Popkultur
Freddie Mercury in Bildern: Sein Leben und seine wichtigsten Looks
Bekannt für seine extravaganten Looks und seine eindrucksvolle Bühnenpräsenz, gilt Freddie Mercury längst als einer der größten Entertainer des 20. Jahrhunderts. Die folgende Bildergalerie zeichnet chronologisch nach, wie aus dem eher schüchternen Teenager die ultimative Rock-Ikone werden konnte: Ein Superstar, in dessen Garderobe man ein paar der legendärsten Bühnenoutfits aller Zeiten finden konnte…
von Martin Chilton
Hier könnt ihr euch die besten Songs von Freddie Mercury anhören:
Der schüchterne Youngster
Auch wenn sich der eher introvertierte Junge namens Farrokh Bulsara schließlich in den globalen Superstar Freddie Mercury verwandeln sollte, vergaß der Sänger nie sein früheres, eher zurückhaltendes Ich, das sich während des Heranwachsens mit den üblichen Unsicherheiten herumgeschlagen hatte. „Unter alldem bin ich ja immer noch ziemlich schüchtern“, gestand er einmal. „Kaum jemand weiß, wie ich in Wirklichkeit bin. Ich mag auch nicht, wie meine Zähne vorstehen.“
Photo courtesy of Kashmira Bulsara
Der Klavierschüler
Während der Internatszeit wurde die Musik zu einem wichtigen Ventil für Mercury – was schließlich sein ganzes Leben verändern sollte. „Ich hatte Klavierstunden in der Schule, und mir machte das richtig Spaß. Dabei war’s ehrlich gesagt die Idee meiner Mutter gewesen“, so Mercury. „Sie sorgte dafür, dass ich weitermachte und es bis zum vierten Prüfungsgrad in Praxis und Theorie schaffte. Anfangs machte ich tatsächlich nur weiter, weil es ihr so wichtig war, aber dann fing ich selbst Feuer, mir gefiel das Spielen immer besser. Eigentlich spiele ich immer nach Gehör, weil ich gar nicht vom Blatt spielen kann. Singen mochte ich schon immer. Früher habe ich viele Sachen mitgesungen, und so entwickelte sich das alles…“
Photo courtesy of Kashmira Bulsara
Die Kunsthochschule
Auch wenn Freddie Mercury schon kurz nach seinem Abschluss am Ealing Art College wusste, dass eine Karriere als Grafikdesigner nicht der richtige Weg für ihn war, sollte sich der künstlerische Background später als vorteilhaft für seine Musikerlaufbahn entpuppen. „Auf der Kunsthochschule lernt man unter anderem, wie wichtig es ist, modebewusst zu sein. Immer einen Schritt voraus zu sein“, so Mercury, der immer wieder betont hat, wie wichtig das Erscheinungsbild und ihr Look waren, als er zusammen mit Brian May, Roger Taylor und John Deacon in den frühen Siebzigern Queen gründete. „Das Kernkonzept der Band bestand darin, majestätisch und imposant aufzutreten. Glamour war ein Teil von uns, und wir wollten uns wie Dandys geben. Wir wollten die Leute schockieren, etwas Haarsträubendes machen.“
Photo courtesy of Kashmira Bulsara
Der weiße „Hochzeitskleid-Umhang“
Mercury sagte klipp und klar, dass „Queen nie andere imitiert haben“, was ihre Looks anging, und auch ihr Hang zum Glam-Rock war von Anfang an kaum zu übersehen. Der Sänger hatte zuvor mit seiner Freundin Mary Austin einen kleinen Mode-Shop im Kensington Market betrieben, und so war sein Modegeschmack nicht nur sehr ausgeprägt, sondern auch klar definiert. 1974 traf er sich dann mit der Designerin Zandra Rhodes, deren Entwürfe ihn zu der Zeit faszinierten: Allen voran ein Umhang aus schwerer elfenbeinfarbener Seide, der mit einem bestickten Leibchen und überdimensionalen Ärmeln ausgestattet war. „Eigentlich war’s das Oberteil von einem Hochzeitskleid, das ich entworfen hatte“, kommentierte Rhodes später. Darauf basierend schuf sie das weiße Satin-Bühnenoutfit, das Mercury in jenem Jahr tragen sollte. Fast ein halbes Jahrhundert später schuf Rhodes ein zweites Exemplar von diesem Outfit: Für den Kinofilm Bohemian Rhapsody, in dem Rami Malek das außergewöhnliche Stück tragen durfte.
