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Popkultur

Die musikalische DNA von Thin Lizzy

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Wenn über Rockmusik gesprochen wird, dreht sich meistens alles um den großen transatlantischen Austausch zwischen den USA und England. An Irland wird jedoch selten gedacht, obwohl der kleine Inselstaat mit einer der besten Rockbands aller Zeiten aufwarten kann. Ihr denkt an U2, richtig? Wir nicht! Stattdessen aber an Thin Lizzy. Genau, denn nichts gegen Bono und Konsorten, aber auch Thin Lizzy haben neben Whiskey In The Jar und The Boys Are Back In Town noch eine ganze Menge mehr zu bieten.


Hör dir hier die musikalische DNA von Thin Lizzy als Playlist an während du weiter liest:


Thin Lizzy waren für mehr als nur zwei offenkundige Hits gut. Ihr kreativer Mastermind Phil Lynott schrieb Lyrics, welche die literarische Tradition seines Heimatlandes in treibende Rocksongs übertrugen. Nicht umsonst veröffentlichte der 1986 verstorbene Musiker nebenher auch Gedichte! Nach ein paar schweren letzten Jahren, die von mangelndem Erfolg und Besetzungsproblemen geprägt waren, löste er seine Band 1983 auf, um sich als Solomusiker zu versuchen. Die eigentliche Magie seiner Band konnte er dabei allerdings nur selten wieder aufleben lassen, denn Thin Lizzy waren einzigartig.

Die Geschichte Thin Lizzys liest sich ernüchternd. Wie viel mehr wäre möglich gewesen, hätte die Band die internationale Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdiente? Wir werden es nie wissen. Uns bleibt aber die Musik, die wir immer wieder aufs Neue entdecken können. Was ihren Sound so besonders machte, das erfahren wir mit Blick auf die musikalische DNA der Band.


1. The Dubliners – Whiskey In The Jar

Ob wir wollen oder nicht, um Whiskey In The Jar kommen wir nicht herum. Das irische Volkslied über den betrogenen Ehemann wurde erstmals 1967 weltbekannt, als die Folk-Band Dubliners ihre Interpretation veröffentlichte, die in der nachfolgenden Zeit zu ihrem Signature Song wurde. Fünf Jahre später folgte Thin Lizzys Version. Der Song war eigentlich von der Band nicht als Single vorgesehen und wurde von ihrer Plattenfirma Decca ohne Einwilligung veröffentlicht. Obwohl er als Scherz gemeint war, schlug er ein wie eine Bombe. Nach drei eher mäßig erfolgreichen Jahren hatte die Band das Erfolgserlebnis mehr als nötig, doch fühlten sie sich falsch von dem Stück repräsentiert: So klangen sie doch eigentlich gar nicht, lautete der Tenor.

Das stimmt natürlich: Whiskey In The Jar war mit seinem folkloristischen Einschlag für Thin Lizzy-Verhältnisse recht poppig. Ihre Vision von Rockmusik war weitaus härter als das. Zumindest aber das Traditionsbewusstsein für das Liedgut ihrer Heimat und nicht zuletzt Lynotts intensive Auseinandersetzung mit irischer Erzählkunst fanden darin ihren Ausdruck. So unschön es auch ist, dass seine Band immer wieder auf ihr leichtfüßiges Cover des Trinkliedes reduziert wurde: Es passt durchaus gut in das Gesamtbild.


2. Them – It’s All Over Now, Baby Blue

Wichtiger aber noch waren natürlich andere. Der Nordire Van Morrison beispielsweise. Thin Lizzy-Gitarrist Eric Bell wurde in Belfast geboren und verdiente sich dort in der örtlichen Rockszene seine ersten Sporen. Währenddessen spielte er auch bei Them mit, Morrisons damaliger Band. Rekrutiert wurde er von Morrison persönlich an seinem Arbeitsplatz in einem Musikaliengeschäft.

Bell beschreibt seine Zeit in der Band des kauzigen Rockstars als eine schwierige, aber auch lehrreiche. Kurz vor Beginn seines ersten Konzerts mit Them drehte sich Morrison auf der Bühne zu seiner Truppe um und warf die gesamte Setliste über den Haufen: „Wir fangen einfach mit einem Blues in B-Dur an!“ Anstrengend, aber eine gute Lektion für den angehenden Gitarristen. Bei Thin Lizzy hatte er es schließlich auch nicht immer leicht. 1973 verließ er die Band.


