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Popkultur

Die musikalische DNA von Genesis

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Kaum eine Band erregt  dermaßen die Gemüter wie Genesis. Ja, selbst die Fanbase der britischen Band könnte gespaltener nicht sein: Magst du die frühen Prog-Tage der Band, damals, als Peter Gabriel noch dabei war? Oder stehst du eher auf den sauber ausproduzierten Sound der späteren Pop-Rock-Tage unter Phil Collins? Fünf Jahrzehnte nach Gründung in einem britischen Kaff in der Grafschaft Surrey gilt die Band, welche neben einigen stilistischen auch personelle Veränderungen durchlief, als eine der kommerziell erfolgreichsten Gruppen der britischen Musikgeschichte.


Hört euch hier die musikalische DNA von Genesis in einer essentiellen Playlist an:


 

Von der Gründungsbesetzung sind nur noch Tony Banks und Mike Rutherford übrig geblieben, der auf Solo-Pfaden sehr erfolgreiche Phil Collins rutschte im Laufe der Bandgeschichte immer weiter ins Rampenlicht. Seit einer Tour 2008 war von Genesis recht wenig zu hören. Die musikalische DNA von Genesis verläuft deswegen kreuz und quer durch die Epochen und Stile: Klassische Musik trifft auf Rockmusik, Blues und Soul auf Hip Hop – ein Genre, das wiederum die späten Genesis und Phil Collins stark beeinflussten sollten. Versuchen wir also, etwas Ordnung ins Chaos zu bringen und einigen wir uns solange darauf, dass letztlich alle Rockbands von einem gesunden Maß an Kontroverse am Leben erhalten werden!


1. Bee Gees – Holiday

Die Geburt von Genesis fand in einer britischen Privatschule statt, der Charterhouse School in Godalming. Tony Banks und Peter Gabriel lernten sich dort 1963 kennen, im folgenden Jahr stieß Mike Rutherford hinzu und noch bald schon kam auch Gitarrist Anthony Philips an. Bevor die vier sich aber mit Schlagzeuger Chris Stewart zusammen schlossen, spielten sie in zwei verschiedenen Bands, aus denen erst im Januar 1967 Genesis hervorging. Eine Demo wurde aufgenommen, ein Produzent für die gerade 15- bis 17-jährigen Teenager aber fehlte noch. Gefunden wurde er in dem Charterhouse-Alumnus Jonathan King, der ihnen einen Vertrag mit dem Traditionslabel Decca besorgen konnte. King war ein Freund von poppigen Sounds, dessen Ego die Band überschattete – selbst der Name Genesis war eine Anspielung auf den Beginn seiner Produzentenkarriere! Peter Gabriel ließ das nicht auf sich sitzen und  erlaubte sich einen kleinen Scherz mit dem Song The Silent Sun, den er im Stile der Bee Gees schrieb, die im Sommer 1967 ihren internationalen Durchbruch mit Singles wie Holiday feierten und dessen großer Fan King war.


2. The Moody Blues – Love and Beauty

Ab 1969 tgingen Genesis und King getrennte Wege, nachdem sowohl ihre ersten Singles sowie das Debütalbum From Genesis To Revelation floppten – unter anderem, weil die LP des Titels wegen von Plattenläden in die Abteilung mit christlicher Musik geräumt wurde! Damit war allerdings der Weg für einen komplexeren Sound geebnet, der nach der LP Trespass auf Nursery Cryme in den fantastischen Lyrics’ Peter Gabriels, dem nuancierten Schlagzeug des Neuzugangs Phil Collins’ und den aggressiven Gitarrenparts des Philips-Nachfolgers Steve Hacketts seinen Höhepunkt fand. Zusätzlich zu Hacketts Neuerungen wie etwa dem kongenial eingesetzten Gitarren-Tapping brachte Tony Banks ganz neue klangliche Qualitäten in die Band mit ein, als er sich von King Crimson ein Mellotron besorgte. Die hatten bereits mit In The Court Of The Crimson King vorgemacht, dass selbst Prog Rock hitverdächtig sein kann. Obwohl sie das natürlich nicht wollten. »Wenn es in irgendeiner Weise populär klang, war’s vorbei«, erklärte das ehemalige Crimson-Mitglieder Peter Sinfield. »Es musste kompliziert sein, mit ausladenden Akkorden und merkwürdigen Einflüssen.« Die Idee mit dem Mellotron, das später bei Genesis den komplizierten Sound stellte, kam ursprünglich von The Moody Blues, die das Instrument mit dem Song Love and Beauty populär machten. Aus dem Populären wurde bei King Crimson und Genesis dann das Komplizierte.


