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Popkultur

Duff McKagan: „Bloß keine bekloppten Reimpaare – also fire auf desire geht gar nicht!“

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Foto: Theo Wargo/Getty Images for CBGB

So reif klang er noch nie: Guns N’Roses-Bassist Duff McKagan hat sich nach gut zwei Jahrzehnten relativ überraschend mit einem neuen Soloalbum zurückgemeldet. Es ist streng genommen erst sein zweites, nachdem das zuvor geplante Solo-Zweitwerk kurz vor der Jahrtausendwende auf Eis gelegt worden war.

von Renko Heuer

Auf der im Frühsommer veröffentlichten neuen LP überführt der 55-Jährige persönliche Beobachtungen und Eindrücke von der letzten großen Guns N’Roses-Tour in ungewöhnlich ruhige, fast schon introspektive Songs, wobei ihm Country-Producer Shooter Jennings (der Sohn von Waylon Jennings) und dessen Band durchweg zur Seite standen. Das Album, das der in Seattle lebende Musiker selbst als vertonten Nachfolger seiner letzten Buchveröffentlichungen (u.a. How To Be A Man: and other illusions, 2015) versteht, heißt nicht ohne Grund Tenderness – „Zärtlichkeit“: Weil McKagan mit sehr viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen den spalterischen Kräften in der Gesellschaft entgegenwirken will. Wir haben ihn wenige Tage vor dem Auftakt seiner Europatour gesprochen, in deren Rahmen im August auch drei exklusive Konzerte in Deutschland auf dem Programm stehen…

  • 23. August 2019 – Berlin, Astra
  • 26. August 2019 – Köln, Gloria
  • 27. August 2019 – Mannheim, Alte Feuerwache

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Nur noch wenige Tage, bis die große Europatour beginnt. Was bedeutet das für deinen aktuellen Tagesablauf in Seattle: Vorher noch mal richtig entspannen – oder laufen die Vorbereitungen gerade auf Hochtouren?

DMK: Ehrlich gesagt läuft das dieses Mal so, dass wir erst ganz kurz vor dem Abflug Zeit für die Konzertproben haben werden. Der Grund ist ganz einfach: Shooter (Anm.: Jennings, McKagans Produzent und Live-Begleitung) und seine Band sind aktuell selbst noch auf Tour, und sie kommen dann erst zurück. Richtig geprobt wird also erst kurz vor dem Abflug nach Europa.

Wow, klingt nach einer Last-Minute-Aktion.

DMK: Oh ja, Shooter ist echt ganz schön busy. Aber ich für meinen Teil bereite mich jetzt schon langsam vor: Ich habe nämlich schon damit angefangen, richtig früh morgens aufzustehen. Das mache ich immer, wenn ich die USA verlasse. Vier Tage vor dem Abflug stehe ich um fünf auf, am Tag drauf schon um vier, und so weiter…

Verstehe.

DMK: Auf diese Weise bin ich schon perfekt an die Zeitzone angepasst, wenn ich in Europa ankomme. Das ist mein großes Geheimnis!

Shooter & Duff. Pic: Scott Dudelson

Und jetzt ist es raus! Aber sprechen wir über Tenderness – das Album und die Idee dahinter, also die wirkliche „Zärtlichkeit“. Wann kam dir diese Einsicht, dass es der Welt aktuell an Zärtlichkeit mangelt?

DMK: Nun, es war eher umgekehrt. Erst mal fiel mir auf, dass immer die falschen Ideen im Diskurs an die Oberfläche gespült werden. Sie dominieren die Schlagzeilen. Ich bin zwar kein Experte, aber ich lese viel über die Geschichte, überhaupt ist Lesen seit 25 Jahren mein großes Hobby. Lesen und Reisen. Mich fasziniert einfach die Geschichte der Menschheit. Entscheidend war nun diese Idee der Gespaltenheit, die plötzlich überall diskutiert wurde.

Das fiel dir auf, als du selbst vor ein paar Jahren „zu tief ins Twitter-Universum“ abgetaucht bist, richtig?