Foto: Queen Productions Ltd
Fernöstliche Looks
„Ich habe es jedes Mal geliebt, in Japan auf Tour zu sein – besonders die ganzen Geisha-Mädels da… und die Geisha-Jungs. Ich liebe es dort einfach: Die Lebensweise, die Menschen, die Kunst“, sagte Mercury. Als Queen 1976 im Nippon Budokan in Tokio auftraten, präsentierte sich der Frontmann in einem traditionellen Kimono.
Foto: Queen Productions Ltd
Der Kurze-Hosen-Look
Freddie Mercury war nie der Typ, der sich selbst zu ernst genommen hätte. Erkennbar unter anderem in einem Look von 1976: rotweiß gestreifte, hautenge Shorts, die von passenden Hosenträgern gehalten wurden. „Wenn es eine Sache gibt, die mich immer weitermachen lässt, dann folgendes: Dass ich mich gerne über mich selbst lustig mache. Wären wir hingegen eine Band, die politische Ansagen macht, würde ich anders damit umgehen. Aber so kann ich lächerliche Shorts auf der Bühne tragen und das alles ruhig ein bisschen übertreiben“, so Mercury.
Foto: Queen Productions Ltd
Der Pailletten-Jumpsuit
Der Ganzkörper-Bodysuit wurde in den Siebzigern gewissermaßen zum Markenzeichen des Sängers – inklusive einem Modell im schwarzweißen Harlekin-Look, das dermaßen weit ausgeschnitten war, dass man seine gesamte Brust sehen konnte. Noch bekannter ist nur der ärmellose Bodysuit aus silbernen Pailletten. Der langärmlige Turnanzug tauchte erstmals während der Europatournee im Mai 1977 auf, während die rote Kurzbein-Variante im April des Folgejahres auf weiteren europäischen Bühnen zu sehen war. Doch gerade der silberne Paillettenanzug (in Kombination mit einer Maske) zeigte, wie ausgeprägt Mercurys Hang zur Theatralik war – was die Fans auch Abend für Abend live auf der Bühne erleben konnten. 1979 übernahm er daher auch die Hauptrolle in einer Zusammenarbeit mit dem Royal Ballet.
Lady Gaga, die bekanntermaßen auch selbst gerne in paillettenbesetzten Jumpsuits auftritt, zählt Queen ganz klar zu ihren größten Vorbildern: Sie habe diese Band „absolut verehrt“, sagte sie einst. Auch mit den ikonischen Looks von Mr. Mercury habe sie sich intensiv befasst. Einmal sagte Gaga sogar, sie hoffe, „dass Freddie Mercury mich toll gefunden hätte“.