3. Johann Sebastian Bach – Suite For Cello Solo No. 1 in G, BWV 1007: 1. Prélude

Der Sound war eines, die komplexen Kompositionen der Prog-Rock-Genesis zu Gabriel-Zeiten ein anderes. Banks nannte Ravel, Schostakowitsch, Mahler und Rachmaninow als Einflüsse für seine Arbeit an den Keyboards, Hackett sogar gab zu Protokoll: »Ich bin mit dem Blues und Bach aufgewachsen, hätte aber nie gedacht, dass sie sich zu einer dritten Sache zusammenfinden würden!« Das taten sie aber, woran der Gitarrist durchaus beteiligt war. Die Idee für sein Gitarre-Tapping, das erstmals auf Nursery Cryme seinen Einsatz fand, war inspiriert von Johann Sebastian Bachs »Toccata und Fuge«. »Mir wurde klar, dass ich es mit den Standardtechniken nicht so nachspielen konnte, wie ich es hören wollte«, erinnerte er sich. »Deshalb habe ich angefangen, mit der rechten Hand auf dem Griffbrett zu tappen.« Ein ganz bestimmtes Bach-Stück wurde für die gesamte bei der Aufnahme ihres Albums Foxtrot umso wichtiger: Die Suite Nr. 1 in G-Dur, seinem Werkverzeichnis nach die 1007. Komposition, wurde zum Vorbild des Songs Horizons. Gespielt wurde es, na klar, von Hackett auf der Gitarre – allerdings ohne Tapping und dafür mit noch anderen Komponisten wie William Byrd im Hinterkopf.


4. West Side Story Act I: America

Genesis wären in ihrer klassischen Phase sicher nichts ohne ihren charismatischen Sänger Peter Gabriel gewesen, der einerseits mit seinem exzentrischen Auftreten in aufwändigen Bühnenkostümen und andererseits mit seiner unvergleichlichen Einbildungskraft seinen Teil zur Magie der Band beitrug. Dazu gehörten ebenso seine erzählerischen Qualitäten, die im letzten Album der Gabriel-Ära ihren Höhepunkt fanden. The Lamb Lies Down on Broadway von 1974 wird oftmals als das definitive Genesis-Album betrachtet, markierte aber zugleich den Beginn innerer Zerwürfnisse. Gabriel verwarf die Idee Rutherfords, ein Konzeptalbum zu Antoine de Saint-Exupérys Le Petit Prince zu schreiben und ließ sich stattdessen von Filmen des kauzigen Regisseurs Alejandro Jodorowskys, dem Psychoanalytiker C. G. Jung oder der britischen Allegorie The Pilgrim’s Progress aus dem 17. Jahrhundert inspirieren. Grundlage für die Geschichte des Halb-Puerto-Rikaners Rael aber wurde der Roman beziehungsweise das Musical West Side Story, das wie The Lamb Lies Down on Broadway in New York spielte. Und das, obwohl Genesis noch mit Selling England by the Pound aus dem Vorjahr klar machen wollten, dass sie sich nicht an die US-amerikanische Kultur verkaufen wollten! Aber die Faszination mit America ist schließlich auch eines der Hauptmotive der West Side Story.


5. Frank Zappa & The Mothers – More Trouble Every Day (Live 1974)

Was tun, wenn die Gallionsfigur plötzlich das Handtuch wirft? Auf Gabriels Weggang folgte im Hause Genesis eine lange Zeit der Umstrukturierung, die weitreichende Konsequenzen haben sollte. Einige Sänger wurden ausprobiert, zufrieden war die Band jedoch mit niemandem – bis Phil Collins selbst im Studio den Song Squonk probe sang. Das gefiel allen, ein neues Kapitel der Bandgeschichte wurde aufgeschlagen und der Drummer fand sich plötzlich im Rampenlicht wieder.


