Popkultur
Zeitsprung: Am 11.6.1991 hauen Skid Row mit „Slave To The Grind“ einen Hammer raus.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 11.6.1991.
von Christof Leim
Als Skid Row am 11. Juni 1991 Slave To The Grind veröffentlichen, wundert sich die Headbangerschaft: Statt die erfolgreiche Hair-Metal-und-Balladen-Formel des 1989er-Debüts weiter auszuwalzen, legt der Fünfer aus New Jersey eine Schippe drauf. Gitarrist Dave „Snake“ Sabo blickt für den Zeitsprung zurück.
Hier könnt ihr euch das Machtwerk anhören:
Hatte der eingängig rockende, mehrfach platinveredelte Vorgänger Skid Row noch einigermaßen typisch für 1989 und den haargesprayten Stoff von Headbanger’s Ball geklungen, zeigen sich Skid Row nun rauer, böser und vor allem: größer. Während die Hair-Metal-Blase mit Hilfe von MTV immer weiter überdreht und zusehends dem großen Knall entgegensteuert, wählt die Band, als hätte sie es geahnt, die Gegenrichtung. Komplett aus der Zeit gefallen wirkt Slave To The Grind 1991 zwar nicht, die Platte markiert keinen Bruch im Stil der Band, aber einen deutlichen Schritt – vor allem nach vorne.
Absichtlich in die Gegenrichtung
So zeigen sich die Kompositionen vielseitiger, die Texte cleverer und die Performance aller Beteiligten voller Energie und Seele. Sänger Sebastian Bach nennt der Rolling Stone sogar „einen Mann, der aussieht und klingt, als sei er gentechnisch zum ultimativen Hard-Rock-Frontmann verändert worden“. Der damals 23-Jährige besitzt mit seinen arschlangen blonden Haaren und dem Engelsgesicht nicht nur das passende Auftreten und eine schier unerschöpfliche Rock’n’Roll-Energie, sondern auch eine Stimme, an die 1991 nicht viele heranreichen können. Nicht zuletzt klingt Slave To The Grind dank der fetten Produktion von Michael Wagener auch heute noch gut.
Skid Row 1991: Bolan, Snake, Affuso, Hill, Bach – Foto: Promo
Gitarrist Dave „Snake“ Sabo, damals 26, erinnert sich im Zeitsprung-Gespräch an die Attitüde und Geisteshaltung seiner Truppe: „Die zwei Jahre zwischen der ersten Platte und Slave To The Grind waren einfach überwältigend. Wir konnten gar nicht glauben, was da alles passiert ist. Allerdings haben sich auch die dunklen Seiten des Musikgeschäftes gezeigt: Wir durften hautnah erleben, dass der Künstler als eine Ware angesehen wird, obwohl alles auf seiner Schöpfung basiert. Auf den Touren haben wir gesehen, was das Business mit Persönlichkeiten und zwischenmenschlichen Beziehungen machen kann. Und je mehr wir von der Welt da draußen erfahren konnten, desto mehr hat das eine andere Seite von Skid Row hervorgebracht. Man lernt unterwegs Dinge, die einem keine Schule oder Universität der Welt beibringen kann. Wir waren uns auch der Tatsache bewusst, dass man, wie es so schön heißt, sein ganzes Leben hat, um die erste Platte zu schreiben, aber nur ein Jahr für die zweite.“
„Ihr werdet die Hälfte des Publikums verlieren“
Vor allem aber stört die fünf Musiker Mitte Zwanzig, dass sie in der Szene als eine weitere Achtziger-Glam-Band angesehen werden, mit hübschem Sänger und zwei Balladenhits (18 & Life, I Remember You). „Hinter Skid Row steckte immer schon eine Menge mehr“, findet Snake, „und wir mussten damals daran arbeiten, diese Wahrnehmung zu ändern. Unsere Liveshows kamen ohnehin ganz anders rüber. Deshalb steckte durchaus eine bewusste Entscheidung dahinter, Slave To The Grind härter zu machen. Uns haben einige Leute gesagt, dass wir vermutlich die Hälfte unseres Publikums verlieren würden.“
Los geht die Sause mit Monkey Business: Auf das clean gespielte Intro folgt ein Midtempo-Riff zur Cowbell, das schiebt wie 100 Traktoren. Mit der zweiten Single Slave To The Grind geben Skid Row noch mehr Gas. „Ich wollte unbedingt ein grandioses Intro für die Shows haben“, erklärt Snake, „sowas wie What You Don’t Know von Twisted Sister oder Detroit Rock City von Kiss – theatralisch und episch.“
Das Demo wummst am meisten
Weil die live eingespielte Demoversion des Titelstücks die größte Wucht besitzt, landet sie sogar auf der Platte, wie sich Michael Wagener erinnert: „Die Nummer haben wir in einer Stunde aufgenommen und abgemischt. Daran mussten wir nachher nichts mehr ändern.“ Bei der Plattenfirma scheint der neue Kurs indes noch nicht angekommen zu sein, denn im Video soll ein Bikinimodel mit sich wackeln. Das lehnt die Band rundheraus ab, zumal es im Text um die Freiheit des Individuums, nicht um Sex geht.
