten Großbritannien. Damals kennen diese Geschichten aber eben nur die wenigsten. Auch weiß niemand, dass hinter den Kulissen der Popmusik, hinter den in Großbritannien so angesagten Stammhaltern wie Cliff Richard und den Shadows eine Wachablösung vorbereitet wird. Eine neue Zeitrechnung. Gut, niemand außer Brian Epstein vielleicht.
George Martin hat den richtigen Riecher
Im März 1963 ist die Welt noch weit von einer Beatlemania entfernt. Seit 1961 besteht die Band aus John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und dem glücklosen Drummer Pete Best, der ja bekanntlich kurz vor ihrem großen Durchbruch gefeuert werden. Im Mai 1962 unterschreiben sie bei EMI und arbeiten fortan mit Produzent George Martin zusammen. Auch das weiß damals niemand: Die Band und ihr Produzent werden gemeinsam Musikgeschichte schreiben. Selbst wenn er ihnen anfangs nicht zutraut, jemals einen Hit zu komponieren. Seine Meinung ändert er schnell, als nach Love Me Do auch die zweite Beatles-Single Please Please Me einschlägt und in verschiedenen Hitparaden sogar bis an die Spitze klettert.
Das Rätselhafte ist: Nach den frühen Erfolgen ihrer ersten Singles will Martin ein ganzes Album mit den Beatles aufnehmen. Ein Album, von einer eher bei Teenagern beliebten Band? Ein absolutes Novum und nach Ansicht vieler ein vorprogrammierter Reinfall. Erwachsene kaufen Alben mit langweiliger Musik, die Kids Singles mit dem heißen Scheiß. So läuft das damals. Ist Martin aber egal. Der wittert Anfang 1963 etwas in der Luft, das die Welt für immer verändern wird.
Das Debüt wird an einem Tag aufgenommen
Recht zackig geht es damals noch in den Studios zu, viel Zeit für Experimente ist nicht vorgesehen. Ihr allererstes Album Please Please Me nehmen die Beatles dann auch an einem einzigen Tag auf – am 11. Februar 1963. Pete Best musste auf George Martins Anraten da schon seine Koffer packen und Platz machen für Ringo Starr. Wie wir aus der Peter-Jackson-Doku Get Back wissen, ist ein Studiotag zum Ende ihrer Karriere nicht mal genug Zeit, in der man die eine oder andere Meinungsverschiedenheit aus der Welt zu räumen. Man sieht also: Am Anfang der kurzen und dafür unerreicht steilen der Karriere soll alles noch ganz anders sein als am Ende knapp sieben Jahre später.
„Es war eine sehr geradlinige Angelegenheit, eher wie eine Aufführung“, so sagte George Martin mal zu den legendären Debüt-Aufnahmen der Beatles. „Wir buchten eine Morgen- und eine Nachmittags-Session und fügten dann noch die Abend-Session hinzu.“ Darüber schreibt der Beatles-Chronist Mark Lewisohn später: „In der Geschichte der aufgenommenen Musik gab es wohl nie wieder derart 585 produktive Minuten.“ Neben Chef George Martin sind Norman Smith und Richard Langham als Tontechniker dabei, als im Studio 2 der Abbey Road Studios (damals noch EMI-Studios) Musikgeschichte auf Tape gebannt wird. „Wir probten unser erstes Album nicht“, erinnerte sich Ringo Starr einst. „Wir nahmen es live auf.“ Davon profitiert das schnörkellose, direkte Material bis heute. Please Please Me klingt als einziges Beatles-Album wie eines ihrer Konzerte in Hamburg oder Liverpool – wo der Schweiß von der Decke tropft und alles nach Bier und Zigaretten riecht.
