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Popkultur

Ein Stachel im System: Vivienne Westwoods Einfluss auf den Punk

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Vivienne Westwood
Foto: David M. Benett/Dave Benett/Getty Images

Am 29.12.2022 starb Modeikone Vivienne Westwood im Alter von 84 Jahren. Wir erinnern uns an ihren immensen Einfluss auf die Gegenkultur.

von Markus Brandstetter

SEX. Drei Buchstaben, die die Ästhetik des Punk definieren sollten wie keine anderen. Zwei Jahre lang gab es die Boutique SEX, die Vivienne Westwood und ihr damaliger Partner Malcolm McLaren führten, unter diesem Namen. Gelegen in der 430 King’s Road in London hatte sie zuvor schon etliche Namenswechsel unterlaufen. Zunächst hatten McLaren und sein Kumpel Patrick Casey ein Hinterzimmer der damaligen Paradise Garage an derselben Adresse gemietet und dort Rock’n’Roll-Memorabilia aus den 1950er-Jahren verkauft.

Teddy Boys und Punks

Später übernahmen McLaren und Casey den gesamten Laden — und McLaren brachte seine Freundin Vivienne Westwood mit an Bord. Der Laden wurde in Let It Rock umgetauft, verkauft wurden unter anderem von Westwood geschneiderte Teddy-Boy-Klamotten. Lange sollte dies nicht so bleiben, denn Westwoods Partner zeigte sich schnell unzufrieden, wie er in einem Interview erzählte: „Innerhalb eines Jahres war ich von all dem gelangweilt. Gelangweilt von den immer gleichen Ersatz-Teddy-Boys aus den Vorstädten, die von Gott weiß woher eintrudelten. Gelangweilt von den Hippies und Flüchtlingen der Swinging 60s in Chelsea, die nach Wohltätigkeit und Freundlichkeit suchten. Gelangweilt von den Ansprüchen der BBC-Garderobenabteilung und ihren furchtbaren Revival-TV-Shows. Ich fühlte mich wie Steptoe und Sohn. Ich war in totem Gewebe verloren. Ich wollte etwas Neues.“ Der Laden wurde in Too Young To Die umbenannt und verkaufte Rocker-Mode, 1974 dann wurde daraus SEX. Und damit das (nicht nur) ästhetische Epizentrum des Punk.

 

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Vivienne Westwood: Gegen das Establishment

SEX verkaufte unter anderem von Westwood gefertigte Fetisch-Mode. „Beeinflusst wurde sie von ledergekleideten Bikern und Pinup-Girls der 1950er Jahre, der Bondage-lastigen S&M-Subkultur mit ihrer Hardware und einem DIY-Einfallsreichtum – Sicherheitsnadeln, Reißverschlüsse, zufällige Säume – in Verbindung mit traditionellen Stoffen wie Tartan“, schreibt der britische Sender über Westwoods damalige Punk-Mode, die in SEX verkauft wurde und schon bald die Erscheinung der Gegenkultur war. Freilich nannte Westwood das zunächst nicht Punk – was hier passierte, wurde „Anti-Fashion“ tituliert. SEX, das war ein zweifellos subversiver Laden, in dem unter anderem eine gewisse Chrissie Hynde (später bei The Pretenders) und das Model Jordan arbeiteten.

Der Laden zog die frühe Punkszene magisch an. Steve Jones, Gitarrist der gerade aufkommenden Sex Pistols (vormals The Strand), war Stammgast, im Laden wurde auch Johnny Rotten zur Band gebeten — und nicht nur McLaren, der die Band managte (und in den Augen vieler erfand), war höchst einflussreich auf das Gesamtpaket Sex Pistols, sondern auch Westwood. Dabei wollte die Designerin nicht einfach nur Mode machen, sondern definitiv auch ein politisches Statement setzen, den „Status Quo konfrontieren“, wie sie einmal erklärte. Sie meinte, Punk hätte das Potenzial, ein Stachel im System zu sein: „Es hat die Sichtweise der Leute verändert. Ich hatte eine messianische Einstellung zum Punk und wollte sehen, ob man dem System irgendwie einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Mir wurde klar, dass es keine Subversion ohne Ideen gibt. Es reicht nicht aus, alles zerstören zu wollen“, erklärte sie 2002 in einem Interview mit The Independent. Als die Sex Pistols 1976 mit God Save The Queen die Nummer eins der britischen Charts schafften, aber von der BBC boykottiert wurden, benannte sie den Laden in Seditionaries um.

 

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Noch bevor das Jahrzehnt vorbei war, waren die Sex Pistols wieder Geschichte und Sid Vicious tot. Vivienne Westwood war desillusioniert und gelangweilt, nicht nur vom Ende der Sex Pistols sondern auch von der Mainstream-Übername der Punkkultur. „Die Punk-Bewegung … war einfach eine Mode, die für die Leute zu einer Vermarktungsmöglichkeit wurde“, erklärte sie 2012 gegenüber The Guardian einigermaßen desillusioniert.

Vivienne Westwood trauerte dem nicht lange hinterher. 1981 veröffentlichte sie ihre erste richtige Modekollektion Pirate. Sie etablierte sich als eine der größten Modemacher:innen der Welt, blieb politisch und subversiv, wurde aber auch vom Mainstream verehrt und geliebt. Sie schrieb mehrfach Geschichte und ist längst nicht auf Punk zu reduzieren — die Punk-Ästhetik bleibt aber auf ewig mit ihr verbunden.

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