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Popkultur

Zeitsprung: Am 7.10.2000 spielen Gene, Ace, Peter und Paul zum letzten Mal zusammen.

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Kiss auf der Farewell Tour im Sommer 2000: Gene, Ace, Peter, Paul - Foto: Tim Mosenfelder/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 7.10.2000.

von Christof Leim

Am 7. Oktober 2000 spielt die Urbesetzung von Kiss zum letzten Mal zusammen: Gene, Ace, Peter und Paul. Einen schönen Abend hat dabei niemand auf der Bühne. Und dann zerkloppt Peter Criss sein Drumkit.

Hier könnt ihr das erste Album des Ur-Line-ups hören:

Die Wiedervereinigung der originalen Schminkemonster 1996 lief ja eigentlich verdammt gut an: Riesenaufruhr in der Rockwelt, Schnappatmung bei Fans weltweit, Medienzirkus galore, die erste Stadionshow in 47 Minuten ausverkauft. Mitten in einer Dekade, in der die Grunge-Gruppen aus Seattle (übrigens allesamt Kiss-Fans) andere klassische Hard-Rock-Bands das Fürchten lehren, stehen Kiss wieder weit oben und zelebrieren den großen Rockstar-Zauber mit allem Brimborium und ordentlich Nostalgie. Ja, man darf auch 1996 beim Musikhören Spaß haben. (Warum Kiss das Make-up quasi wieder anlegen mussten, findet ihr hier.)

Fängt gut an

Bei der Alive/Worldwide Tour steht zum ersten Mal seit 1979 wieder die Urbesetzung auf der Bühne, natürlich in vollem Make-up: Paul Stanley, Gene Simmons und die Rückkehrer Ace Frehley und Peter Criss. Fest steht aber: Paul und Gene sind die Chefs, die beiden anderen Angestellte. Ein nachvollziehbares Arrangement angesichts der Tatsache, dass Peter und Ace jahrelang wenig gemacht haben und nicht mehr auf der Höhe ihrer musikalischen Fähigkeiten stehen, während die anderen beiden den Laden durch vergleichsweise magere Zeiten zusammenhielt. Ace und Peter trainieren, musikalisch wie körperlich, alle sind und leben gesund. 

Beim unterschätzten Reunionalbum Psycho Circus (1998) allerdings ziehen Paul und Gene die Strippen, Ace und Peter spielen kaum mit – notgedrungen, sagen die einen, unfairerweise, sagen die anderen. Spätestens auf der Psycho Circus World Tour verdunkelt sich die Stimmung. Alte Angewohnheiten kriechen wieder hervor: Egos, Drogen, Unzuverlässigkeiten. Die Shows werden schlechter, die Setlist ändert sich so gut wie nie, weil (laut Stanley) Ace und Peter keine neuen Songs lernen können oder wollen. Das geht nicht so weiter.

Hilft ja nix

Also kündigen Kiss ihre Abschiedstour an: Gene, Ace, Peter, Paul oder kurz „GAPP“ ziehen noch einmal um die Welt, mit fettem Rumms und dicker Hose, der ganz große Bahnhof natürlich. Hinter den Kulissen fühlt sich das alles laut der Autobiografien aller vier Protagonisten jedoch an wie Zähneziehen. Paul Stanley spricht sogar davon, „die Band von ihren Qualen zu erlösen“. Am 11. März 2000 geht’s los in Phoenix, Arizona für sieben (!) Monate durch Nordamerika. Danach soll noch im gleichen Jahr ein Abstecher nach Japan und Australien folgen, aber dazu wird es nicht kommen. Das liegt an den langwierigen Verhandlungen mit Peter Criss über seine Gage.

