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Popkultur

Guitar Gods – Heilige an sechs Saiten

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Seit den Anfangstagen der Rock-Ära gab es immer Gitarristen, die ganze Generationen dazu inspirierten, es ihnen nachzutun. Aber unter den zahlreichen Aposteln, finden sich nur wenige Auserwählte, denen der Status eines Gitarrengottes zukommt. Wer sind sie und was macht sie so besonders?

Der Gitarre wohnt eine ganz eigene Magie inne. Sie ist mit keinem anderen Instrument vergleichbar. Das zeigt sich daran, wie wir uns mit unseren Helden verbunden fühlen und wie wir über sie reden. Da können andere virtuose Musiker meist nicht mithalten. Diese gottgleichen Figuren bringen die Gitarre zum Singen und zum Weinen, und besonders der elektrischen Gitarre entlocken sie dank einer Kombination aus bestimmten Instrumenten, Verstärkern und Signalprozessoren charakteristische Sounds… aber vor allem ist es ihr Talent, das sie von der Masse abhebt.

Zuerst gab es Chuck Berry mit seinen unverwechselbaren Licks, die Gitarristen weltweit beeinflussten. Dann kamen Eric Clapton und Jimi Hendrix – beide stark inspiriert von einer Gruppe von Bluesmusikern. Aber was ist mit den vielen anderen, die die Grenzen von dem, was eine elektrische Gitarre leisten kann, sprengten?

 

Gitarre Guns N RosesWenn man sich einen Gitarrengott backen könnte, hätte der wahrscheinlich große Ähnlichkeit mit Slash: tiefhängende Les Paul-Gitarre, Zigarette im Mundwinkel, Lederhose und sein Markenzeichen, der Zylinder – Slashs Gitarrenspiel trug maßgeblich zum Durchbruch von Guns N’ Roses bei. Zu einer Zeit, als zahllose schlechte Van Halen-Klone auf den Markt schwemmten, schwamm Slash mit seinem gleichzeitig rauhen und melodischen Stil gegen den Strom. Er orientierte sich an klassischen Rockgitarristen wie Hendrix, Keith Richards und Joe Perry von Aerosmith. Vielleicht ist aufgrund seiner englischen Herkunft auch ein wenig von Paul Kossoffs DNA in seinem Stil (der Gitarrist der Band Free, der viel zu früh verstarb und so viele nach ihm beeinflusste). Slashs Einfluss war so groß, dass Gibson ab 1987 einen Anstieg der Nachfrage nach Les Paul-Gitarren verzeichnete. Das ist ironisch, wenn man bedenkt, dass seine ursprüngliche, auf Appetite For Destruction verwendete Gitarre eine Kopie war.

Die Hits von Guns N’ Roses erzählen alles, was man über Slashs Gitarrenspiel wissen muss: das epische Intro von ‘Sweet Child Of Mine’, das Wah Wah-Solo, der unglaublich schnelle Lauf am Ende von ‘Paradise City’, die harten Riffs von ‘Welcome To The Jungle’, das Slide Guitar Solo, und nicht zu vergessen die gigantischen melodischen Bends und Sustains des ‘November Rain’-Solos. Auch auf anderen Tracks auf diversen Alben gibt es großartige Momente; das Talkbox-Solo auf ‘Anything Goes’ auf ihrem Debütalbum und die unterschiedlichen Melodien auf ‘Estranged’, insbesondere das Hauptsolo in der Mitte dieses neunminütigen Werks auf Use Your Illusion II.

Wenn Ihr Extreme nur von ihrer Akustikballade ‘More Than Words’ kennt, dann seid Ihr Euch der beeindruckenden Virtuosität von Nuno Bettencourt womöglich nicht bewusst. Er hat bei Eddie Van Halen gelernt, ist aber so unglaublich gut, dass man ihm nie vorwerfen konnte, er würde ihn nur kopieren. Nuno kann einige fast unwirkliche Dinge auf der Gitarre spielen und ist dabei immer melodisch.

Ihr erster großer Hit (in Großbritannien, nicht zu Hause in den USA) war ‘Get The Funk Out’ von ihrem zweiten Album Pornograffitti. Das Solo auf diesem Song zeigt so gut wie alles, was Nuno zu bieten hat – superschnelles Picking und die zweihändige Tappingtechnik, die durch Van Halen bekannt geworden war. Das verblüffende Timing seines Phrasings zeigt, dass er wirklich die komplette Kontrolle hat. Sogar die atemberaubend schnellen und komplexen Funkrhythmen von Extremes Musik gaben Nuno eine wunderbare Plattform, auf der er sich musikalisch austoben konnte. Wenn Ihr mal etwas Anderes hören wollt, dann versucht es mal mit dem Acoustic-Instrumental ‘Midnight Express’ von ihrem vierten Album Waiting For The Punchline.