DMK: Richtig. Diese Gespaltenheit war überall das große Thema. Und direkt vor dem Startschuss für unsere große Guns-Tour hab ich mich da voll reingesteigert, in diese ganzen News-Geschichten. Ich fragte mich schließlich: „Woher kommt denn diese neue Kluft?“ Immerhin reise ich seit 1984 quasi nonstop, und ich konnte sie in der echten Welt einfach nicht finden. Und besonders während der Tour kam ich dann überall mit Leuten in Kontakt. Ich mache immer auch so etwas schräge Touristen-Sachen, und da kommt man ins Gespräch mit den Einheimischen. Ich bleibe dabei gerne inkognito, fahre z.B. in die kleine Nachbarstadt oder so. Na ja, und so wurde mir klar, dass diese Gespaltenheit eher ein mediales Phänomen war. Mehr nicht. Und es war eine gefährliche Schlagzeile. Dabei habe ich schon in meinen Kolumnen und Büchern ein paar Ideen zu solchen Dingen untergebracht – ohne zu predigen!

Und genau das war jetzt also der Ansatz für das neue Soloalbum?

DMK: Ja, so kann man das sagen: Ich wollte damit Sichtweisen und Ideen einbringen, mehr nicht. Ein Statement darüber machen, was wirklich abgeht in der Welt.

Dabei hast du diese neuesten Ideen doch tatsächlich zuerst als Essays ausformuliert – und hast erst später eingesehen, dass ein Album dieses Mal das bessere Format wäre…

DMK: Ich hab auf Tour ein paar sehr gute Bücher über das aktuelle Zeitgeschehen gelesen, und ich hatte das Gefühl, dass ich dem kaum etwas hinzuzufügen hatte – zumindest nicht als Buch.

Wie schwer war es denn, den richtigen Ton zu finden für die neuen Songs, also gerade nicht als predigend rüberzukommen? Gab es Passagen, die gar nicht gingen?

DMK: Davon gab’s etliche Stellen! Schließlich gab es ja auch viel mehr Songs, als auf dem Album vertreten sind. Ein paar davon waren echt ganz gut, aber zugleich einen Tick zu krass. Sie passten halt nicht rein. Insgesamt habe ich mich, was den Ton der LP angeht, ja z.B. voll auf das „Wir“ konzentriert und wenig von mir gesprochen. Und ich hab echt lang am Feinschliff der Texte gesessen, damit auch alles sitzt – und die Songs eben nicht predigend klingen. Von dem moralisierenden Mist gibt es so viel gerade! Echt erdrückend finde ich das.

Würdest du denn sagen, dass deine Erfahrungen als Leitartikel- und Buchautor abgefärbt haben auf dein Songwriting? Gab es da Lektionen, die sich übertragen lassen?

DMK: Oh, ja, gewiss! Also wenn ich z.B. gerade an einem Buch oder einem Text sitze, dann lese ich parallel zu meiner Arbeit nur die besten Autoren. Ich will nicht abschreiben bei ihnen, aber ich möchte, dass diese hohe Qualität mich gewissermaßen inspiriert. Bei Büchern sind das z.B. Cormac McCarthy, Ernest Hemingway… richtig gute Leute. Ich lege die Latte damit absichtlich hoch. Und dieser Ansatz hat mir wohl auch geholfen, meine Songtexte noch präziser zu machen. Noch kondensierter. À la „keine überflüssigen Worte… und bloß keine bekloppten Reimpaare“ – also fire auf desire geht gar nicht!

Haha! Ja, gerade Hemingway mit seinem Eisberg-Ansatz ist natürlich ein perfektes Vorbild für diesen Minimalismus. Aber zugleich waren ja offensichtlich auch quasi-journalistische Exkursionen ein wichtiger Einfluss… du bist doch zu den Obdachlosen in Seattle gegangen, um den Song Cold Outside schreiben zu können, nicht wahr?  

