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Popkultur

Einfühlsame Generalüberholung: Auf „Songs Of Surrender“ machen sich U2 nackt

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U2

Sechs Jahre nach Songs Of Experience veröffentlichen U2 zwar kein neues Album; aber dafür eine große, eine verletzliche, eine bewegende Akustik-Werkschau. Für 40 Songs und drei Stunden geht es tief in die Geschichte der Band – mit überraschenden, heilsamen, manchmal auch genialen neuen Versionen ihrer größten Songs und kleinsten Perlen.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Songs Of Surrender hören:

Es ist kein Zufall, dass genau 40 Lieder ihr Zuhause auf Songs Of Surrender gefunden haben. Erst vergangenes Jahr veröffentlichte U2-Frontmann Bono seine Memoiren mit dem Titel 40 Songs, One Story. Dieses Kompendium mit neuen Akustik-Versionen großer Hits und kleiner Perlen ist also in gewisser Weise als Band-Begleiter zu Bonos Bestandsaufnahme zu werten – eine dreistündige Hafenrundfahrt durch rund 45 Jahre irische Musikgeschichte. Ohne große Gesten können U2 eben nicht. Selbst wenn es sich um ein Akustikalbum handelt.

Einfühlsame Generalüberholung

Die große Frage stellt sich natürlich gleich zu Beginn: Wieso gibt es sechs lange Jahre nach dem letzten Studioalbum Songs Of Experience erst mal „nur“ ein Album mit aufgewärmten Fassungen alter Glanztaten? Die Antwort darauf fällt natürlich ein wenig komplexer aus, aber um es kurz zu machen, können wir gleich mal zu Beginn feststellen: Songs Of Surrender ist keineswegs nur ein Album mit aufgewärmten Fassungen alter Glanztaten. Sondern eine einfühlsame Generalüberholung und Bestandsaufnahme, die U2 so intim, verletzlich und leise zeigt wie noch nie zuvor.


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U2 - Songs Of Surrender
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Was man aber eben nicht vergessen darf: U2 sind immer noch die Band, die alles ein wenig größer und wahnwitziger gestaltet als alle anderen Bands. Sie bauen Bühnen, die Warnlichter für Flugzeuge brauchen, sie lassen den größten Videoscreen aller Zeiten errichten; sie scheitern aber auch auf ähnlich epische Weise. Wie 2014 zum Beispiel, als Songs Of Innocence ungefragt in 500 Millionen iTunes-Büchereien auftauchte. Kam nicht so gut an.

Der Advokat von Passion, Weltschmerz und Melodrama

Man schaut also immer ein wenig genauer auf das, was U2 so aushecken. Und das sollte man auch im Falle Songs Of Surrender tun. Klar muss sein: Bonos Stimme klingt radikal anders als früher. Das muss man nicht mögen, doch es zeugt von Größe und Integrität, dass sich der Sänger so zeigt, wie er ist. Nicht mehr der Jüngste, aber ein unverändert leidenschaftlicher Advokat von Passion, Weltschmerz und Melodrama. In gewisser Weise funktionieren die reduzierten, sanfteren, regelrecht ätherischen Versionen alter Stücke mit seiner Stimme sogar bestens.

Eine normale Best-Of ist das Album nicht, das würde auch nicht zu U2 passen. Vielmehr nähert sich  Songs Of Surrender einerseits skizzenhaft der Bandkarriere wie es eben auch Bonos Memoiren getan haben. Und andererseits wollen uns U2 offensichtlich zeigen, welches Album ihrer Meinung nach fahrlässig unterbewertet ist. Keine Überraschung: Songs Of Innocence, dessen Musik durch das iTunes-Debakel in den Hintergrund trat. Kein anderes Album ist ähnlich stark vertreten.

Radikaler Befreiungsschlag

Ansonsten begegnen uns aber natürlich schon viele ihrer größten Hits. One klingt wie aus dem Soundtrack zu einem feinfühligen Drama, Where The Streets Have No Name strebt mit geisterhaften Streichern und viel Melancholie in den Äther, Stories For Boys von ihrem Debüt Boy wird zur bewegenden Piano-Ballade. Sehr gelungen auch Beautiful Day: Die Euphorie und die Aufbruchstimmung des Songs sind immer noch da; das Arrangement, das ist aber eben zurückhaltend, sanft.

Das größte Argument für Songs Of Surrender ist aber, dass U2 endlich mal ein Album machen konnten, das nicht in den größten Stadien der Welt funktionieren muss. Das nicht mit all den modernen, jungen Pop-Acts mithalten muss. Ein Akustikalbum als radikaler Befreiungsschlag, ein Ablegen alter Werte und Limitierungen. Ebenso wie Bono, der singt, wie er heute eben singt, darf auch der Einsatz von The Edge als kompromisslose Abkehr von seinem exzessiven Spiel mit Gitarreneffekten gewertet werden. Songs wie Pride (In The Name Of Love) kommen mit einer einfachen Akustikgitarre und ein wenig Hall aus. So hat man ihn auch noch nicht spielen hören.

Es endet, wie es enden muss

In gewisser Weise ist Songs Of Surrender also auch wieder eine Spielwiese für die Band. Aber diesmal eine, die sich nicht stärker von ihren herkömmlichen Studioalben unterscheiden könnte. Statt lauter, greller, größer, dramatischer gilt diesmal das exakte Gegenteil: Wie leise, nah und unaufgeregt können wir unsere Songs gestalten ohne ihre Identität zu verwässern? Das gelingt ihnen bei 40 Songs nicht immer gleich gut. Meistens aber eben schon. Und mehr als einmal auch genial: Der Bläsereinsatz und die Chöre machen aus Red Hill Mining Town (von ihrem Americana-Klassiker The Joshua Tree) in dieser Version vielleicht sogar den besseren Song.

Es endet dann natürlich, wie es enden muss: Mit 40 von ihrem 1983er Album War. Viele Konzerte haben U2 schon mit diesem Song beendet, dabei nach und nach die Bühne verlassen, bis nur noch das Publikum die Refrainzeile „How Long To Sing This Song?“ singt. Überraschend ist diese Ende also nicht. Aber dafür umso heilsamer. Und natürlich wieder recht monumental. U2 sind und bleiben eben U2. Und darüber sollten wir alle sehr froh sein.

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