3. Deep Purple – Fireball

Während Bell von Morrison einige wichtige Lektionen über das Leben auf der Bühne lernte, schaute sich Lynott von ihm einige Songwriterkniffe ab. Sein prosaischer Stil steht aber auf den ersten Blick in Kontrast zu den harten Songs der Band. Im Laufe ihrer Karriere flirtete die Band mehr als heftig mit dem aufkommenden Heavy Metal-Sound, wie ihn Anfang der siebziger Jahre Bands wie Black Sabbath bekannt gemacht hatten.

Ein maßgeblicher Einfluss waren Deep Purple, die eine perfekte Synthese aus hartem und doch anspruchsvollem Rock vorgemacht hatten. 1972 nahmen die Thin Lizzy-Mitglieder Lynott, Bell und Brian Downey gemeinsam mit zwei anderen Musikern sogar ein ganzes Coveralbum mit Deep Purple-Stücken auf. Reine Leidenschaft? Keineswegs! Die Band brauchte das Geld, das ihnen für die Platte angeboten wurde. Um sich nicht zu sehr verbiegen zu müssen, brachten sie die LP unter einem anderen Namen heraus: Funky Junction. Ein Glück, dass die Band nur kurz darauf finanziell auf eigenen Beinen stehen konnte…


4. Jimi Hendrix – Hey Joe

Phil Lynott war zu seiner Zeit eine echte Ausnahmefigur, und das nicht allein in künstlerischer Hinsicht. Ein schwarzer Ire, der harte Rockmusik machte – das erregte Aufmerksamkeit. Nicht wenige sahen in dem Bassisten eine Art Antwort auf Jimi Hendrix, der seinerseits die Inspiration für Lynott lieferte. Sogar eine Verfilmung von Hendrix’ Leben mit Lynott in der Hauptrolle war gerüchteweise geplant.

1980 nahm Lynott gemeinsam mit dem Original-Line-Up seiner Band eine musikalische Huldigung seines Idols auf. Ihr Song For Jimmy war als einmalige Kollaboration geplant, die zum zehnten Todestag des Gitarristen als Geste der Dankbarkeit gemeint war. Ironischer Weise sollte Lynott dem Idol nur wenige Jahre später unter ähnlichen Bedingungen folgen. Der Rock’n’Roll-Lifestyle, vor dessen Konsequenzen Bell 1973 geflohen war, forderte seinen ganz eigenen Tribut.


5. Wishbone Ash – The King Will Come

Hendrix war Lynott und seine Band ebenso als Freigeist wie als Gitarrist ein Vorbild. Für ihren eigenen unverwechselbaren Gitarrenstil standen jedoch andere Pate. Neben Lynyrd Skynyrd und den Allman Brothers in den USA sowie Fleetwood Mac und Wishbone Ash gehörten sie zu den Pionieren des „dual-lead guitar style“, bei der zwei Gitarristen im Duett spielen. Seitdem Jeff Beck und Jimmy Page auf diese Weise bei den Yardbirds zusammengespielt hatten, erfreute sich das Stilmittel Anfang der siebziger Jahre großer Beliebtheit.

Mit ihren ersten Alben wie Argus übten Wishbone Ash einen deutlichen Einfluss auf Thin Lizzy aus, die bald darauf selbst begannen, ihre Gitarristen in Einklang zu bringen. Mehr noch als Wishbone Ash nutzten Thin Lizzy das Stilmittel für einen Hardrock-Sound, der später in der New Wave Of British Heavy Metal wieder aufgenommen wurde. Harmonie traf auf Härte, das Markenzeichen der irischen Band war geboren.


6. Bob Dylan – Desolation Row

Die Einflüsse Thin Lizzys kamen aber nicht allein aus dem Rockbereich und beschränkten sich bei weitem nicht auf ihre irische Heimat und Großbritannien. Neben Jimi Hendrix war auch Bob Dylan ein maßgeblicher Einfluss für insbesondere Phil Lynott. „Als ich anfing, Songs zu schreiben, schien diese großartige Sache zu passieren, dass Musik ihren Höhepunkt erreichte“, sagte er in einem Interview. „Die Beatles machten bessere und bessere Alben. Van Morrison war auf seinem Höhepunkt. Und Dylan genauso, er schien einfach keine Fehler zu machen. Es kam mir so vor als würde verdammt jeder seinen Höhepunkt erreichen.“

Lynott spürte den Druck, der damit einherging. Und irgendwann die Erleichterung, als selbst seine Helden scheiterten. „Und dann kam eine Zeit, in der mir die Theorie kam, dass du aus Fehlern lernen und nicht immer nur besser und besser werden kannst“, fuhr er fort. „Da wurde mir klar, dass ich nie Desolation Row schreiben würde, zwölf Strophen und jede davon killer. Es würde Songs geben, die ich verhaue. Ich wollte mich verbessern, aber ich verstand auch, dass ich dazu öffentlich Fehler machen musste.“ Eine Einsicht, die von innerer Größe zeugt.