John Lennon ist heftig erkältet
Um zehn Uhr morgens geht es los, John Lennon schleppt eine üble Erkältung mit ins Studio, (McCartney schnieft auch, kein Wunder, das schreckliche englische Wetter…), und lutscht eine Halspastille nach der anderen. Sie nehmen den ganzen Tag auf, bis sie um zehn Uhr abends ihr Cover von Twist And Shout im Kasten haben. Die Nummer muss solange warten, weil Lennons Stimmbänder nach dem rachenzerfetzenden Gebrüll der Nummer vollkommen ruiniert sein würden. Denkt zumindest George Martin. Und zeigt sich beeindruckt: „Ich weiß nicht, wie die das machen. Wir nahmen den ganzen Tag auf, doch je später es wurde, desto besser wurden sie.“ Lennon sieht das etwas anders: Er kann danach wochenlang nicht schlucken. Alles für den Ruhm eben.
Und der kommt. Mit großen Schritten. Zwar wird das Debüt dann doch Please Please Me genannt und nicht Off The Beatle Track, wie McCartney vorschlägt; die Gottwerdung der vier Protagonisten ist von da an aber nicht mehr aufzuhalten. Das Album, das damals für gerade mal 400 Pfund (heute umgerechnet 9000 Pfund) aufgenommen wird, erscheint vor 60 Jahren am 22. März 1963, ist im Mai auf Rang eins der britischen Charts geklettert und bleibt dort satte 30 Wochen, bis es vom Nachfolger With The Beatles abgelöst wird. Da ist die Beatlemania längst ausgebrochen. Und die vier Jungs aus Liverpool auf dem Expressweg zur größten Band der Welt.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Zeitsprung: Am 26.2.1970 erscheint in den USA ein halbherziges Beatles-Album.
Popkultur
Zeitsprung: Am 22.3.1987 brillieren Anthrax mit „Among The Living“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 22.3.1987.
von Christof Leim
Bunte Shorts und schnelle Riffs: Mit „Among The Living“ legen Anthrax am 22. März 1987 einen Klassiker des Thrash Metal hin. Dabei wäre die Sache beinahe beim Mix gehörig schief gegangen. Für den „Zeitsprung“ blickt Scott Ian zurück auf Comics und Sozialkritik, Hetfields Segen und die zufällige Erfindung des Rap-Metal.
Hier könnt ihr euch die Thrash-Granate ganz anhören:
Mit ihrem zweiten Album Spreading The Disease hatten Anthrax 1985 ihren Stil gefunden. Thrash Metal als Genre explodiert, und die New Yorker reiten ganz vorne mit. Die fünf blutjungen Headbanger touren was das Zeug hält, eine Pause gibt es nicht: „Als es mit den Shows für Spreading The Disease losging, haben wir mit dem Songwriting einfach weitergemacht“, erinnert sich Gitarrist Scott Ian im Gespräch mit dem Autor. „Uns war klar, dass wir in einem Jahr eine neue Platte abliefern müssen.“
Hetfield findet es gut
Vor allem Drummer und Hauptsongwriter Charlie Benante hat jede Menge Ideen, die die Band bei Soundchecks und im Bus ausarbeitet. Anthrax verfolgen vor allem die mit dem Song A.I.R. von Spreading The Disease eingeschlagene Richtung, legen aber noch einen drauf. Schon während der Europatour im Herbst 1986 als Vorgruppe von Metallica haben sie die beiden späteren Klassiker I‘m The Law und Indians am Start. „Ich kann mich erinnern, dass wir James Hetfield die Songs im Bus vorgespielt haben. Er fand die Riffs großartig. Und auch wir wussten, dass das Zeug einschlagen würde. Es klang noch besser als A.I.R., mit besseren Riffs und schnelleren Parts.“ Leider kommt bei dieser legendären Konzertreise Cliff Burton ums Leben, der Bassist von Metallica und ein Freund von Anthrax.
Thrash Metal ist eine ernste Angelegenheit. Not. – Foto: Brian Rasic/Getty Images
Zurück in den USA können Anthrax mit Hilfe von Island Records sogar Eddie Kramer als Produzenten gewinnen, der mit einigen der größten Namen im Rock gearbeitet hatte, darunter Jimi Hendrix, Led Zeppelin und The Rolling Stones. Für die Musiker zählt aber eine andere Referenz: „Wir wollten ihn vor allem, weil er einige der besten Kiss-Platten produziert hatte, nämlich Alive! und Rock And Roll Over“, stellt Scott klar. Die Band steht auf die Liveatmosphäre, die Kramer seinen Aufnahmen zu verleihen vermag. Die Produktion im Quadradial Studio in Miami läuft hervorragend, es „herrscht eine Energie wie in einem Football-Stadion“.