 

Progrock-Fans feiern ihre Virtuosen. Oftmals sind das Keyboarder wie Rick Wakeman. Aber kaum einer wurde so bewundert wie der Gitarrist Alex Lifeson von der kanadischen Band Rush. Er war besonders bekannt für seinen effektreichen Sound, den er extrem effizient einsetzte und so satte Klanglandschaften und den vollen Sound für das Trio schuf. Ein anschauliches Beispiel dafür ist ‘Kid Gloves’ von Grace Under Pressure: Die Kombination spitzer rhythmischer Akkorde mit synkopierten Arpeggios (Akkorde, die in einzeln gespielte Noten aufgebrochen werden) und Chorus- und Delay-Effekte ergibt den Sound von Rush. Das Solo ist eine Erweiterung davon. Es beginnt mit einem kantigen, rhythmischen Phrasing, das den Song weiterführt, zu einem Höhepunkt aufbaut und dann nahtlos wieder in das Riff übergeht. ‘Closer To The Heart’ von A Farewell To Kings demonstriert seine melodischere Seite im Solo. Es knüpft dort an, wo der Gesang aufhört, und die Harmonie-Gitarre wirkt geplant und komponiert.

GitarreAndy Summers ist stilistisch nicht allzuweit entfernt und bewegt sich ebenfalls in dem klanglichen Rahmen eines Trios. Seinen Beitrag zu The Police kann man kaum hoch genug einschätzen. Die Songklassiker wie ‘Message In A Bottle’ und ‘Every Breath You Take’ stammten zwar von Sting, aber erst durch Summers Gitarre, wurden sie prägend für die Karriere der Band. Auch wenn man sich die Gitarren ohne den Gesang anhört, weiß man immer noch ganz genau, um welchen Song es sich handelt. Ein Gitarrengott, der nicht für seine Solos, sondern die Rhythmusgitarre bekannt ist, ist eine Seltenheit, aber Andy Summers unverwechselbarer musikalischer Fingerabdruck erklärt sich durch seine Kenntnisse im Jazzbereich und seine Fähigkeit, diese im Pop anzuwenden und einen interessanten Sound zu kreieren, der die Zuhörer nicht gleich verschreckt. Das rhythmische Wechselspiel zwischen Gitarre, Bass und Drums ist bei The Police der Schlüssel: Auf Songs wie ‘Roxanne’ und ‘Walking On The Moon’ kann man hören, wie Sting, Andy und Stuart zusammen und umeinander herum spielten und dabei Raum für Experimente ließen, wie auf dem Titeltrack von Reggatta De Blanc, aber sie zögerten auch nicht, mal richtig zu rocken (‘Synchronicity I’ und ‘II’ auf dem gleichnamigen Album).

Soviel rhythmische Vielfalt wird man auf einem U2-Album nicht finden, aber was man findet, ist die ultimative Plattform für eine weitere Art von Guitar Hero. Edge steckt hinter einigen der unverwechselbarsten Klänge, die je auf einem Album zu hören waren: gewaltige Rockriffs wie ‘Vertigo’, ‘Beautiful Day’, ‘The Fly’, wunderschöne Akkorde auf ‘One’, ‘Stuck In A Moment You Can’t Get Out Of’ und natürlich die monumentalen Wall of Sounds, die mit wiederholten Delay-Effekten und Reverb entstanden, so z. B. auf ‘I Will Follow’, ‘New Years Day’, ‘Pride (in the name of love)’ und ‘I Still Haven’t Found What I’m Looking For’.

U2 GitarreEdge kreierte gewissermaßen einen neuen Gitarrenstil und viele der Songs wurden um die Sounds herum gebaut, anstatt die Effekte im Nachhinein einzufügen. Die vielschichtigen Strukturen sind weiterhin ein Markenzeichen des Sounds von U2, aber Edge hat auch keine Angst vor Experimenten. Falls Ihr Euch gefragt habt, was er in der Hand hat, wenn er ‘With Or Without’ live spielt: Das ist ein sogenannter Ebow, ein elektronisches Gerät, dass die Saiten zum Vibrieren bringt, damit diese ewig langen Töne entstehen, die wir alle kennen. Weitere tolle Beispiele für seine Vielseitigkeit sind z. B. der rauhe, kratzige Klang auf ‘Get On Your Boots’, der verzerrte Wah-Sound auf ‘Discotheque’ und der regelrecht dreckige Sound auf ‘Numb’ vom Album Zooropa – ein Track auf dem Edge auch die Leadvocals singt.