Für die herrliche, aber unkonventionelle Ballade Quicksand Jesus fangen sich Skid Row Schimpfe von religiösen Gruppen wegen angeblicher Gotteslästerei ein. Texter und Bassist Rachel Bolan kommentiert später in den Liner Notes der Best-of 40 Seasons: „Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.“ Bolan steckt auch hinter dem als 3D-Video veröffentlichten Psycho Love, das die Geschichte einer mordenden Prostituierten erzählt. Dass damals Angela Bowie ihren Ex-Mann David in unzähligen Talkshows durch den Dreck zieht, dient dem Bassisten, einem großen Fan des „Thin White Duke“, als Inspiration für Creepshow.
Ernste Themen und Partyalarm
Dass Skid Row nicht nur über ernsthafte Dinge schreiben wollen, zeigt sich im punkigen Rocker Get The Fuck Out über das wilde Partyleben und Groupie-Exzesse. Nach Genuss will man sich entweder die Hände waschen oder noch zwölf Bier trinken. Das Wörtchen „Fuck“ in der mit Rotz und Wumms gebrüllten Titelzeile kommt allerdings nicht überall gut an, so dass der Song auf einer bereinigten Version der Scheibe durch den guten, aber nicht großartigen Japan-Bonustrack Beggar’s Day ersetzt wird.
In A Darkened Room beginnt mit einer schönen Gitarrenmelodie und gipfelt in einem tollen, ausgedehnten Solo von Scotti Hill – hörenswert! Textlich greifen Skid Row hier das Thema Kindesmisshandlung auf, kein einfaches Unterfangen.
Gesangsbrillanz
Zum Schluss wird es dann mit Wasted Time richtig episch, einem Song über Drogen, auf traurige Weise inspiriert von einem alten Kumpel: Guns N’ Roses-Trommler Steven Adler. Die schön orchestrierte zwölfsaitige Akustikgitarre bewegt sich jenseits der üblichen Pfadfinderakkorde anderer Hard-Rock-Balladen und steigert sich zu einem massiven Chorus und dramatischem Outro. Insbesondere hier zeigt Bach, gefühlvoll schmachtend, druckvoll schreiend und jubilierend in den höchsten Lagen, welche Stimme in ihm steckt. Um es deutlich zu sagen: Zum Niederknien gesungen, die Nummer.
Slave To The Grind erscheint am 11. Juni 1991 und rauscht mit Schwung auf Platz eins der US-Charts. Das hat es vorher für Metal-Bands selten bis nie gegeben. Durch das gerade erst eingeführte elektronische Zählsystem für Plattenverkäufe namens SoundScan, das die früher gebräuchliche und ungenauere Schätzung durch die Läden ersetzt, scheinen sich die wirklichen Präferenzen der Kundschaft herauszukristallisieren. In Deutschland landet das Werk auf Platz zwölf und damit zehn Stufen höher als das Debüt.
