Der sanfte Riese aus Liverpool: Das unglaubliche Leben des Beatles-Assistenten Mal Evans

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Mal Evans chauffiert Patti Boyd, George Harrison, Neil Aspinall und Paul McCartney zu Brian Epsteins Trauerfeier. Foto: Clive Limpkin/Daily Express/Getty Images

Er war eine unverzichtbare Figur im innersten Beatles-Kreis: Vom Cavern Club in Liverpool bis zur Magical Mystery Tour weicht Mal Evans der Band nicht von der Seite. 1976 wird er in Los Angeles erschossen – unter Ă€ußerst dubiosen UmstĂ€nden.

von Björn Springorum

Wer Anfang der Sechziger seine Mittagspausen oder NĂ€chte gern im Cavern Club in Liverpool verbringt, um die jungen Beatles zu sehen, muss erst an ihm vorbei: Die TĂŒr zu dem muffeligen Kellerloch, lĂ€ngst eine der berĂŒhmtesten Konzertlocations aller Zeiten, wird von einem HĂŒnen mit Brille bewacht: Mal Evans, knapp zwei Meter hoch, ein Riese. Ein sanfter Riese zwar, aber dennoch einer, mit dem man sich nicht anlegt. Und einer, der bald schon berĂŒhmter ist als jeder andere TĂŒrsteher Liverpools oder aus dem Rest der Welt.

Das Mysterium der Beatles ist ebenso unergrĂŒndlich wie unerschöpflich. Es gibt keine andere Band, bei der selbst ein einfacher Assistent zum Stoff fĂŒr Biografien, Romane und TheaterstĂŒcke taugt. Dann wiederum war Mal Evans nun wirklich alles andere als ein einfacher Assistent. Die Geschichte des sanften Riesen aus Liverpool, wie er genannt wird, ist eng mit der der Beatles verbunden. Enger sogar als die von Brian Epstein. Und weitaus weniger schwierig.


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 Der sprichwörtlich grĂ¶ĂŸte Elvis-Fan

Sie beginnt, wie jede Beatles-Geschichte, in Liverpool. Evans, geboren am 27. Mai 1935, fĂŒhrt ein einfaches und geordnetes Leben an der Seite seiner Frau Lily. Das Paar hat eine Tochter und lebt in der Hillside Road, Evans arbeitet als Telefontechniker bei der Post. Seine Mittagspause verbringt der riesige Elvis-Fan („mit 1,97 Metern bin ich wahrscheinlich wirklich einer seiner grĂ¶ĂŸten Fans“, wird er spĂ€ter sagen) wie viele andere junge Menschen auch mal im Cavern Club. Damals laufen dort auch schon zur Mittagszeit Rock’n’Roll-Shows einer jungen Liverpooler Band namens The Beatles.

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Evans ist sofort Feuer und Flamme. Er weiß es zwar noch nicht, doch seine erste Mittagspause dort wird sein Leben fĂŒr immer verĂ€ndern. Er kommt wieder und wieder, freundet sich mit George Harrison an. Der ist es auch, der dem Manager Ray McFall Evans’ Dienste als TĂŒrsteher empfiehlt. Schon damals manifestiert sich eine der wichtigsten Eigenschaften, die den Beatles spĂ€ter oft den Kopf retten wird: Knapp zwei Meter groß, lĂ€sst er sich durch nichts aus der Ruhe bringen und bleibt stets besonnen. Ohne es zu wissen, absolviert Mal Evans an der TĂŒr des miefigen Cavern Club die Ausbildung fĂŒr das, was wenige Jahre spĂ€ter auf ihn zurollen wird wie eine Lawine, die man nicht aufhalten kann.

Reif fĂŒr den Zirkus

Als die Beatlemania auf der ganzen Welt ein Fieber ausbrechen lĂ€sst, ist Evans lĂ€ngst fest mit im Team. Als Assistent, als Bodyguard, als Roadie, als Riese fĂŒr alles, sozusagen. Ringo Starr erinnert sich in Anthology entsprechend ehrfĂŒrchtig an diese kapitale Erscheinung: „Er war ziemlich stark. Er konnte den Bass-VerstĂ€rker ganz allein tragen, ein echtes Wunder. Er hĂ€tte in den Zirkus gehört!“ Ist er ja irgendwie auch: Der Wahnsinn rund um diese vier Kerle aus Liverpool ist schließlich eine ganz eigene Art von Zirkus.