DMK: Das stimmt. Ich war mehrfach an diesem Ort hier in Seattle, den man The Jungle nennt. Es ist echt krass da, einer der schlimmsten Orte in den Staaten. Ich kenne ein paar Jungs, die dort in einer Mission arbeiten; sie waren selbst früher obdachlos und haben es da raus geschafft. Heute kümmern sie sich darum, dass Socken, Saft und Medikamente verteilt werden. Irgendwann erkannte ich, dass 85% der Fälle dort auf psychischen Erkrankungen basieren – kombiniert mit Drogenabhängigkeit. Und es sind auch keine Leute dort, die vorher ein normales Familienleben geführt haben; die nämlich landen woanders, landen weicher, weil es durchaus ein paar Absicherungsmechanismen gibt – genau wie bei euch in Deutschland. Das hier sind eher Leute, die wohl nie eine Chance hatten. Missbrauch in der Familie, im Heim, und danach Drogen als einziger Weg daraus…

Klingt hart.

DMK: Ja, und was ich auch gelernt habe, ist, dass ich selbst gar nicht so weit davon entfernt war. Ich hatte Glück. Großes Glück. Mir ist nichts passiert als Kind. Aber es hätte passieren können. Schließlich passiert das so oft – und überhaupt die psychischen Probleme! Es war also einfach ein Lehrstück, eine wichtige Erfahrung für mich selbst. Weil ich selbst Angst davor habe, weil ich selbst einer von ihnen sein könnte. Ich habe auch mein Verhalten dadurch geändert: Ich rede jetzt immer mit Obdachlosen, wenn ich sie sehe. Ja, und was den Song angeht: Ich wollte halt meinen kleinen Beitrag leisten – und vielleicht kann ich damit auch ein paar Fans inspirieren, selbst aktiv zu werden, mitzuhelfen in so einer Mission… das größte Problem bei uns in den USA ist letztlich die Sache mit den psychischen Erkrankungen. Geistige Gesundheit – das ist das Kernproblem.

Inwiefern?

DMK: Nun ja, ich finde, wenn man an die ganze Waffengewalt denkt, die ganzen Schießereien – all das resultiert letztlich aus psychischen Problemen. Es gibt ja nicht den Typen, der ganz plötzlich zu sich sagt: „Heute hole ich mir mal eine Knarre und lege alle bei mir in de Schule um.“ Die Sache ist viel größer, fängt sehr viel früher an… es ist ein lebenslanges Problem, das davor nicht behoben werden konnte. Und ich habe diese Exkursionen nicht nur während der langen Guns-Tour gemacht, sondern schon immer – weil es mich interessiert, als Bürger, als Vater. Auch ich habe ein paar Sachen durchleben müssen, aber ich habe es zum Glück geschafft, sie hinter mir zu lassen.

Vergiss Guns N’ Roses Lies! Hier sind die GnR Fun Facts!

Und es scheint ja noch mehr Themen zu geben, die in Songs überführt werden wollen: Stimmt es, dass du Shooter Jennings schon wieder die nächsten Songideen geschickt hast – für ein weiteres Soloalbum? Erst kam zwei Jahrzehnte gar nichts, und plötzlich geht es Schlag auf Schlag…

DMK: Ja, das stimmt. In den letzten fünf, sechs Jahren habe ich sehr viel geschrieben. Und daran würde ich gerne wieder mit Shooter arbeiten…

Wir sind gespannt! In ein paar Wochen steht jedoch erst mal der 20. Hochzeitstag auf dem Programm – während der Europatour! Wie feiert denn das Ehepaar McKagan so ein Jubiläum?

DMK: Oh ja, 20 Jahre! Ich will jetzt nicht alles verraten, hier hören nämlich auch Leute mit… aber wir werden an dem Tag in Amsterdam sein. Als reiferes Paar stehen Susan und ich voll auf Amsterdam. Eine lustige, sexy Stadt ist das! Und uns beiden geht’s super. Als Paar ging’s uns ehrlich gesagt nie besser als heute.

Klingt beneidenswert. Guten Tourstart und danke fürs Gespräch!

Zeitsprung: Am 5.2.1964 kommt Duff McKagan von Guns N’ Roses zur Welt.

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