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Popkultur

Zeitsprung: Am 20.5.1979 fliegt Elton John für eine Tour in die Sowjetunion.

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Elton John

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 20.5.1979.

von Timon Menge und Christof Leim

Gegen Ende der Siebziger können sich die USA und die Sowjetunion alles andere als gut riechen. Elton John ist das egal. Der Superstar hat genug vom Geld verdienen und möchte stattdessen die Welt bereisen. Am 20. Mai 1979 wagt er als erster Musiker den Schritt hinter den eisernen Vorhang.

Hört hier in A Single Man ein:

Im Mai 1979 befinden sich die USA und die Sowjetunion knietief im Kalten Krieg. Noch gegen Ende des Jahres erreicht der Konflikt mit dem Streit um atomare Mittelstreckenraketen einen seiner traurigen Höhepunkte. Elton John lässt sich davon nicht abschrecken: „Wir möchten an Orten auftreten, die wir noch nie zuvor besucht haben“, gibt er in einem Interview mit United Press International zu Protokoll. „Die meisten Rock’n’Roller spielen dort Shows, wo man Geld verdienen kann, aber davon habe ich genug. Ich möchte unterschiedliche Menschen auf der ganzen Welt kennenlernen.“ (Interessanterweise hatte John erst anderthalb Jahre zuvor angekündigt, dass er keine Konzerte mehr geben möchte. Das war glücklicherweise aber schnell vergessen.)

Was sich bei John so locker anhört, kann aus politischer Perspektive kaum unterschätzt werden: Er ist der erste westliche Rockstar, der sich hinter den eisernen Vorhang traut. Der Grund dafür erweist sich laut eigener Aussage als denkbar einfach: „Sie wollen Paul McCartney, Eric Clapton, Neil Diamond, Nana Mouskouri und Pink Floyd“, erzählt er zu jener Zeit der Associated Press. „Sie haben uns gesagt, dass nur deshalb noch kein westlicher Musiker in der Sowjetunion aufgetreten ist, weil noch keiner von ihnen um Erlaubnis gebeten hat.“ Nach Johns Vorstoß dauert es nicht lange bis auch Carlos Santana und Billy Joel Anfragen verschicken. Allerdings erst, nachdem er den Weg geebnet hat.

Ins Flugzeug setzen sich John und seine Crew am 20. Mai. In Planung: vier Konzerte in Leningrad (heute: St. Petersburg) sowie vier weitere in Moskau. Komplikationen entstehen durch den ungewöhnlich heißen Sommer. Klimaanlagen kennt man in der Sowjetunion der Siebziger nicht, Johns Laune sinkt in den Keller. Schließlich meckert er sogar einige Journalisten an, weil man ihm „hirnverbrannte“ Fragen gestellt habe. Der Rockstar, der in den USA und Europa bereits Millionen von Platten verkauft hatte, konnte nicht verstehen, dass man sich im Vorhinein so schlecht über ihn informiert hatte und dass seine Musik völlig unbekannt zu sein schien. Was er wohl nicht wusste: Wer sich in der Sowjetunion für „westliche“ Rockmusik interessierte, dem blieb bloß der teure Weg über den Schwarzmarkt.

Als John am 21. Mai seine erste und ausverkaufte Show in Leningrad spielt, verfliegt ein großer Teil des Ärgers: 4.000 Zuschauer sind ausgerückt, um dem Event beizuwohnen. Die Stimmung bleibt allerdings zunächst gedrückt, nur wenige Konzerttickets waren im freien Verkauf gelandet. Stattdessen spielt John für kommunistische Parteichefs, Mitglieder des KGB und Diplomaten. Erst als die ihre Plätze irgendwann räumen und einige mutige Fans nach vorne strömen, kommt gute Laune auf. Verständlich, denn ein reguläres Ticket kostete umgerechnet 150€ — zu jener Zeit eine enorme Summe. Die Zuschauer beginnen sogar zu tanzen und Peace-Zeichen zu zeigen, am nächsten Tag berichtet die ganze Welt über den Auftritt. Die Offiziellen waren bei der ersten Gelegenheit verschwunden.

Keine der acht Shows dauert weniger als zwei Stunden, John spielt vor allem Songs von seinem damals aktuellen Album A Single Man. Zu Beginn sitzt er alleine am Piano, in der zweiten Hälfte jedes Auftritts erhält er Unterstützung von niemand geringerem als Perkussionist Ray Cooper, den man durch seine Arbeiten mit Pink Floyd, den Rolling Stones, Phil Collins und George Harrison kennt. Auch ein paar Coverversionen baut der Pianist ein, zum Beispiel Pinball Wizard von The Who und I Heard It Through The Grapevine von Marvin Gaye. Als letztes Stück jedes Auftritts wählt er einen Song mit symbolischer Wirkung: Back In The U.S.S.R. von den Beatles. Nach dem ersten Abend bittet man ihn darum, das zu unterlassen. John spielt das Lied weiterhin jeden Abend.

Nach der Tour erscheint eine Dokumentation mit dem Titel To Russia With Elton, die sich vor allem auf die letzte Show in Moskau konzentriert. Der Film beleuchtet allerdings nicht nur die musikalische Seite, sondern auch die politische Strahlkraft. So enthält der Streifen neben Konzertausschnitten noch zahlreiche Interviews und Blicke hinter die Kulissen. Es steht außer Frage, dass Elton John mit seiner Tour durch die Sowjetunion einiges für die Völkerverständigung getan hat. Im Nachgang gibt es A Single Man dort dann auch ganz offiziell zu kaufen, allerdings unter dem Namen Elton John Sings. Der Originaltitel wurde dann wohl doch als zu anstößig aufgefasst.

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