Evans weicht den Beatles nicht von der Seite und liest ihnen jeden Wunsch von den Lippen ab. In einer speziell kuratierten Tasche trĂ€gt er alles mit sich herum, was die Launen der Beatles so verlangen. „Er hatte immer alles dabei“, wĂŒrde spĂ€ter ein staunender George Harrison sagen. „Und wenn er mal etwas nicht hatte, besorgte er es sofort.“ Evans liebt es, fĂŒr die Beatles zu arbeiten, ein Teil dieses einzigartigen Abenteuers zu sein. Dazu gehören auch praktische Lösungen: Als auf einer langen Autofahrt mal ein Steinschlag die Windschutzscheibe beschĂ€digt, boxt Evans sie kurzerhand aus dem Rahmen und fĂ€hrt 200 Meilen durch den frostigen Winter nach Liverpool, wĂ€hrend seine Beatles hinten wie die Ölsardinen eng nebeneinander liegen, um sich keine ErkĂ€ltung einzufangen.

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Warum das Vehikel seiner Wahl eine Austin-Princess-Limousine ist und nicht etwa ein Bentley, Rolls Royce oder Mercedes? Auch darauf hat Evans eine unschlagbar pragmatische Antwort parat: Es sei das einzige Auto mit TĂŒren gewesen, die groß genug waren, damit die Beatles sprichwörtlich hineinhechten konnten, wenn sie mal wieder irgendwelchen wahnsinnigen Fans entkommen mussten.

USA, Indien und Cannabis

Man könnte es sich also auch einfach machen und sagen: Mal Evans ist immer fĂŒr die Beatles da. Anders als Figuren wie Brian Epstein, die sich mit zunehmendem Erfolg seiner Zöglinge immer weiter entfremden, ist Evans der Fels in der Brandung. Er begleitet sie auf all ihren Tourneen durch die USA und den Rest der Welt, er ist dabei, als Bob Dylan den Beatles die ehernen Tore in die Welt des Cannabiskonsums öffnet. Unvergessen: Der Trip, in dem Paul McCartney Evans als Protokollanten fĂŒr seine bekifften Weisheiten verpflichtet, es aber beiden in ihrem Zustand unmöglich erscheint, Papier und Stift aufzutreiben. Als sie es endlich schaffen und Macca am nĂ€chsten Tag bei klarem Verstand mal so schaut, welch unergrĂŒndliche Erkenntnisse ihm in der vergangenen Nacht kamen, steht da nur: „Es gibt sieben Stufen.“

Evans fĂ€hrt die Band, Evans baut die PA auf, Evans serviert den Beatles Drinks auf der BĂŒhne, Evans hĂ€lt Fans ab, Evans besorgt alles, was sie möchten. Er fliegt sogar mit Paul McCartney auf Safari nach Afrika, wo sie in demselben Hotel ĂŒbernachten, in dem einige Jahre zuvor die junge Elizabeth erfuhr, dass sie Königin von England ist. Auf dem RĂŒckweg kommt den beiden die Idee zu Sgt. Pepper. Mit John Lennon und Yoko Ono reist er in die USA, sogar im indischen Rishikesh weicht Mal Evans seinen geliebten Beatles nicht von der Seite. Im Gegensatz zu George Harrison genießt er sogar das Essen im Ashram des Maharishi: Harrison hatte unvergessen einen ganzen Koffer voller Dosenbohnen mit nach Indien gebracht.

1971 kann man Mal Evans an der Seite von Ringo Starr im Italowestern “Blindman” sehen. Foto: Jack Kay/Daily Express/Getty Images

Selbst im Studio ist Mal Evans irgendwann Dauergast. Er spielt Instrumente, er ist fĂŒr das Weckerklingeln in A Day In The Life zustĂ€ndig, taucht in ihren Filmen auf, singt den Chorus von Yellow Submarine mit. Nach seinen TagebucheintrĂ€gen ist er sogar an der Entstehung zahlreicher Songs beteiligt. Nur gelistet wird er dafĂŒr nie, bekommt also auch keine Tantiemen. Viel Kohle gibt es fĂŒr den sanften Riesen auch nicht: Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms zahlen die Beatles ihm immer noch stoisch 75 Pfund die Woche. Das wĂ€ren heute unter 1000 Euro.

