Die frühen Frauen des Rock’n’Roll: Wichtig, aber übersehen

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„Godmother of rock and roll“: Sister Rosetta Tharpe im Jahr 1940. Foto: James Kriegsmann/Michael Ochs Archives/Getty Images

Suzi Quatro, Grace Slick oder Patti Smith: Sie alle verehren wir mindestens genau so sehr wie ihre männlichen Pendants, wenn wir über Rock reden. Ihnen ging jedoch eine Generation an Musikerinnen voraus, deren Namen sich nicht so stark ins popkulturelle Bewusstsein einfräsen konnten – dabei haben die frühen Frauen des Rock ganz schön was zu bieten. Schauen wir uns fünf beeindruckende Vertreterinnen an!

von Victoria Schaffrath

1. Peggy Jones

Wen man als „Königinmutter der Gitarre“ bezeichnet, hat sich eine Nennung in dieser Liste offensichtlich verdient. 1940 im New Yorker Stadtteil Harlem geboren, besucht sie eine Schule für die darstellenden Künste. Mit 15 gibt es dann die erste Gitarre, die die junge Frau praktisch nicht mehr aus der Hand legt, bis sie durch Zufall auf Bo Diddley trifft. Der holt die ehrgeizige Dame prompt in seine Band, wo sie so zur womöglich ersten veritablen Rock-Gitarristin wird. Hören kann man sie außerdem auf Aufnahmen von Les Cooper, James Brown und den Animals. Diddley schätzt sie auch später noch sehr: „Sie ist die einzige, die auf die echte Art spielen kann. Sie kennt alle meine Moves.“ Den Spitznamen „Lady Bo“ trägt sie dank dieser Zeit bis an ihr Lebensende im Jahr 2015. Bis zuletzt bleibt sie musikalisch aktiv.

2. Sister Rosetta Tharpe

Gospel kann auch Rock’n’Roll: In den Dreißigern und Vierzigern erspielt Sister Rosetta Tharpe, geboren 1915 als Rosetta Nubin, mit ihrer Mischung aus Gospel und rhythmischem Blues eine völlig neue Musikrichtung. Klar, wer mit vier Jahren schon Gitarre lernt, hat Großes vor sich! Weltweiter Erfolg stellt sich 1938 mit Rock Me und spätestens 1944 mit Strange Things Happen Every Day ein. Letzterer Song gilt als wichtiger Vorbote des Rock’n’Roll.

Tharpes energiegeladene Musik beeinflusst nicht nur Little Richard, Elvis und Chuck Berry, sondern nach Europa-Tourneen Anfang der Sechziger auch die Herren Beck, Clapton und Richards. Woran das liegt? Die gute Frau nutzt eine ordentliche Portion Verzerrung, die damals wie heute mächtig Eindruck schindet. Mit brillanten Schachzügen trickst sie zudem die Segregation aus und stellt sich stets vor mitreisende Nachwuchsmusikerinnen, wenn diese mit Rassismus oder Sexismus konfrontiert werden. Passend also, dass man sie „Godmother of rock and roll“ tauft. Für die LGBTQIA-Gemeinschaft gilt sie als Ikone, denn auch wenn ein Coming-out ausbleibt, gilt ihre mögliche gleichgeschlechtliche Beziehung mit Marie Knight als offenes Geheimnis. 1973 stirbt sie viel zu früh an einem Schlaganfall.

3. Sparkle Moore

Gut, der Name Sparkle („Funken“) Moore steht 1936 freilich nicht in der Geburtsurkunde von Barbara Morgan, dennoch ist er Zeit ihres Lebens Programm. Schon seit der frühen Kindheit hört sie unterschiedlichste Musikrichtungen, lässt sich von Vaudeville, Gospel und Country inspirieren und greift schließlich selbst zur Hawaiianischen Steel-Gitarre. Mit Mitte zwanzig jubelt sie Bill Haley zu und ist fortan Feuer und Flamme für den Sound des Rock’n’Roll, wodurch sich ihr eigenes Spiel dem Rockabilly annähert. Ihre blonde Tolle und ihr Stil fallen auf; das Magazin Dick zieht Vergleiche zu James Dean und Elvis Presley, denn Moore interessiert sich wenig für gesellschaftliche Vorgaben und trägt einfach die gleichen Klamotten wie ihre männlichen Kollegen. So legt Moore einen frühen Grundstein für androgyne Rockstar-Looks.

4. Memphis Minnie

Wir gehen zurück bis ins Jahr 1897, in dem das Leben von Lizzie Douglas alias Memphis Minnie beginnt. Mit zehn Jahren beherrscht das Mädchen das Banjospiel, wenig später meistert sie die Gitarre. Als sie mit 13 von zu Hause wegläuft, schlägt sie sich mit Straßenmusik durch – und zwar auf der legendären Beale Street in Memphis. Hier wird sie Teil der sich rasant entwickelnden Blues-Szene. Zunächst füllt sie das schwache Portemonnaie noch mit gelegentlicher Prostitution (zu dieser Zeit für Musikerinnen nicht unüblich); in den Dreißigerjahren veröffentlicht sie mit ihrem zweiten Ehemann erstes Material. Nach der Scheidung experimentiert sie dann mit einem härteren Sound oder liefert sich gern mal Gesangswettbewerbe mit Big Bill Broonzy. In einer Biografie heißt es: „Sie hat die Gitarre nie aus der Hand gelegt, bis sie sie buchstäblich nicht mehr hochheben konnte.“ 1973 verstirbt sie an einem Schlaganfall, ihr Erbe bleibt jedoch lebendig: Jefferson Airplane, Donovan und Led Zeppelin sollen später ihre Songs covern.

5. Carol Kaye

Der Erfolg einer der produktivsten Bassspielerinnen überhaupt entsteht durch einen Zufall: Eigentlich zupft die 1935 geborene Carol Kaye nämlich den Sechssaiter, unterrichtet sogar und spielt in kalifornischen Big Bands. Das läuft so gut, dass sie beginnt, mit Größen wie Quincy Jones und Brian Wilson aufzunehmen. Genau bei so einer Session vermisst man eines Tages die für den Bass gebuchte Person, also schnappt sich Kaye kurzerhand selbst das neue Instrument. Das läuft so gut, dass sie fortan im Rock’n’Roll-Orchester The Wrecking Crew mitmacht – und damit quasi zur Hausband von Phil Spector gehört. Bis heute kann man sie daher auf Werken von Sonny & Cher, Stevie Wonder und den Supremes hören; zudem unterstützt sie auf Wahnsinns-Alben wie Pet Sounds und Smile von den Beach Boys. Schon einmal den weltbekannten E-Bass-Lauf auf These Boots Are Made For Walkin’ von Nancy Sinatra gehört? Den gibt es dank Carol Kaye.

Außerdem drückt sie schon früh in ihrer Karriere Evergreens wie La Bamba von Ritchie Valens und You’ve Lost That Loving Feeling von den Righteous Brothers ihren Stempel auf. Meist ist sie da die einzige Musikerin im Raum und ihrer Zeit damit weit voraus. Später beschäftigt sie sich mit Film-Soundtracks, so zum Beispiel bei Mission: Impossible. Um Geld geht es ihr dabei nicht: In einer Dokumentation über die Wrecking Crew gibt sie 2008 an, zeitweise mehr Geld verdient zu haben als der amtierende US-Präsident.

Noch mehr wegweisende und herausragende Künstlerinnen kannst du in unserer Playlist hören:

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