Schaut euch hier eine Live-Version des Songs More Trouble Every Day an und lest weiter:


 

Dort aber benötigte er Unterstützung. Die fand er unter anderem in Chester Thompson, dem Drummer von Frank Zappas Band und Weather Report. Nachdem Collins eine LiveAufnahme vom Zappa-Song More Trouble Every Day auf dem Album Roxy & Elsewhere gehört hatte, rekrutierte er den Schlagzeuger ohne weiteres Vertun für das Konzert-Line-Up von Genesis. »Es hat mich total umgehauen«, erinnerte er sich. »Ich hatte ihn nie getroffen, rief ihn aber an und sagte: ‘Hi Chester, ich hab deinen Kram gehört – willst du bei Genesis spielen?’ Er hat nicht mal probegespielt!« Allerdings gab es auf Roxy & Elsewhere genug Material von Thompson zu hören, um das überflüssig zu machen.


7. Eric Clapton – Tears In Heaven

Die Wahl des gleichermaßen in Jazz wie Blues geschulten Aushilfsdrummers allerdings ist so überraschend nicht: Wie viele englische Bands der sechziger Jahre waren auch Genesis von Anfangstagen an vom Blues infiziert! Einer der herausragendsten britischen Blues-Gitarristen überhaupt ist Eric »Slowhand« Clapton. Er ebnete mit den Yardbirds, Cream und Blind Faith vielen anderen Bands den Weg, wie er auch später im Laufe seiner Karriere etwa durch eine Coverversion von Bob Marleys I Shot The Sheriff dem Genre Reggae Mainstream-Aufmerksamkeit im verschlafenem UK verschaffte. Clapton ist ein guter Freund von Phil Collins und als im Jahr 1991 sein Sohn Conor überraschend verstarb, verarbeiteten beide ihre Trauer auf ganz unterschiedliche Arten. Während Claptons Tears In Heaven, das durch seine legendäre MTV Unplugged-Session weltbekannt wurde, noch sanfte Akustik-Gitarren auffährt, zeigte Collins mit Since I Lost You seine vollen Gesangsqualitäten. Als vorletztes Stück des Albums We Can’t Dance setzt es allerdings auch einen Schlusspunkt nach drei Alben aus den achtziger Jahren, mit welchem sich Genesis immer mehr einem Pop-Rock-Sound zuwendeten, der Fans der ersten Stunde nicht gefiel und welcher der Band dennoch bahnbrechende Erfolge bescherte.


8. The Beatles – Twist and Shout

Mit ihrer ungewöhnlichen Erfolgsgeschichte näherten sich Genesis zunehmend den Sphären an, in denen eine andere britische Band unterwegs waren. The Beatles allerdings fingen als sympathische Pop-Rocker an und entwickelten sich immer mehr zu einer Avantgarde-interessierten Band, die also ziemlich genau den umgekehrten Weg wählte. Die Fab Four allerdings waren schon immer große Vorbilder von Genesis. Als Gabriel hörte, dass John Lennon eines ihrer Alben gelobt habe, bedeutete dies für ihn eine der größtmöglichen Auszeichnungen. »Wir waren unglaublich stolz darauf«, bestätigte auch Hackett im Nachhinein. Collins verbindet mit der Band sogar noch mehr: Er spielte Schlagzeug auf dem George Harrison-Album All Things Must Pass und hatte sogar eine Komparsenrolle im Film A Hard Day’s Night, welcher drei Jahre vor Gründung von Genesis erschien. Ihren Tribut zollte die Band dem Quartett aus Liverpool allerdings erst 1982 mit einer EP, welche Aufnahmen aus der Abacab-Zeit versammelte und deren Cover sich an die Twist and Shout-Single der Beatles anlehnte.


8. The Impressions – Talking About My Baby

Die Beatles waren allerdings nicht die einzigen, auf die sich die Köpfe hinter Genesis einigen konnten. Sowohl Gabriel wie auch der spätere Frontmann Collins teilen etwa eine Leidenschaft für Otis Redding und die Soul-Musik, welche von Labels wie Stax oder Motown weltberühmt gemacht wurde. Beide nannten sie so etwa Curtis Mayfield als Inspiration, dessen Song Talking About My Baby mit der Band The Impressions Phil Collins später auf seinem Motown-Coveralbum Going Back aus dem Jahr 2010 neu interpretieren sollte. Nicht das erste Mal, dass er dem 1999 verstorbenen Sänger Tribut zollte: Schon 1994 erschien seine Version von I’ve Been Trying auf der Compilation A Tribute to Curtis Mayfield. Gut kamen diese Versionen allerdings nicht unbedingt an – während seiner Karriere war Collins stetiger Kritik von Fan und Musikpresse ausgesetzt. Der Schatten, den der stimmlich wesentlich agilere und ausdrucksstärkere Gabriel für Jahrzehnte auf sein Schaffen warf, scheint er bis heute nicht losgeworden zu sein…