Auf dem Dach von Apple

Ihm ist das egal. Er ist ein Fahrgast im grĂ¶ĂŸten Musikwanderzirkus aller Zeiten, ein Puzzleteil in diesem unglaublichen Mosaik. Durch seine Arbeit fĂŒr die Beatles lernt er eines Tages sogar sein grĂ¶ĂŸtes Idol, Elvis Presley kennen. Presley will Gitarre spielen, fragt nach einem Plektrum. Evans, der sonst immer welche dabei hat, falls jemand eines brauchen sollte (selbst im Urlaub, wie alle Beatles glaubhaft versichern!), stellt betroffen fest, dass sein Hemd in der Reinigung war und die Taschen alle leer sind. „Ich habe ihm in der KĂŒche aus Plastiklöffeln schnell ein paar provisorische gebastelt“, wird er sich spĂ€ter erinnern, „aber die EnttĂ€uschung war riesengroß. Wenn ich eines gehabt hatte, hĂ€tte er es gespielt und mir dann zurĂŒckgegeben. Es wĂŒrde heute eingerahmt an meiner Wand hĂ€ngen.“

Das Ende der Beatles bedeutet in diesem Fall nicht mal das Ende von Mal Evans. Er ist den Fab Four so wichtig, dass sie ihn nach Allen Kleins drastischer KĂŒndigungswelle bei Apple kurzerhand zurĂŒckholen, weil er ihnen fehlt. Beim allerletzten Beatles-Auftritt auf dem Dach von Apple ist er natĂŒrlich auch dabei, steht mit unergrĂŒndlicher Miene hinter Ringo Starr. Der ewige Bodyguard. Das Auseinanderfallen der grĂ¶ĂŸten Band aller Zeiten kann auch Evans nicht verhindern. Doch wenn er es gekonnt hĂ€tte, hĂ€tte er alles dafĂŒr getan: Post-Beatles geht es mit seinem Leben alsbald bergab. ZunĂ€chst versucht er sich noch als Produzent, haut aber 1973 nach Los Angeles ab, wo er viel Zeit mit John Lennon wĂ€hrend dessen Lost Weekend verbringt. Er ist an den Solowerken von George Harrison und Ringo Starr beteiligt und schreibt so oft es geht an seinen Memoiren. Die soll er am 12. Januar 1976 unter dem Titel Living The Beatles’ Legend bei seinem Verleger abgeben.

Sechs SchĂŒsse werden abgefeuert

Dazu kommt es nie. Getrennt von seiner Frau, lebt Evans mittlerweile mit seiner neuen Freundin Fran Hughes in einem Motel in Los Angeles. Seine Frau will die Scheidung, er verfĂ€llt in Depressionen, schluckt eine Menge Valium. Als John Hoernie, sein Co-Autor, am 5. Januar 1976 besorgt bei ihm vorbeischaut, eskaliert es. Evans zĂŒckt eine Waffe, bis heute ist nicht klar, ob es eine echte ist oder nur ein Luftgewehr. Hoerie ruft die Polizei, die das Haus betritt und Evans auffordert, die Waffe runterzunehmen. Irgendwann eröffnet sie das Feuer. Sechs SchĂŒsse werden abgegeben, vier treffen Evans. Besonders morbide: Seine Noch-Ehefrau wird spĂ€ter die Rechnung ĂŒber die Teppichreinigung bekommen, auf dem ihr Ehemann gestorben ist.

Bei seiner Beerdigung am 7. Januar 1976 sind unter anderem George Martin und Neil Aspinall anwesend. Ein Beatle ist nicht dabei. Per Post soll Evans’ Asche zurĂŒck nach England geschickt werden. Ein grausamer Scherz des Schicksals: Ausgerechnet die sterblichen Überreste eines ehemaligen Postmitarbeiters gehen auf dem Weg verloren und erreichen ihren Bestimmungsort erst viel spĂ€ter. Zehn Jahre spĂ€ter wird im Keller eines New Yorker Verlags eine Kiste mit TagebĂŒchern, Lyric-Sheets und Ă€hnlichem gefunden – Evans’ Nachlass. 2010 wird der handgeschriebene Text zu A Day In The Life fĂŒr 1,2 Millionen US-Dollar an einen anonymen Bieter verkauft. Im Tode verhĂ€lt es sich fĂŒr Mal Evans also wie im Leben: Vom Reichtum der Beatles profitierte der sanfte Riese nie. Wohl aber von ihrer Freundschaft.

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