Diesbezüglich gibt es ohnehin schon eine Menge Streit, seit Peter erfahren hat, dass Ace weit mehr Geld (man liest von 10.000$ pro Show) bekommt. Der Drummer droht, die Termine platzen zu lassen, bekommt deshalb eine Gehaltserhöhung, malt sich aber fortan eine schwarze Träne in sein Catman-Make-up – als Zeichen dafür, betrogen worden zu sein. Die Stimmung wird dadurch nicht besser: Peter fängt gegen Ende der Nordamerika-Rutsche an, öffentlich die Anzahl an verbliebenen Shows runterzuzählen, trägt laut Paul sein Make-up nachlässig auf und spielt vor allem zu langsam – absichtlich. Kurz: Er sabotiert die Show. Ein Kapitalverbrechen in der Welt von Kiss. Das fällt auch Manager Doc McGhee auf, der den Drummer bei einer Show anschreit: „Peter, du spielst zu langsam!“. Der schreit zurück: „Naja, die anderen aber auch!“ McGhee kann nur den Kopf schütteln: „Bitte was? Du bist der verdammte Schlagzeuger!“ Bombenstimmung also.

Frust und fliegende Drums

Was die Sache mit dem Geld angeht, gibt’s weiter keine Einigung; die Fernost-Daten werden abgesagt. „Bei den letzten sieben Terminen haben wir beim Schminken nicht mehr miteinander geredet“, erinnert sich Criss in seiner Autobiografie. „Niemand hat gelacht, es lief keine Musik – wir wollten die Shows nur hinter uns bringen.“ Nein, Spaß hat hier niemand.

Der letzte Gig in den USA steigt am 7. Oktober in North Charleston im Bundesstaat South Carolina. Paul zerkloppt zum Abschluss wie üblich seine Gitarre, aber diesmal zieht Peter mit: Der frustrierte Drummer wirft kurzerhand sein Drum-Kit vom gewaltigen Podest, auf dem es steht. „Die Leute sind aufgestanden und haben gejubelt, Paul dachte, dass sei wegen ihm“, erzählt Peter. „Bis ein Stand-Tom neben ihm runterkam. Also hat er seine Gitarre hingeschmissen und ist von der Bühne gegangen. Ich habe weder ihn noch Ace oder Gene gesehen, als ich mich abgeschminkt habe.“ Ein beschissenes Ende für einen legendären Rock’n’Roll-Vierer.

Nachschlag

Doch damit endet die Geschichte nicht. 2001 sollen Kiss sieben Shows in Japan spielen und bieten Peter dafür angeblich eine runde Million Dollar. Was der ablehnt. Pauls Kommentar: „Welche brillante Geschäftsentscheidung.“ Doch diesmal hilft Sturheit nicht: Die Chefs heuern einfach Eric Singer an, der in der schminkelosen Zeit bis zum schicksalshaften 1995er-Unplugged-Gig bei Kiss getrommelt hatte. Diesmal allerdings malt sich der Drummer das Catman-Make-up ins Gesicht, was bei nicht wenigen Fans erneut zu Schnappatmung führt, aber nicht zu der guten Variante. So oder so: Peter ist raus. Am 13. April 2001 beenden Stanley, Simmons, Frehley und Singer die Farewell-Tour in Australien.

Das vermutlich finale Kiss-Line-up: Simmons, Stanley, Singer, Thayer – Foto: Promo

Mit dem Abschied haben es die Chefs dann nicht mehr so eilig und führen die Band fort. Warum auch nicht, wenn es wieder Spaß macht. Das Verwunderliche: 2003 kehrt Peter tatsächlich zurück. Aber die Urbesetzung findet trotzdem nicht mehr zusammen, denn mittlerweile ist Ace raus und kommt auch nicht mehr zurück. Für ihn spielt Tommy Thayer, ehemaliger Gitarrist von Black ‘n Blue und zeitweilig unter anderem Tourmanager für Kiss. Peter wiederum hält sich auch nicht im Aufgebot, schon 2004 sitzt wieder Eric Singer auf dem Hocker. Damit fällt Gene und Paul ein Stein vom Herzen, wie sie oft betonen, da sie den ständigen Kampf und Krampf nicht mehr ertragen. Damit markiert der 7. Oktober 2000 den letzten gemeinsamen Gig von „GAPP“. Es sei denn, beim diesmal nachvollziehbar ernstgemeinten Abschied, der Anfang 2019 gestarteten End Of The Road Tour, laden Paul und Gene ihre alten Mitstreiter Ace und Peter wieder ein. Die Luft anhalten deswegen sollten wir aber eher nicht. 

So war’s: Kiss live in New York City 2019

 

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