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Popkultur

Zeitsprung: Am 16.11.1990 spielt Bruce Springsteen wieder live – aber solo.

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Ohne die E-Street Band, nur mit seiner Gitarre: Bruce Springsteen 1990. — Foto: Time & Life Pictures/ Kontributor/Getty Images

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 16.11.1990.

von Christian Böhm und Christof Leim

Zwei Jahre hatte Bruce Springsteen keine Bühne betreten. Viel Privates ist passiert in der Zwischenzeit. Als er am 16. November 1990 wieder auftritt, tut er das solo – alleine mit einer Gitarre, ohne seine E-Street-Band. Das macht den Künstler zunächst nervös, doch er findet Gefallen daran.

Hier kannst du dir Nebraska anhören: 

 „Wenn ihr euch nach Mitklatschen zumute ist, bitte tut es nicht. Es wird mich durcheinander bringen.“ So beginnt Bruce Springsteen das Konzert am 16. November 1990 im Shrine Auditorium in Los Angeles. Dann fügt er hinzu: “Das klingt ein bisschen komisch, aber es ist schon eine Weile her, dass ich sowas hier gemacht habe.“ Seltsam klingt das tatsächlich für einen Künstler, den man eigentlich für Publikumsnähe und die große Rockshow kennt. Doch an diesem Abend steht er die meiste Zeit alleine auf der Bühne, nur der Boss, ganz ohne Band — das gab es zuletzt 1972, noch bevor seine Karriere richtig Fahrt aufnahm.

Auf der Bühne Neues, Altes & zwei Freunde

Die anwesenden 6000 Fans erleben an diesem Abend eine gute Zeit: Springsteen spielt viele Lieder seines eher akustischen Albums Nebraska und präsentiert stark umarrangierte Versionen von Klassikern wie Darkness On The Edge Of Town. Außerdem hat er mit Red Headed Woman, 57 Channels (And Nothin’ On), When The Lights Go Out und Real World vier neue Songs im Gepäck. Am Ende kommen dann noch zwei Altbekannte: Across The Borderline von Ry Cooder und Dylans Highway 61 Revisited

An dieser Stelle holt Bruce einen Kollegen und eine Kollegin auf die Bretter: Jackson Browne und Bonnie Raitt. Anscheinend will er den Abend doch nicht ganz allein bestreiten, obwohl zum Ende der Show seine Nervosität ganz überwunden hat. Einen Tag später macht er das Ganze noch einmal, mit Soul Driver und The Wish ergänzt um zwei weitere neue Stücke. Die beiden Gastspiele avancieren zu Blaupausen für spätere Solokonzerte.

Lange nicht (solo) gespielt

Zuvor hatte Bruce Springsteen sich rar gemacht. Seine vorherige Tour (während der er 1988 ein legendäres Konzert in Ost-Berlin spielt) liegt zwei Jahre zurück. Das letzte Mal sieht man ihn bei Bob Dylans Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame, wo er die Laudatio hält. Und es stehen Gerüchte im Raum, dass Bruce mit seiner Backgroundsängerin Patti Scialfa angebandelt habe. Am Gewichtigsten aber: Bruce Springsteen legt seine langjährige E-Street Band auf Eis.

Die Gerüchte bewahrheiten sich: Er trennt sich von seiner bisherigen Frau Julianne Phillips und heiratet 1990 Patti Scialfa. Die Sängerin war der E-Street Band 1984 beigetreten, zur gleichen Zeit, als Gründungsmitglied Steven Van Zandt die Band verlassen hatte, um solo durchzustarten. Während die Scheidung von Phillips 1989 vollzogen wird, kommt die E-Street Band Jahre später wieder zusammen. Auch die Ehe mit Patti Scialfa hat Bestand. Das Paar zieht nach Los Angeles, am 25. Juli 1990, also wenige Monate vor dem Soloauftritt, wird der gemeinsame Sohn Evan geboren. 

Doch die Jahre, in denen der Künstler nicht in der Öffentlichkeit steht, sind nicht nur geprägt von Familienglück. Der frischgebackene Vater lässt sich wegen Depressionen psychotherapeutisch behandeln. Nicht zuletzt die Probleme mit dem eigenen Vater, über den Springsteen einmal sagte: „Er liebte mich, konnte mich aber nicht leiden“, werden auf dem Sofa thematisiert. Das Lied The Wish wiederum handelt von seiner Mutter, zu der er ein inniges Verhältnis pflegt.

Zurück für einen guten Zweck

Da kommt es Bruce sicherlich gelegen, als sein Freund Jackson Browne ihn einlädt, im Shrine Auditorium zwei Abende für einen guten Zweck zu spielen.

Die Anwaltskanzlei Christic Institute vertrat beim Reaktorunfall in Three Mile Island verstrahlte Opfer, klagte gegen den Ku-Klux-Klan und US-amerikanische Rechtsradikale. Die Konzerte dienten der Unterstützung der 1980 gegründeten Organisation. Vor dem Song Reason To Believe lobt der Boss diese Aktivitäten: „In den letzten zehn Jahren wurde dem Land eine Illusion von sich selbst verkauft, und für mich ist das Christic Institute dabei, uns alle erwachsen zu machen. In diesem Lied geht es um den Preis, den blinder Glaube und die Weigerung, Illusionen aufzugeben, aus einem herausholen.“ 

Mehr Solokonzerte und die „andere“ Band

Neben seiner Akustikgitarre, mit der er den größten Teil der Show bestreitet, packt Bruce bei Across The Borderline (mit Jackson Browne) die Mundharmonika aus. Bei Highway 61 Re-Revisited unterstützt Bonnie Raitt die beiden mit dem Tamburin. Ganz anders etwa Real World, das Springsteen allein auf dem Klavier spielt. 

Nach den „Christic-Shows“ geht der Boss 1992 wieder mit Band auf Tour, allerdings mit einer Gruppe von Musikern, die viele Fans nur „die andere Band“ nennen (und mit gleich zwei Alben im Gepäck: Human Touch und Lucky Town). Doch er findet auch Gefallen an der Solosache, wenn auch nur nach und nach: Für MTV spielt er Red Headed Woman akustisch und allein. Weil er nach dem Lied, das seiner Frau Patti Scialfa gewidmet ist, die „andere“ Band auf die Bühne holt, muss das zugehörige Livealbum In Concert/MTV Plugged lauten (statt Unplugged (wie der Titel dieser Serie normalerweise heißt). Die späteren Touren zu Ghost Of Tom Joad (1995) und Devils And Dust (2005) bestreitet er komplett solo.

Wieder zurück: Die E-Street Band. Und auch der Boss.

1999 holt er die E-Street Band wieder ins Boot und spielt mit ihr bis heute. Inzwischen kann der Boss Konzerte ohne die Gruppe spielen, ohne selbige gleich feuern zu müssen: Bei den Springsteen On Broadway-Shows (2018) hat er lediglich Patti Scialfa an seiner Seite. Mitschnitte der beiden Christic-Konzerte veröffentlicht Springsteen 2016 im Rahmen seiner Archive Series als The Christic Shows 1990. Sie haben dem Künstler geholfen, wieder auf die Beine und die Bühne zu kommen, wo er bis heute unermüdlich steht. 

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