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Popkultur

40 Jahre „The Game“: Wie Queen ihren Wendepunkt erreichten

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Queen
Foto: John Rodgers/Redferns/Getty Images

Nach einem Schluckauf in den späten Siebzigern betreten Queen die Achtziger mit einem fulminanten Beweis ihrer Überlegenheit. Aufgenommen in München, ist The Game dennoch der langsame Anfang vom Ende.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr The Game hören:

Ende der Siebziger dreht sich der Wind für Queen. Nachdem die Band in den Jahren zuvor wie kaum eine zweite das Rock-Geschehen bestimmte, leitete und prägte, schleichen sich gegen 1978 erste Abnutzungserscheinungen ein. Ihr Album Jazz, obgleich heute für seine eklektische Natur verehrt und geschätzt, fährt negative Kritiken ein, die der erfolgsverwöhnten Gang in dieser Form vollkommen unbekannt gewesen sein mussten. Dave Marsh vom Rolling Stone straft sie als „erste faschistische Rock-Band“ ab und kritisiert ihr pseudoelitäres, hochnäsiges Verhalten, das man nur wenige Jahre zuvor noch mit Begeisterung goutierte. Ikonen fallen schnell.

Schlangenbeschwörer und Illusionisten

Die Tournee kann das teilweise wettmachen, verblüfft mit Schlangenbeschwörern, Illusionisten, Cross-Dressern und einer „dicken nackten Frau, die Zigaretten mit ihrem Schritt raucht“, wie sich ein ungläubiger James Henke 1981 im Rolling Stone erinnert. Weil die Konzertreise aber schon während der anstrengenden finalen Aufnahmen für Jazz startet, ist Freddie Mercurys Stimme Zeitzeug*innen zufolge weit von der Klasse der legendären News-Of-The-World-Tour nur wenige Monate zuvor entfernt.

Man merkt an dieser engen Taktung, wie viel Queen damals abverlangt wird. Ruhepausen gibt es für die Band der Stunde nicht, Alben und Tourneen geben sich die Klinke in die Hand. Dazwischen soll man dann auch noch kreativ sein, die nächste kolossale Überraschung aus dem Ärmel schütteln, die Menschen mit Hits verzücken und extravaganten Einfällen verzaubern. Das klappt mit Jazz trotz Klassikern wie Don’t Stop Me Now oder Bicycle Girls damals nicht so richtig. Guter Rat ist also teuer, Queen überlegen gründlich und mit rauchenden Köpfen (und Zigaretten), wie sie die neue Dekade mit dem richtigen Fuß betreten können.

Sprung ins kalte bayerische Wasser

Für eine Band, die bis dato auf Händen getragen wurde und alles zu Gold verwandelte, was sie nur flüchtig ansah, ist das eine vollkommen fremde Situation. Auch eine, die ungeahntes kreatives Potential freisetzt. Rock-Royalty sind Queen immer noch. Doch jetzt merken sie zum ersten Mal, dass es damit auch irgendwann vorbei sein kann. Wo andere Bands entweder zu blind, naiv, selbstgefällig oder alles zusammen sind und sich gnadenlos überschätzen, zeigen sich Queen als offen, reflektiert und mutig. Und werfen so gut wie alles über den Haufen, was sie bisher kennen.


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Erstmals werden sie ein Album in zwei Sessions aufnehmen. Vor allem aber wird erstmals ein Wort auf einem Queen-Album auftauchen, das sonst nur in Form einer Negation auftauchte: Synthesizer. Klebte man zuvor selbstbewusst No-synthesizers-Sticker auf die Plattenhüllen, so tat man das nicht etwa, um den krassen Rock-Hardliner raushängen zu lassen, der dieses Instrument verpönt. Vielmehr wollten Queen zeigen, dass jedes Solo, jedes orchestrale Arrangement, jede Laune dieser wahnwitzigen Schöpfer organisch erzeugt wurde. Damit ist ab Juni 1979 Schluss. Nachdem man die Live-Platte Live Killers veröffentlicht hat, folgt die Band dem Ruf eines verheißungsvollen Produzenten nach München, um ihr achtes Album The Game in Form zu bringen.