7. Bob Seger – Rosalie (Live)

Ein weiterer Einfluss aus den USA kam aus dem sogenannten Heartland Rock, zu dem neben Bruce Springsteen auch Bob Seger gezählt wurde. 1975 machten sich Thin Lizzy in die USA auf, um dort ihre erste Tour im Vorprogramm von Bachman-Turner Overdrive und eben jenem Bob Seger zu absolvieren. Im selben Jahr veröffentlichten sie mit Fighting ein Album, das erstmals ihren charakteristischen Dual-Guitar-Sound in den Vordergrund stellte und das Fundament für ihren kommerziellen Erfolg auf internationaler Ebene legte.

Das Album öffnet mit einer Coverversion von Segers Song Rosalie über die CKLW-Programmdirektorin Rosalie Trombley, die bei der Musikauswahl für ihre Radiostation ein sagenhaftes Gespür für zukünftige Hits an den Tag legte. Das konnte ja nur ein gutes Omen sein! Ironischer Weise spielte Trombley die Seger-Version nie auf CKLW. Vielleicht ein Trost für den Heartland Rocker: Auf Thin Lizzy-Konzerten war das Stück stattdessen ein fester Teil der Setlist.


8. Sex Pistols – Anarchy In The UK

Der Heartland Rock von Seger und Springsteen stand für eine sozialkritische Sicht auf die Dinge ein, die Lynott ungemein zusagte. Er selbst widmete sich in seinen Texten eindrücklichen Alltagsbetrachtungen. Er hatte aber auch nichts gegen die dezidierte Rotzigkeit der Punk-Bewegung einzuwenden, wie sich Ende der siebziger Jahre zeigte. Als Mitglied der Band The Greedy Bastards spielte er mit Paul Cook und Steve Jones von den Sex Pistols zusammen!

Hatte Lynott noch von Dylan gelernt, dass er als Musiker vor der versammelten Öffentlichkeit Fehler begehen musste, so schien das genau das gesamte Programm der spontanen Supergroup zu sein. Lynott beschrieb die erste Show der Band in London im Jahr 1978 als ungemein chaotisches Zusammentreffen. Immerhin aber verschuf er sich und seiner Hauptband so Respekt in Punk-Kreisen. Nicht selbstverständlich zu diesen Zeiten, als der „Dinosaurier-Rock“ der siebziger Jahre langsam unterzugehen schien.


9. Boomtown Rats – Rat Trap

Nach dem Punk kam die New Wave. Thin Lizzy überlebten die ersten Jahre der Achtziger nur mit einigem Ach und extrem viel Krach, bevor die Band sich auflöste. Das Publikum wollte einen neuen Sound und das ständig rotierende Besetzungskarussell um Lynott konnte ihnen diesen nicht geben. In Irland wurden die Boomtown Rats zu den neuen Lokalhelden. Eine Konkurrenz zwischen den beiden existierte allerdings nicht, ganz im Gegenteil.

Schon bei den Greedy Bastards hatten zeitweise zwei Rats-Mitglieder mitgemischt, Bob Geldorf und Pete Briquette. Mit Thin Lizzy allerdings stand lediglich Geldorf auf der Bühne und der Anlass war kein so freudvoller: Vier Monate nach Lynotts Tod trafen die Originalmitglieder auf dem von Geldorf organisiertem Self Aid-Konzert zusammen, um dem verstorbenen Freund und Partner ein letztes Ständchen zu singen.


10. Metallica – Whiskey In The Jar

Welcher Song im Mai 1986 angestimmt wurde? Natürlich Whiskey In The Jar. Die zuerst als Witz gemeinte Interpretation der Band hatte in den 14 Jahren zuvor ein denkwürdiges Eigenleben entwickelt. Noch heute gehört das Stück in das Repertoire vieler Rockbands und das in erster Linie wegen der bekannten Thin Lizzy-Version.

Als Metallica ihre Version des Stücks veröffentlichten, zollten sie damit auch explizit den irischen Kollegen Tribut. Kirk Hammett verriet sogar in einem Interview, dass das Eröffnungslick des Master Of Puppets-Solos auf einem Lick basierte, das der Thin Lizzy-Gitarrist Gary Moore häufig auf Konzerten spielte. Auch der Song The Unforgiven vom schwarzen Album der Band sei von Thin Lizzy beeinflusst, gab Hammett zu Protokoll. Wie so viele Hardrock- und Metal-Bands verdanken Metallica Thin Lizzy einiges und sind dankbar für die Musik, welche ihnen die stets unterschätzte Band geschenkt hat.


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