Raus in die Welt
Gleich sechs Singles und Videos wirft die Platte ab, die nicht ganz unerwartet weniger Radioeinsätze erzielen als beim Debüt. Doch mit Slave To The Grind emanzipieren sich Skid Row von Welt der Hair-Bands mit ihrem quasi eingebauten Verfallsdatum. Stattdessen rücken sie eher in die Nähe von Metallica, die nur einen Monat später ihr monumentales Black Album veröffentlichen. Das Artwork für das Cover stammt übrigens von Sebastian Bachs Vater David Bierk.
Das Artwork von „Slave To The Grind“ in ganzer Breite, gemalt von David Bierk
Nach dem Erscheinen bestreiten Skid Row das Vorprogramm für Guns N’ Roses, die gerade mit Use Your Illusion alle Dimension sprengen. Größer geht es Anfang der Neunziger nicht. Dann gehen sie auf eigene Headliner-Tour mit Pantera und Soundgarden als Support. Größer als diese beiden geht es ein paar Jahre später nicht. Skid Row sind in alle Munde und in allen Medien, sogar B-Side Ourselves, eine EP mit Coverversionen, verkauft sich ein Jahr später noch mehr als eine halbe Million mal. Keine Frage: Mit Slave To The Grind haben Skid Row ihr Meisterstück abgeliefert. Man muss sich nur mal den ersten Song anhören, wenn nach der Cowbell das Riff reinkommt…
Zeitsprung: Am 24.1.1989 schlagen Skid Row mit ihrem Debüt mächtig ein.

Popkultur
„Atomic City“: Neuer U2-Song feiert die Post-Punk-Jahre
Und plötzlich ist ein brandneuer Song von U2 gelandet: Auf Atomic City schwelgen die Iren im Sound früherer Jahre und läuten zugleich eine furiose neue Ära ein. Hier bei uns gibt es Song samt Video!
U2 fahren die Motoren langsam hoch. Kürzlich erst gaben sie einen Überraschungsauftritt mitten auf dem Strip in Las Vegas, um ihre furiose Residence im Sphere zu bewerben. Die startet am heutigen Freitag und verspricht ein revolutionäres Konzerterlebnis: 160.000 Lautsprecher und 260 Millionen Videopixel läuten dieses Wochenende eine neue Ära in Sachen Livemusik ein.
Hommage an Las Vegas
Passend dazu erscheint heute die brandneue Single Atomic City. Produziert wurde der Song von Jacknife Lee und Steve Lillywhite und ist als Hommage an Las Vegas zu verstehen – die Stadt wurde in den fünfziger Jahren als Atomic City bezeichnet. Musikalisch ist der Song ein Kniefall vor dem magnetischen Geist des Post-Punk der Siebziger und Bands wie Blondie oder The Clash, die U2 beide stark beeinflussten. Hier gibt es die starke Nummer zu hören:
Aufgenommen wurde die Single in Los Angeles und erscheint passend vor den anstehenden Terminen der Band im Sphere in Las Vegas, wo sie ihr bahnbrechendes Album Achtung Baby aus dem Jahr 1991 zelebrieren. Der Frontmann Bono selbst sagt über die Single: „Es ist ein Liebeslied an unser Publikum: Where you are is where I’ll be.“ Das dazugehörige Musikvideo wurde unter der Regie von Ben Kutchins gedreht und zeigt U2s nächtlichen Überraschungsauftritt des Songs in Downtown Las Vegas letzter Woche. Da hat sich mal jemand mit Schnitt und Post-Production beeilt.
Jetzt können wir nur noch warten und morgen schon die Bilder dieser grandiosen neuen Show mit Ersatzschlagzeuger Bram van den Berg bestaunen. Oder doch vielleicht eher gleich Flüge buchen?