Unter einem Hotel entsteht Musikgeschichte

In den neuen Musicland Studios von Giorgio Moroder ist es vor allem dessen Kompagnon Reinhold Mack, der die britischen Bands von den ungeahnten technischen Möglichkeiten dieses Soundtempels unter dem Arabella Hotel überzeugt. Marc Bolan und T.Rex entdecken dieses Studio schon 1973, gefolgt von Led Zeppelin, die 1976 hier Presence aufnehmen. Jetzt wollen auch Queen ins Musicland, um sich einen neuen Sound, eine neue Attitüde zuzulegen. Ein Jungbrunnen, der Mack eine Grammy-Nominierung und Queen ihren nächsten gewaltigen Hit einbringt.

„Er konnte dort machen, was er wollte“: Freddie Mercurys München-Jahre

Doch dazu muss die Platte natürlich erst mal aufgenommen werden. In zwei Sessions entstehen Stücke, die die eklektische Natur des umstrittenen Vorgängers durchaus aufgreifen. Aber eben irgendwie runder, stimmiger vereinen. Und mit diesem neuen elektronischen Sound legieren. Bis es soweit ist, müssen sich Mack und die Band aber erst mal aneinander gewöhnen. Mack kann seine neuen Schützlinge davon überzeugen, live aufzunehmen; vor allem aber weiht er sie in die geheimen Künste des Synthesizers ein (ein Modell der Marke Oberheim OB-X). Der ist vielleicht weniger wichtig für die sagenhaft erfolgreiche Vorab-Single Crazy Little Thing Called Love, die Mercury in der Badewanne in einer Suite des Bayerischen Hofs in München schreibt, wo die Band während der Aufnahmen residiert: Auch ohne Synthie-Einsatz klettert sie in den USA und zahlreichen anderen Ländern auf die Nummer eins.

Flash Gordon lässt grüßen

Andere Momente des Album erhalten durch den bislang ungeahnten Einsatz dieses Instruments aber einen hübsch spacigen Drive, der gewissermaßen ihren im selben Jahr folgenden Soundtrack für Flash Gordon ankündigt. „Alles war anders“, erinnert sich Brian May. „Wir stellten unsere komplette Studio-Vorgehensweise auf den Kopf, weil Mack einem vollkommen anderen Hintergrund hatte. Bis dato dachten wir, es gibt nur diese eine Art und Weise, Songs aufzunehmen.“  Mack ist es, der Queens Geist für moderne Aufnahmetechniken öffnet. Michael Jackson hingegen ist es, der sie davon überzeugt, Another One Bites The Dust als vierte Single auszukoppeln. Zack, getan, wieder eine Nummer eins in den USA.

Überhaupt erobern sich Queen mit The Game im Juni 1980 ihre Pole Position unter dem weltweiten Rock-Adel zurück. Die Platte verteidigt ganze fünf Wochen lang die Spitze der Billboard 200 und kann allein in den USA über vier Millionen Einheiten absetzen. Es folgt ein weiterer ausufernder, versehrender Triumphmarsch: Allein drei ausverkaufte Shows im Madison Square Garden im September, im Februar 1981 dann die Eroberung Südamerikas, wo sie als erste Rock-Band überhaupt in großen Stadien spielen.

Karrieresuizid?

Der Erfolg von The Game ist dennoch der langsame Anfang vom Ende. Obwohl der 1982er Nachfolger Hot Space auch überwiegend in München entsteht, ist die Band darauf nicht wiederzuerkennen. Dance, Disco und Funk bestimmen urplötzlich das Bild, wahrscheinlich angeheizt durch ihren Erfolg mit dem an sich untypischen Another One Bites The Dust. Den Fans gefällt das Ergebnis ebenso wenig wie Roger Taylor und Brian May, die den Einfluss von Mercurys Manager Paul Prenter dafür verantwortlich machen. Der war aber eben nicht nur sein Manager, sondern auch sein Liebhaber, der ihm bekanntlich Drogen und Bettgeschichten besorgt und ihn von der Band abschottet. Mit der ganz großen Karriere in den USA ist es damit mehr oder weniger vorüber; es untermauert aber den überlebensgroßen Status von Queen, dass sie sich auch nach dieser Schlappe berappeln, jede Menge großartige Musik veröffentlichen. Und 1985 bei Live Aid im Wembley Stadium mal so eben die Show ihrer Karriere auf die Bretter bringen.

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