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Popkultur

Zeitsprung: Am 23.10.1995 kommt „Mellon Collie & The Infinite Sadness“ (Smashing Pumpkins).

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Foto: Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 23.10.1995.

von Tobi Wienke und Christof Leim

Mit Mellon Collie And The Infinite Sadness gehen die Smashing Pumpkins in die Vollen: Satte 26 Songs aus der Feder von Bandkopf Billy Corgan, der nicht weniger als das The Wall seiner Generation schreiben will – und das womöglich sogar getan hat. Im Oktober 1995 erscheint die Platte.

Hier könnt ihr die Platte anhören:

Dass Mellon Collie Mitte der Neunziger zu den großen Werken der Alternative-Rock-Szene zählt, steht außer Frage. Wann genau das gute Stück erschienen ist, scheint aber unklarer. Manche Quellen nennen den 23. Oktober 1995, andere visieren den folgenden Tag an. Beide Zahlen sind plausibel, denn in Großbritannien erscheinen damals Alben traditionell montags (23.10.), in den USA dienstags (24.10.). Um die Sache noch komplizierter zu machen: In Deutschland kamen Platten in der Regel freitags. Glücklicherweise wurde das 2015 aufgeräumt, mittlerweile gibt es neue Musik weltweit freitags. So oder so: Für unsere Zeitsprung-Geschichte passt der 23. Oktober gut.

Auf Tour geschrieben

Billy Corgan, der Kopf der Band (1995 anfangs noch mit, später dann ohne Haare) legte die Messlatte selbst extrem hoch beim dritten Album seiner Band: Nicht weniger als das The Wall seiner Generation solle die Platte werden, wird er zitiert. Eine beinahe größenwahnsinnige Ansage für eine Band, der erst zwei Jahre zuvor mit Siamese Dream der Sprung aus dem Untergrund gelungen ist. Allerdings gilt Corgan auch nicht als Mann der kleinen Worte.

Kreativ- und Querkopf hinter den Smashing Pumpkins: Billy Corgan, hier bei einer Show in Amsterdam im Dezember 1995 – Foto: Niels van Iperen/Getty Images

Die Grundlagen vieler Songs entstehen auf der 13-monatigen Welttour zu Siamese Dream – und es sind eine ganze Menge. Über 50 Lieder hat die Band im Gepäck, als sie im März 1995 den „Pumpkinland“ genannten Proberaum in Chicago betritt, denn: Statt im Studio soll das neue Album dort aufgenommen werden. Diese Idee stammt vom neuen Produzenten Mark Ellis, genannt „Flood“, der in den Jahren zuvor bei U2, Depeche Mode und Nick Cave an den Reglern saß. Ein alter Weggefährte der Pumpkins mischt also nicht mehr mit: Butch Vig, der neben den ersten Alben der Pumpkins auch eine der legendärsten Platten der Neunziger produziert hat: Nevermind von Nirvana. 

Viel hilft viel

Neben Corgan streuen auch die übrigen Bandmitglieder die ein oder andere Idee mit ein; in den Credits des Albums taucht neben dem exzentrischen Frontmann allerdings lediglich Gitarrist James Iha auf. Das scheint der zwischenmenschlichen „Chemie“ zu diesem Zeitpunkt aber (noch) nichts auszumachen.

Waren die Vorgängeralben eher klassisch aufgebaut – zehn bzw. 13 Songs, manche davon über acht Minuten lang – soll ihr neues Album jegliche Grenzen sprengen. 28 Lieder auf einer Doppel-CD oder Dreifach-LP: drunter will es Corgan diesmal nicht machen. Nach dem Erfolg des Vorgängers (Top 10 in UK und USA, dazu Gold und Platin-Auszeichnungen) lässt sich die Plattenfirma darauf ein – und landet einen Coup.

Die Neunziger auf zwei CDs

Denn gleich nach dem Erscheinen Ende Oktober rauscht das Doppelalbum auf Platz eins der Billboard-Charts. Auch wenn es offiziell kein Konzeptalbum ist, tragen die einzelnen CDs bzw. LP-Seiten Überschriften, die den Verlauf eines Tages repräsentieren. Auf Silber heißt es Dawn to Dusk und Twilight to Starlight, auf Vinyl Dawn, Tea Time, Dusk, Twilight, Midnight und Starlight. Die textlichen Inhalte haben allerdings weniger mit den Tageszeiten zu tun.

Vor allem die musikalische Bandbreite fällt auf, von klassischem Neunziger-Alternative-Rock im Song 1979, Grunge-mäßiger Wut in Bullet With Butterfly Wings  bis hin zu dramatisch-epochaler Gänsehaut in Tonight, Tonight. Damit wird die Scheibe zum Meilenstein. Sollten eure Kinder oder Enkelchen mal fragen: „Wie waren eigentlich die Neunziger?“, dann gebt ihnen einfach dieses Album. (Nein, den Eurodance-Kram haben wir nicht vergessen – nur ignoriert.)

Höhepunkt und Wendepunkt

Der große Erfolg des Werkes markiert den Höhepunkt der Bandgeschichte. Auch sieben Grammy-Nominierungen, den Preis für die beste Hard-Rock-Performance für Bullet With Butterfly Wings und viel Airplay auf MTV mit ikonischen Videos können den ab da fortschreitenden Untergang der Band nicht verhindern. 

Zunächst geht es erstmal wieder auf große Tour, die jedoch schwerwiegende Folgen für die Smashing Pumpkins hat. In Dublin wird ein weiblicher Fan zu Tode gequetscht, Schlagzeuger und Gründungsmitglied Jimmy Chamberlain springt im späteren Verlauf dem Tod nach einer Überdosis Heroin gerade noch von der Schippe. Tour-Keyboarder Jonathan Melovin überlebt diesen Trip allerdings nicht. Chamberlain wird daraufhin gefeuert, was das Bandgefüge nachhaltig angreift. Auch wenn er 1999 bereits zurückkehrt, kann das die Auflösung der Smashing Pumpkins im Jahr 2000 nicht aufhalten. 

Doch die erweist sich ebenso wenig als endgültig wie Billy Corgans Haltung zur Rockmusik. Mehrfach spricht er ihr anhaltende Bedeutung ab, kritisiert andere Bands für ihre, aus seiner Sicht langweilige Musik, legt sich mit ehemaligen Weggefährten wie Dave Grohl an – und plant, im November 2020 ein neues Album unter dem Namen The Smashing Pumpkins zu veröffentlichen. Mit dabei sind die Gründungsmitglieder James Iha und Jimmy Chamberlain; Urbassistin D’Arcy Wretzky und Corgan hingegen werfen sich gegenseitig vor, keinen Kontakt mehr zu wollen. Die Geschichte geht also weiter – aber ob Corgan jemals wieder die Genialität von 1995 erreicht, bleibt abzuwarten…

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