Ersoffen in Hall und Echo
Doch beim Mix in den Compass Point Studios auf den Bahamas, in dem schon Iron Maiden reihenweise Klassiker geschaffen hatten, kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung. Beeindruckt vom Megaerfolg des Def Leppard-Meilensteins Hysteria (1987) und seiner poppigen Produktion von Robert „Mutt“ Lange ertränkt Kramer die Anthrax-Songs in Hall und Echo. Das klingt nicht nur weicher, sondern lässt angesichts der rasenden Geschwindigkeit der Stücke sämtliche Details verschwimmen. Kurz: eine Katastrophe. Die Band fällt aus allen Wolken und macht – Kiss-Fans hin, Legende her – deutliche Ansagen. Vor allem Scott bleibt stur, weil er weiß, dass die Zukunft seiner Gruppe von dieser Platte abhängt. Glücklicherweise einigen sich die Parteien und kreieren einen trocknen, megafett drückenden, heute klassischen Thrash-Sound.
Textlich schwanken Anthrax auf Among The Living zwischen ernsthaft, lustig und Nerdkram: Während Indians die Vertreibung der nordamerikanischen Ureinwohner anprangert, vertont Scott gleich zweifach seine Liebe zu den Horror-Thrillern von Stephen King. Dessen Bücher The Stand (deutscher Titel: Das letzte Gefecht) und Apt Pupil (verfilmt als Der Musterschüler) standen Pate für die Stücke Among The Living und Skeletons In The Closet.
Comics und Sozialkritik
Efilnikufesin (N.F.L.) thematisiert den Drogentod des Schauspielers John Belushi von den Blues Brothers, während Caught In The Mosh den Umgang mit dummen, nervigen Mitmenschen mit einem Moshpit vergleicht, dem man nicht entkommen kann. „Ich habe über die Themen gar nicht groß nachgedacht“, meint Scott dazu. „Ich würde euch ja gerne erzählen, dass I Am The Law als Metapher für irgendwas steht, eine schlechte Regierung oder böse Cops. Aber nein: Der Song handelt von Judge Dredd, weil ich auf Comics stehe. Damals wusste ich es auch gar nicht besser, ich war gerade mal 22 Jahre alt. Für mein Hirn ergab I Am The Law genauso viel Sinn wie Horror Of It All, in dem es um den Tod von Cliff geht. Ich wurde zum Texter der Band und musste mich anstrengen, damit nicht unterzugehen.“
Dass Anthrax nicht immer alles bierernst sehen, zeigt sich in einem musikalischen Experiment: Weil die Musiker auf Run-DMC und die Beastie Boys stehen, schreibt Scott mit seinem Gitarrentechniker John Rooney einen nach eigenen Worten „blödsinnigen“ Rap-Song, spielt dazu das jüdische Folk-Stück Hava Nagila als Metal-Riff – und fertig ist I‘m The Man, der erste (erfolgreiche) Rap-Metal-Crossover.
Die zufällige Erfindung des Rap-Metal
So haben Anthrax nach der Hardcore-Thrash-Vermählung bei S.O.D. zum zweiten Mal musikalische Grenzen eingerissen. Dabei war die Nummer »ein totaler Witz«, wie Scott auch drei Dekaden später noch betont. I‘m The Man wird zunächst auf der B-Seite von I Am The Law versteckt, findet aber großen Gefallen, gehört fortan zum Liveset und wird später sogar auf einer eigenen EP veröffentlicht.
Among The Living erscheint am 22. März 1987 und knackt mit einem Platz 62 die Top 100 in den USA. Die Scheibe zählt nicht nur zu den wichtigsten Alben von Anthrax, sondern eines ganzen Genres. Die neun Songs bersten förmlich vor Thrash-Energie und klingen dabei größer, eingängiger und vielseitiger als auf dem Vorgänger. „Sechs der Stücke könnten wir noch heute jeden Abend spielen“, findet Scott und hat Recht. „Das sagt schon was. Sie sind so gut.“
Bunte Shorts sind Metal!