Foto: Queen Productions Ltd
Der gestreifte Ballettanzug
Ein ähnlich großer Fan von Queen ist auch Justin Hawkins von The Darkness: Er ließ sich sogar die Gesichter der Bandmitglieder auf seine Hände tätowieren. Um sich vor den legendären Looks seines Vorbilds zu verneigen, ist auch Hawkins schon mal in einem Outfit aufgetreten, das man, wenn auch noch enger anliegend, ganz ähnlich von Mercury kennt: den gestreiften, hautengen Ballettanzug. „Was ihr hier zu sehen bekommt, ist auch eigentlich gar kein Konzert“, sagte Mercury einmal über die Shows von Queen. „Es ist eine Fashion-Show.“
Foto: Queen Productions Ltd
Die Lederphase
In den späten Siebzigern trug Mercury dann häufig Leder, beispielsweise rote Lederhosen. Sein wohl berühmtestes Lederoutfit stammt aus einem Video, mit dem seine Band die britische TV-Serie Coronation Street parodierte. Als Frau verkleidet – schwarzer Lederminirock, Netzstrümpfe, pinkfarbene Ohrringe, schwarze Kurzhaarperücke, dazu ein Strickoberteil (pink) und Heels –, konnte man dem schnauzbärtigen Mercury beim Staubsaugen zusehen. Im Jahr 1984 waren derartige Bilder, mit denen Queen ihre Single I Want To Break Free präsentierten, locker ausreichend, um eine kontroverse Diskussion auszulösen. „Das Image, das ich da rüberbringe, ist keineswegs geplant oder so; es ist einfach etwas, das sich mit den Jahren so entwickelt hat“, sagte Mercury. „So bin, so lebe ich nun mal. Es ist echt, also kein bisschen gewollt. Für mich fühlt es sich wie ein ganz natürlicher Teil meines Lebens an. Ich lege es nicht drauf an, etwas Kontroverses zu machen, überhaupt nicht! Aber was viele Menschen ungeheuerlich finden, ist für mich ehrlich gesagt ziemlich normal.“
Foto: Queen Productions Ltd
Fast schon casual beim Live Aid-Konzert
Als Mercury schließlich die ganze Welt mit seiner Performance beim Live Aid-Konzert verblüffte, sah er wiederum ganz anders aus: Die langen Haare, die man aus den Siebzigern kannte, waren längst Geschichte. Jetzt war es das trägerlose weiße Shirt – dazu weiße Jeans, ein besetzter Gürtel, ein metallischer Armreif. Das war der neue Style, mit dem er das alte Wembley-Stadion binnen weniger Minuten zum Kochen brachte.
Foto: Queen Productions Ltd
Die gelbe Militärjacke
Das grelle Gelb seiner im Stil einer Militäruniform gehaltenen Jacke, ausgestattet mit reichlich goldenen Schnallen, Ösen und Zierstreifen, war erstmals während der Magic Tour im Jahr 1986 zu bewundern, in deren Rahmen Queen abermals im Wembley-Stadion vorbeischauten. Verantwortlich für das gute Stück war die befreundete Kostümdesignerin Diana Moseley, die sich wiederum von Opernkostümen aus Spanien hatte inspirieren lassen. Freddie Mercury trug dazu weiße Hosen mit zwei roten Streifen, zwischen denen noch ein goldenes Band verlief. „Ich donnere mich schon richtig auf, aber mit Stil“, so Freddie.
Foto: Queen Productions Ltd
Ohne Bart: The Great Pretender
In den späteren Achtzigern wurde Mercury auch als Solokünstler aktiv. Während er mit Mr. Bad Guy ein musikalisches Zeichen im Alleingang setzte, bewies der Sänger obendrein, dass er nach wie vor am liebsten über sich selbst lachte: Im Video zur Single The Great Pretender – zu Deutsch etwa: Der große Heuchler – parodierte er 1987 gleich eine ganze Reihe von Looks und Styles aus den unterschiedlichen Phasen mit Queen. Die Regie führte David Mallet, und auffällig war auch: Mercury war hier ausnahmsweise glattrasiert.
Foto: Mercury Songs Ltd
Freddie ganz formal
In den letzten Jahren vor seinem Tod floss seine ganze kreative Energie in musikalische Neuerungen – zu hören unter anderem im grandiosen Duett mit der erst 2018 verstorbenen Opernlegende Montserrat Caballé. Während der Arbeit mit der spanischen Sängerin zeigte Mercury sich in einem stylischen Smoking, inklusive schwarzer Fliege. Für ihn sei es überhaupt das erste Mal, dass er in derart formaler Kleidung auftrete, so Mercury. Tatsächlich hatte er sich damit ganz schön weit entfernt von den engen Shorts, den Lederhosen und Jumpsuits aus den Anfangstagen seiner Karriere.
Foto: Mercury Songs Ltd
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Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
Du willst nichts mehr in der Rockwelt verpassen? Melde dich hier für unseren Newsletter an und werde regelmäßig von uns über die wichtigsten Neuigkeiten, die spannendsten Geschichten sowie die besten Veröffentlichungen und Aktionen informiert!
Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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