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Popkultur
„Monsters Of California“: Alles über den UFO-Film von Blink-182-Sänger Tom DeLonge
Blink-182-Fans wissen: Frontmann Tom DeLonge hat nicht nur ein Faible für Rock, sondern auch für Roswell. Schon seit vielen Jahren interessiert er sich für UFOs, außerirdische Lebensformen und alles, was damit zu tun hat. Mit Monsters Of California bringt er bald seinen ersten Film raus. Und darin geht es natürlich um …
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch Nine von Blink-182 anhören:
… genau. In Monsters Of California hängt der Teenager Dallas Edwards am liebsten mit seinen verpeilten Freund*innen herum. Eines Tages findet die südkalifornische Clique zufällig einige Unterlagen von Dallas’ Vater, die darauf schließen lassen, dass er beruflich mit mysteriösen und paranormalen Ereignissen zu tun hat. Die Jugendlichen verknüpfen ihre Erkenntnisse miteinander, stellen Theorien auf — und werden auf einmal von uniformierten Männern mit Maschinengewehren umstellt. Spätestens jetzt wissen sie, dass etwas Großem auf der Spur sind. Doch sie haben natürlich noch keine Ahnung, wie groß ihre Entdeckung wirklich ist …
Tom DeLonge: Pop-Punk-Ikone und UFO-Fan
Die meisten kennen Tom DeLonge als Sänger und Gitarrist der erfolgreichen Pop-Punks Blink-182. Doch der Kalifornier ist auch ein ausgewiesener Alien-Fan, der sich in seiner Freizeit ausgiebig mit UFO-Sichtungen, Area-51-Theorien, außerirdischen Lebensformen und paranormalen Aktivitäten beschäftigt. (Mit dem Song Aliens Exist vom Blink-182-Album Enema Of The State brachte er DeLonge beiden Leidenschaften 1999 unter einen Hut — und genau diese Nummer ist natürlich auch im Trailer von Monsters Of California zu hören.) Immer wieder hinterfragt und forscht er im Namen der Wissenschaft nach Aliens und sucht Erklärungen für diverse Verschwörungstheorien. Schräg, oder?
DeLonges Engagement geht so weit, dass er am 18. Februar 2017 zum Beispiel den „UFO Researcher of the Year Award“ von OpenMindTV verliehen bekam. 2015 erzählte er in einem Interview von einer mutmaßlichen Begegnung mit Außerirdischen — während eines Camping-Trips nahe der sagenumwobenen Area 51. „Mein ganzer Körper hat sich angefühlt, als sei er statisch aufgeladen gewesen“, versicherte der Sänger. Auch Freunde von ihm könnten über Begegnungen mit Aliens berichten. Außerdem verfüge er über Regierungsquellen und auch sein Telefon sei aufgrund seiner Forschungen schon abgehört worden. Wenn er meint …
Monsters Of California: Wann startet der erste Film von Tom DeLonge?
In den USA läuft Monsters Of California am 6. Oktober 2023 an, doch wann der Streifen in Deutschland erscheinen soll, ist bisher nicht klar. So oder so: Der Trailer verspricht mindestens einen unterhaltsamen Kinobesuch — nicht nur für Blink-182-Fans.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 29.9.1986 trumpfen Iron Maiden erneut auf mit „Somewhere In Time“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 29.9.1986.
von Christof Leim
In den Achtzigern stürmen Iron Maiden von einem Triumph zum nächsten. Dabei reiben sie sich fast bis zur Überlastung auf, halten aber konsequent Kurs und Niveau und entdecken neue Sounds. Am 29. September 1986 erscheint Somewhere In Time – und Eddie wird zum Cyborg.
Hier könnt ihr das Album hören:
Die Geschichte von Somewhere In Time beginnt mit völliger Erschöpfung. Kann nach einer Welteroberung schon mal passieren: 1984 hatten die fünf Briten auf der World Slavery Tour elf Monate lang in 28 Ländern auf vier Kontinenten gespielt – und zwar satte 193 Shows vor geschätzten 3,5 Millionen Fans. Der Preis: Bruce Dickinson (Gesang), Steve Harris (Bass), Dave Murray (Gitarre), Adrian Smith (Gitarre) und Nicko McBrain (Schlagzeug) sind fix und fertig. Deshalb fordern die Musiker sechs Monate Pause. Daraus werden zwar nur vier, doch zum allerersten Mal seit Jahren steht die Maiden-Maschine ein Weilchen still.