Das Quintett begleitet nach der Veröffentlichung erneut Metallica in Europa, die mit neuem Bassisten Jason Newsted ihre Master Of Puppets-Tour beenden. In den USA sind Anthrax da bereits als Headliner unterwegs. Dabei gibt sich die Band bei allem ernsthaften Geriffe locker auf der Bühne: Die Zeiten von Nieten und Leder sind endgültig vorbei, unfassbar bunte Shorts und Shirts setzen einen deutlichen Kontrapunkt zum vorherrschenden Stil in der Welt der harten Musik.
Mit der Platte beschleunigt sich das Leben im Anthrax-Lager noch mehr: „Alles passierte richtig schnell! Man muss sich das mal vor Augen führen: Among The Living erschien nur drei Jahre nach Fistful Of Metal. „Im Mai 1987, am Anfang der Tour, haben wir kleine Clubs mit 500 Leuten ausverkauft. Im Dezember standen wir in den USA jeden Abend vor 7000 Fans. Ich war gerade mal 24.“
Popkultur
35 Jahre „Surfer Rosa“: Wie die Pixies quasi Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“ schrieben
Zu punkig für Grunge, zu arty für Punk: Schon mit ihrem Debüt Surfer Rosa setzt sich das Alternative-Rock-Kuriosum Pixies 1988 genüsslich zwischen alle Stühle. Der Erfolg kommt dennoch und beeinflusst alles von Nirvana bis Radiohead – auch wegen der großartigen Selbstverlusthymne Where Is My Mind.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch Surfer Rosa anhören:
Als Punk noch nicht ganz tot und Grunge noch nicht ganz da ist, finden die Pixies zusammen. Allerdings nicht in Seattle, wo der Grunge geboren wurde, sondern in Boston an der Ostküste der USA, dem Epizentrum des US-amerikanischen Hardcore Punk. Okay, und der Heimat von Aerosmith, aber die dürften für die Pixies jetzt weniger eine Rolle gespielt haben.
Lang bevor Kurt Cobain und seine Truppe auf die Idee kam, dass die Dynamik einer zurückhaltenden Strophe und eines wild um sich schlagenden Refrains vielleicht auch für Nirvana eine gute Idee wäre, kultivieren die Kommilitonen Joey Santiago und Black Francis während ihres Nebenjobs in einer Lagerhalle die Idee einer Band. Zwei sind dafür aber in der Regel zu wenig, also schalten sie im Januar 1986 eine der wahrscheinlich kuriosesten Stellengesuche in der Welt des Rock’n’Roll: Gesucht wurde jemand für den Bass mit Vorlieben für sowohl den Folk-Act Peter, Paul And Mary als auch für die seltsamen Alternative Punks von Hüsker Dü. Nur eine Person meldet sich auf die Annonce – und sie spielt nicht mal Bass: Kim Deal. Scheint kein Hindernis zu sein, die beiden nehmen sie mit offenen Armen in ihre Mitte auf.
Hinterlistige kleine Kobolde
Wenn eine Band schon so anfängt, ist entweder gar nichts oder eben doch Großes zu erwarten. Rasch noch einen Schlagzeuger gefunden, das Wörterbuch zufällig auf irgendeiner Seite aufgeschlagen und sich für den Namen Pixies entschieden – also diese hinterlistigen kleinen Kobolde aus der englischen Fabelwelt. Man probt in einer Garage, man spielt in Bostoner Bars, man entwickelt einen Sound, der an der anderen Küste der USA sehr bald zu einer Blaupause für das werden soll, was unter dem Namen Grunge in den Mainstream kracht wie eine schlechtgekleidete Rakete mit fettigen Haaren.