9. Grandmaster Flash & The Furious Five – The Message

Dabei war es doch eigentlich Collins, der Genesis in die Neuzeit herüber retten konnte. Anfang der achtziger Jahre nämlich waren die Tage des ausgelassenen Stadionrocks gezählt. Mit Punk, Disco und nicht zuletzt Hip Hop machten sich andere Musikstile daran, die Popwelt ordentlich aufzurütteln. Der 1983 auf dem Album Genesis erschienene Song »Mama« etwa verwendete nicht nur eine Drummachine, wie sie insbesondere in Collins’ Solo-Produktionen zu seinem Markenzeichen werden sollte, sondern enthält der Legende nach auch eine versteckte Referenz auf einen Rap-Track, der Musikgeschichte schrieb. Ein Jahr zuvor erschien mit The Message von Grandmaster Flash & The Furious Five einer der wichtigsten Songs der frühen Hip Hop-Szene. Das charakteristische Lachen von Rapper Melle Mel soll Collins sich zum Vorbild für sein eigenes trockenes Gelächter genommen haben. »Was für ein toller Sound!«, schwärmte er und gab im selben Zug zu, dass Rap definitiv seinen Einfluss auf Genesis gehabt hätte.


10. Kanye West – Paranoid

Die Geschichte von Phil Collins und Hip Hop aber sollte eine gemeinsame werden. Von Ol’ Dirty Bastard über Lil’ Kim bis zu Bone Thugs-n-Harmony, die sich Collins sogar als Feature-Gast einladen konnten, oder aber neueren Acts wie Abra geben viele Artists aus dem R’n’B- und Rap-Bereich Collins als Inspiration an. Warum? Einerseits sicherlich wegen seiner Songwriter-Qualitäten, andererseits aber wegen seinem stilprägenden Umgang mit Drums und vor allem Drumcomputern. Der sogenannte »Gated Reverb«-Effekt von Collins’ Drum-Sound ist neben seinen Arbeiten mit der Roland CR-78 (In The Air Tonight) und der für Hip Hop wie später auch House und Techno maßgeblichen TR-808 (Another Day In Paradise) ganz besonders wichtig gewesen. Da war außerdem der merkwürdig glatte, Gesang auf Stücken wie In The Air Tonight, den Kanye West schon bei Gelegenheit live gecovert beziehungsweise bei Konzerten eingespielt hat und welcher Wests Autotune-Arien vorwegzunehmen schien. Dessen Album 808s & Heartbreak ist nicht nur »the coldest story ever told«, sondern auch stark von Collins und dessen 808-Experimenten beeinflusst. Der »Gated Reverb«-Effekt taucht dort selbstverständlich auch wie im Song Paranoid auf. Was das noch mit Genesis zu tun hat? Nun ja, zuerst war der Sound auf dem Stück »Intruder« eines gewissen Peter Gabriel zu hören – und ratet mal, wen sich der ehemalige Genesis-Frontmann dafür ins Studio geholt hatte!


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Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.

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Header-Bild Credit: Kreepin Deth/Wiki Commons

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.

von Christof Leim

Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.

Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:

Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.

Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“

Längt beschlossene Sache

Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“

Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.

Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.

Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.

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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.

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Popkultur

„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?

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Foto: Noam Galai/Getty Images

Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch The Record anhören:

Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.

Wie einst Nirvana

Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.

Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.

Die Avengers der Indie-Welt

Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.

Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.

Musste Rick Rubin draußen bleiben?

Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.

The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.

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boygenius: Wer steckt hinter der Indie-Supergroup?

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Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.

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Chuck Berry Johnny B Goode Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.

von Christof Leim

Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.

Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.

Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry

Aus dem Stand ein Hit

Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.

Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.

Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.

Da kommt noch mehr

Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.

Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.

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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.

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