Neues Spielzeug
Die Konsequenzen hört man: Harris, Smith und Murray experimentieren mit Gitarrensynthesizern, mit denen sich Keyboardsounds über die Gitarre und den Bass erzeugen lassen. Dickinson indes zweifelt an seiner Motivation und will musikalisch in eine andere Richtung. Er komponiert vor allem akustisches (also stromloses, ruhiges) Material, das von den Kollegen und dem Produzenten aber abgelehnt wird. Der Sänger zeigt sich verletzt, freut sich aber darüber, für eine Weile „nur“ singen zu müssen. Für ihn springt Adrian Smith in die Bresche und liefert im Alleingang mehrere fertige Tracks, die auf einhellige Begeisterung stoßen und Somewhere In Time maßgeblich prägen sollten.
Futuristische Fahrzeuge, klassische Patronengurte: Iron Maiden auf dem Pressefoto für „Somewhere In Time“ – Foto: Aaron Rapoport/Promo
Erst im Januar 1986 geht es zurück ins Studio, genauer: in mehrere Studios. Drums und Bass nehmen Iron Maiden in den Compass Point Studios auf den Bahamas auf, in dem auch AC/DC Back In Black eingespielt hatten. Gitarren und Gesänge bringen die Musiker in den Wisseloord Studios im niederländischen Hilversum auf Band, abgemischt wird schließlich in den Electric Lady Studios in New York. Damit wird Somewhere In Time nicht nur zum teuersten Album der bisherigen Bandkarriere, sondern auch zum technisch ambitioniertesten. Wie für die Beständigkeit in der Maiden-Welt der Achtziger typisch, ändert sich an der sonstigen Formel wenig. Die Produktion übernimmt ein weiteres Mal Stammproduzent Martin Birch.
Fünf Minuten mindestens
Somewhere In Time erscheint am 29. September 1986 und steigt in Großbritannien auf Platz drei ein. In den USA schafft die Band mit Platz elf ihre bis dato beste Platzierung. Auf dem Cover prangt natürlich das unvergleichliche Iron Maiden-Monster Eddie in einem aufwändigen Science-Fiction-Gemälde. Schon im Intro der ersten Nummer, dem vom Film Blade Runner inspirierten Quasi-Titelstück Caught Somewhere In Time aus der Feder von Steve Harris, hören die Fans die besagten Gitarren-Synthesizer. Doch am grundsätzlichen Stil von Iron Maiden hat sich nichts geändert. Es galoppiert der Bass, wie es sich gehört, die Gitarren riffen, und Dickinson lässt seine Sirenenstimme aufheulen. Wo Iron Maiden drauf steht, ist Heavy Metal drin, vermutlich bis ans Ende aller Tage. Allerdings klingt Somewhere In Time insgesamt weniger rau, sondern bei gleichem Energieniveau erwachsener, vielschichtiger und, wenn mal so will, futuristischer.
Von den acht Songs fällt keiner kürzer aus als fünf Minuten aus, das Gros stammt von Steve Harris, drei Beiträge kommen von Adrian Smith. Dazu gehört die erste Single Wasted Years, in der Maiden so eingängig klingen wie es nur geht, ohne ihren eigenen Sound zu verlieren. Der Text erzählt von Heimatlosigkeit und Entfremdung – ein klarer Kommentar zur endlosen World Slavery Tour. Als Wasted Years drei Wochen vor dem Album als Single ausgekoppelt wird, sieht man auf dem Cover das Cockpit einer Zeitmaschine, in deren Armaturenbrett sich der Kopf von Eddie spiegelt. Der Grund: Sein neues Aussehen sollte nicht vor Erscheinen des Albums verraten werden, schließlich hat das Maskottchen mittlerweile Kultstatus erreicht.
Auf der Vorabsingle durfte Eddie sich noch nicht ganz zeigen…
Filme und Bücher als Inspiration
Das folgende Sea Of Madness, ein dramatischer Uptempo-Banger, stammt ebenfalls von Smith, setzt aber keine besonderen Akzente. Für Heaven Can Wait, einen Harris-Song über eine Nahtoderfahrung, rekrutieren Maiden die Gäste einer Kneipe, um die „Oh-Oh“ -Fußballchöre im Mittelteil einsingen zu lassen.