Nach einem Demo und einem Plattenvertrag beim angesehenen Alternative-Pulsmacher 4AD geht es für die Pixies Ende 1987 ins Studio. Das Vorhaben: Ein Debüt aufnehmen. Der Produzent: Steve Albini. Den kennt man in der Szene kaum, zuvor hat er kaum als Produzent gearbeitet. Später, klar, wird er mit Nirvana an In Utero arbeiten, aber 1987 sind es erneut die Pixies, die ihn bekannt machen sollen. Was in zwei verschiedenen Studios in Massachusetts entsteht, ist ein körperlicher, viszeraler, schroffer Sound voller anatomischer Referenzen und Anspielungen auf Selbstverletzung: Bone Machine, Break My Body oder Broken Face heißen die Songs, die die junge Band in diesen Tagen auf die Tape-Maschinen bannt. In Cactus geht es um einen Sträfling, der seine Freundin bittet, ihre Hand an einem Kaktus aufzuspießen, ihr Kleid mit Blut zu beschmieren und es ihm zu senden. Ganz normales Zeug also.
Gesangsaufnahmen im Badezimmer
Der karge, trockene Sound der Drums wird von metallisch sägenden Gitarren und einer Vielzahl menschlicher Laute kontrastiert – singen, schreien, krächzen, würgen, jaulen. Nicht oft harmonisch und melodisch, aber dann (wie bei Where Is My Mind?) so richtig. Laut/leise, hart/sanft, eingängig/abgefahren lauten die Devisen, auf die sich Band und Produzent sofort einigen können. Steve Albini erinnerte sich mal an das erste Treffen mit der Band, bei dem sie über den Sound der Platte sprachen: „Und am nächsten Tag waren wir auch schon im Studio.“
Zehn Tage hat man Zeit, 10.000 US-Dollar ist das Budget. 1.500 davon bekommt Steve Albini, der in alter DIY-Manier auf Royalties verzichtet. Allein in den USA soll sich die Platte über 700.000 Mal verkaufen – das nennt man dann wohl nackten Idealismus. Dafür erweist sich Steve Albini sozusagen als fünfter Pixie und lebt sich bei den Aufnahmen voll in seinen unorthodoxen Produktionsmethoden aus. Ist ja auch fair. Kim Deals Gesang auf Where Is My Mind? wird im Badezimmer aufgenommen, um mehr Echo zu bekommen, Black Francis nimmt seinen Gesang auch mal durch einen Gitarrenverstärker auf. Außerdem erlaubt er sich, Gespräche im Studio mitzuschneiden und unter die Songs zu legen. Ein genialer Kauz eben.
Urmutter des Grunge
Als das Album erscheint, wird es in den USA erst mal gepflegt ignoriert, während es sich in Großbritannien zum echten Hit mausert. Skurrilerweise war die Platte in den USA zunächst nur als UK-Import zu bekommen, wird dann aber auch in den Staaten nach und nach zu einem verehrten Underground-Juwel – klar, spätestens als MTV seine Klauen in den Grunge gräbt und alle langsam checken, was schon einige Jahre zuvor in Boston vor sich ging. Und dann ist da natürlich noch Where is My Mind?, diese geniale, schleppende, jenseitige Hymne an dissoziatives Verhalten, weltberühmt gemacht durch den Film Fight Club.
Heute gilt Surfer Rosa als Grunge-Blaupause. Kurt Cobain gab zu, dass Surfer Rosa der mit Abstand größte Einfluss auf Smells Like Teen Spirit war. „Ich wollte einen Pixies-Song schreiben“, sagte er mal. Auch das Verpflichten von Steve Albini geht auf diese Platte zurück. Ähnlich geht es PJ Harvey, die danach sofort mit Albini arbeiten will.
Und die Pixies? Machen es wie jede gute Band: Fangen an, ihre Stadt und sich selbst zu hassen, halten aber noch bis 1993 durch. Es reicht, um die Alternative-Rock-Welt für immer zu verändern.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
-
6 Anekdoten, die nur aus dem Leben von Keith Moon stammen können
-
Zeitsprung: Am 21.4.1959 kommt Robert Smith von The Cure zur Welt.
-
Herzschmerz, Todesfälle und der Wunsch nach Frieden: 20 Rockballaden für die Ewigkeit
-
„Bohemian Rhapsody“: Die Geschichte des Klassikers, für den Queen alle Regeln brachen