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Popkultur

Nicky Hopkins: Der unbekannteste Rockstar seiner Zeit

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Foto: Baron Wolman

Als Nicolas Christian Hopkins zur Welt kam, brannte der Himmel über London. Im Rahmen der sogenannten „Operation Steinbock“ hinterließen Nazi-Bomber in der Nacht von den 23. auf den 24. Februar 1944 eine Schneise der Verwüstung in der englischen Hauptstadt. Ein Glück für das Kriegskind, dass es dort geboren wurde, wo es sich bis ins späte Erwachsenenalter hinein ständig aufhalten sollte: am Rande des Geschehens. Die kleine Vorstadt Perivale im Westen der Stadt blieb von den Angriffen unbehelligt.

Hopkins begleitete die Beatles, The Who, David Bowie

Etwas mehr als ein Jahr darauf war der Krieg vorbei und die Gefahr fürs erste gebannt. Die Kindheit des kleinen Nickys war ruhig, seine Familie – mit Ausnahme des allzu strengen Vaters – liebevoll und verständlich. Er erhielt erste Klavierstunden und frönte seiner kauzigen Sammelleidenschaft – Blechbüchsen hatten es ihm, warum auch immer, besonders angetan. Nur seine Gesundheit machte ihm zu schaffen. Früh wurde bei ihm Morbus Crohn festgestellt, eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, an deren Folgen er 50 und ein halbes Jahr später, am 6. September 1994, in der „Music City“ Nashville im US-amerikanischen Bundesstaat verstarb. Mit ihm ging der unbekannteste Rockstar seiner Zeit.

Nicky Hopkins teilt ein Schicksal mit Pionierinnen wie Delia Derbyshire oder Carol Kaye, ohne welche die Musikwelt ganz anders und weniger innovativ geklungen hätte und die dennoch bis heute kaum die verdiente Aufmerksamkeit erhalten. Am Piano, an der Orgel und sogar am Cembalo begleitete er unter anderem die Beatles, The Who, die Kinks, David Bowie, Fats Domino, Dusty Springfield, Joe Cocker, Jefferson Airplane oder Tom Jones im Studio und manchmal auch auf Tour. Beim Woodstock-Festival war er dabei, spielte seine ersten ausländischen Gigs Anfang der sechziger Jahre im legendären Hamburger Star-Club – doch keine Plakette erinnert auf dem Kiez daran, dass einer unserer Größten dort einmal seinen bescheidenen Anfang nahm. Auf Revolution von den Beatles, Beggar’s Banquet und Exile on Main Street von den Stones und anderen Meilensteinen der Rock-Geschichte sowie Platten von Ella Fitzgerald und Frank Zappa ist sein eindrucksvolles Spiel zu hören. Er schlug ein Angebot von Led Zeppelin aus, die Band auf Tour zu begleiten und trat lieber der Jeff Beck Group bei! Es braucht schon viel Charakter für eine solche Entscheidung.

Hopkins war immer und überall dabei

Hopkins hat das Rampenlicht, das muss dazu gesagt werden, aber auch nie gesucht. Seine eigenen musikalischen Gehversuche als Solo-Künstler oder als Frontmann verschiedener Bands scheiterten daran, dass er zu schüchtern war, um sein Publikum für sich zu gewinnen. Obwohl er selbst mit Drogen- und Alkoholproblemen zu kämpfen hatte, gehörte er nicht zu denjenigen, die mit wilden Eskapaden auf sich aufmerksam machten. Dabei war er aber ein brillanter Songwriter und kongenialer Pianist, der mehrfach bei sowohl The Who als den Stones als potenzielles Bandmitglied zur Diskussion stand und in den neunziger Jahren vor seinem Tod mit Soundtrack-Arbeiten zu unter anderem dem Harrison Ford-Blockbuster Auf der Flucht brillierte.

Hopkins war immer und überall dabei, wo etwas los war. Mit 16 Jahren trat er der Band Screaming Lord Sutch and the Savages bei, die Rock’n’Roll in Großbritannien salonfähig machten und schloss sich nur zwei Jahre später mit dem Rest der Backing-Band dem Blues-Musiker Cyril Davies an. Als Teil von dessen Rhythm and Blues All Stars übte Hopkins einen nicht gerade kleinen Einfluss auf andere britische Bands aus, die sich zu dieser Zeit formierten, darunter auch die Rolling Stones. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit dem jungen Tastenhelden, 1963 musste er die Band wegen seines Leidens verlassen. Fast hätte er den 19-monatigen Krankenhausaufenthalt nicht überlebt. Was wohl passiert wäre, wenn der Morbus Crohn nicht gewesen wäre? Nach seiner Rückkehr konnte er zumindest auch nicht mehr zu den All Stars stoßen – Davies war zwischenzeitlich der Leukämie erlegen.

Stattdessen verdingte sich Hopkins als Sessionmusiker. Mit Eric Clapton, Jimmy Page oder John Paul Jones – allesamt zu dieser Zeit noch recht unbekannte Namen – teilte er sich das Studio und wurde schnell zu einem der gefragtesten und aktivsten Musiker der Rockszene. 1965 bis 1968 war Hopkins dermaßen produktiv, dass die Veröffentlichung seines ersten Solo-Albums The Revolutionary Piano of Nicky Hopkins wie ein kleines Wunder wirkte. Wie fand er wohl die Zeit dafür? Bis zu seinem verfrühten Tod in den neunziger Jahren ließ Hopkins nicht nach, selbst die für die Rock-Szene schwierigen Achtziger meisterte er bravourös an der Seite von unter anderem Art Garfunkel. Er hörte nie auf zu ackern, wollte sich ständig selbst übertreffen.

„Nicky war ein Genie“

Wichtiger noch als sein unübertroffener Arbeitseifer war zweifellos Hopkins einzigartiges Talent. „Ich habe mit Richard Tee zusammengearbeitet und sogar mit Ray Charles. Nicky konnte ihnen allen das Wasser reichen“, erinnerte sich Joe Cocker an den Kollegen. „Er hat dich zum Hören gebracht. Nicky war ein Genie, aber oftmals wird wahres Genie erst mit Jahren Verspätung gewürdigt.“ Umso wichtiger, ihm jetzt zu gedenken, dem unbekanntesten Rockstar seiner Zeit. Geboren abseits vom großen Lärm und gestorben in eben jener Stadt, die sich mit vollem Recht „Music City“ nennt. Am perfekten Ort und leider doch nicht zur rechten Zeit.

Zeitsprung: Am 24.2.1944 kommt Keyboarder Nicky Hopkins zur Welt.

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