Das ebenso harte wie vertrackte The Loneliness Of The Long Distance Runner basiert nicht nur im Titel auf einer Kurzgeschichte des britischen Autoren Alan Sillitoe. Stranger In A Strange Land hingegen geht direkt ins Ohr und wird deshalb als zweite Single ausgekoppelt. Inspiriert wurde Adrian Smith hierfür durch ein Gespräch mit einem Arktisforscher, der einen gefrorenen Körper im Eis gefunden hatte. Vom gleichnamigen Science-Fiction-Roman von Robert A. Heinlein hingegen leiht sich Smith lediglich den Titel.
Egal, wo und wann: Eddie ist immer cool
Die Credits für Deja-Vu teilt sich Harris mit Dave Murray, der im Schnitt für jedes zweite Album einen Song beisteuert. Alexander The Great stammt vom Bassisten alleine und reiht sich mit einer Spielzeit von achteinhalb Minuten in den Reigen der großen Maiden-Epen ein, diesmal mit explizit historischem Bezug.
Ein Cover wie ein Bildband
Ein sicherer Hit ist zweifelsfrei das Artwork der Platte: Hier steht Eddie als Weltraum-Terminator mit Cyborg-Auge und Laserpistolen in einer futuristischen Stadt, die vor Details nur so überquillt. Der Künstler Derek Riggs, der Künstler hinter diesem Werk, erinnert sich an den Arbeitsauftrag: „Wir haben uns eigens in Amsterdam getroffen und drei Tage lang über das Cover gesprochen. Sie wollten eine Kulisse wie in Blade Runner, eine Science-Fiction-Stadt.“ Um das zu erreichen, erschafft Riggs eine Skyline mit Werbeslogans und Firmennamen, die er größtenteils erfindet, um Copyright-Probleme zu vermeiden. Dabei dreht er richtig auf und auch ein wenig durch.
Immense Detailfülle und jede Menge versteckte Späßchen: Das Artwork aus der Feder von Derek Riggs
Wer genau hinguckt, kann unter anderem erkennen: den Sensenmann und die Katze mit Heiligenschein von Live After Death, den abstürzenden Himmelsstürmer aus Flight Of Icarus, ein Flugzeug über der „Aces High Bar“ , das „Ancient Mariner Seafood Restaurant“, ein Straßenschild zur „Acacia Avenue“ , ein Konzertposter mit dem Ur-Eddie, die Dame aus Charlotte The Harlot, die Tardis aus Doctor Who, Batman, eine Uhr, die zwei Minuten vor Mitternacht anzeigt, das „Phantom Opera House“ , den Ruskin Arms Pub (eine der ersten Spielstätten der Band) sowie die exakt gleiche Straßenlaterne wie auf dem Cover des Debüts. Irgendwo steht sogar auf Japanisch „Pickelcreme“ , auf Russisch „Joghurt“ und in Spiegelschrift „Dies ist ein sehr langweiliges Gemälde“. Drei Monate sitzt Derek Riggs an dem Werk, mitgezählt eine mehrwöchige Zwangspause, weil er irgendwann Halluzinationen bekommt und aussetzen muss. Kurzum: Das Cover ist Wahnsinn. Und absolut großartig.
…und die Rückseite ist genauso bombastisch.
Auf die Straße. Natürlich.
Natürlich geht es für die fünf Musiker umgehend auf Konzertreise: Der Somewhere On Tour getaufte Trek zieht von September 1986 bis Mai 1987 um die Welt, mit dabei ein überdimensionaler Cyborg-Eddie, der über die Bühne spaziert, zwei riesige Podeste rechts und links in Form von Monsterkrallen, eine aufwändige, sehr helle Lightshow sowie ein pulsierendes Leuchtherz als Teil von Bruces Bühnenoutfit.
Somewhere On Tour: Dave Murray schreddert, Eddie guckt kritisch – Foto: Ebet Roberts/Redferns/Getty Images
So stressig und geradezu selbstmörderisch wie zwei Jahre zuvor auf der World Slavery Tour sollte es jedoch nicht mehr werden, auch die Zeiten, in denen Iron Maiden jedes Jahr ein Album und eine Welttour hinlegen, sind mit Somewhere In Time vorbei. Doch die Metal-Weltherrschaft der Achtziger haben Iron Maiden da längst inne.
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