 

Wenn der Gitarrist auch der Sänger der Band ist, gibt es keine Kämpfe um das Spotlight. Diese beiden Funktionen miteinander zu verbinden, verdient allerhöchsten Respekt. Nur Musiker können wirklich verstehen, wie schwierig das sein kann – es geht definitiv über das gleichzeitige Reiben des Bauches und Klopfen auf den Kopf hinaus. Mark Knopfler ist einer der Musiker, bei dem es für das ungeübte Auge total einfach aussieht, wenn er zwischen Gesang und scharfen Gitarrenparts wechselt. Am augenscheinlichsten ist das Zusammenspiel in Dire Straits-Tracks wie ‘Your Latest Trick’ und ‘Brothers In Arms’, wo die Lücke zwischen den Textzeilen fast wie bei einem Call-and-Response Spiel mit einem kurzen Notenwirbel gefüllt wird.

Knopfler hat einen ganz anderen Stil, stark beeinflusst von Rock’n’Roll- und Countrymusikern wie James Burton, Scotty Moore und Chet Atkins. Mit Letzterem hat er auf dem Album Neck And Neck kollaboriert. Nicht nur, dass er mit den Fingern statt Plektrum spielt; er ist außerdem Linkshänder, spielt aber rechtshändig, worauf viele den einzigartigen Sound zumindest zum Teil zurückführten. Den Country-Einfluss hört man ganz deutlich auf Dire Straits-Hits wie ‘Sultans Of Swing’, ‘Calling Elvis’, sowie während seiner kompletten Solokarriere; ‘No Can Do’ von Golden Heart und ‘Do America’ von Sailing To Philadelphia sind gute Beispiele für die Kombination aus Country-Rhythmen und –Strukturen mit einem rauhen, verzerrten Gitarrensound.

Er ist ein äußerst gefühlvoller Gitarrist und so ist es nicht überraschend, dass seine Musik in der Filmwelt sehr gefragt ist. So entstanden erinnerungswürdige Stücke wie die spätere Hymne des Newcastle FC ‘Going Home: Theme Of The Local Hero’. Nicht alle seine Beiträge zu Filmen sind Gitarrentracks, aber auf dem Soundtrack zu Wag The Dog und auf dem weniger bekannten A Shot At Glory sind ein paar besonders geschmackvolle Stücke.

4 Gary Moore Guitar GodsAuch Gary Moore war ein Linkshänder, der mit rechtshändiger Technik spielte, und auch er war zusätzlich Sänger; obwohl seine Karriere ganz anders begann. Zunächst zog er von Dublin nach Belfast, um sich der Band Skid Row als Sessionmusiker mit außerordentlichen Fähigkeiten anzuschließen. Die Zusammenarbeit hielt nicht lange und 1973 hören wir ihn auf seinem ersten Soloalbum Grinding Stone zum ersten Mal Blues singen. Danach spielte er dreimal für einige Zeit in Thin Lizzy – hauptsächlich als Tourgitarrist, aber mit einigen Performancesschaffte er es auch auf Platte: die Ballade ‘Still In Love With You’ vom Album Nightlife (1974) und ‘Roisin Dubh (Black Rose): A Rock Legend’ auf Black Rose (an diesem Song hatte Moore auch mitgeschrieben). Letztere zeigt auch die keltischen Wurzeln, die immer wieder ihren Weg in sein Gitarrenspiel fanden und besonders deutlich auf dem Album Wild Frontier von 1987 zu hören sind: Das Instrumental ‘The Loner’, geschrieben von Jeff Becks früherem Keyboarder Max Middleton, ist herausragend.

1978 wandte er sich mit Back On The Streets wieder seiner Solokarriere zu. Es ist eine Mischung unterschiedlicher Stile: ‘Flight Of The Snow Moose’ spiegelt seine Zeit in der Jazz Fusion Band Colosseum II wieder und ‘Don’t Believe A Word’ ist ein Indikator dafür, dass er schließlich den direkten Weg Richtung Blues einschlagen würde. Der bekannteste Track ist ‘Parisienne Walkways’ mit Garys gefühlvollem Vibrato, exquisitem Phrasing und der Fähigkeit, sein Gitarrenspiel zu einem integralen Element des Songs zu machen. Geschrieben hat er den Track zusammen mit Phil Lynott, seinem Kumpel von Skid Row und Thin Lizzy, und später taten sich die beiden für das Album Run For Cover (1985) wieder zusammen. Aus dieser Kollaboration entstand die Hitsingle ‘Out In The Fields’, aber auch eine Version von ‘Military Man’ – ein weiteres Beispiel für die puren Emotionen, die Gary Moore beim Zuhörer hervorrufen konnte. ‘Empty Rooms’ ist ein so großartiger Song, dass er ihn schon mal für das Album Victims Of The Future aufgenommen hatte, bevor er schließlich einen weiteren Hit mit fantastischen Gitarrenmoment wurde – zunächst ein klassischer Gitarrenpart, der dann in einem kreischenden und sehr melodischen Crescendo ausbricht.

 

Als Gary Moore die Entscheidung fällte, sich auf den Blues zu konzentrieren, wechselte er fast komplett zu Les Paul-Gitarren. Eine davon hatte zuvor Peter Green von Fleetwood Mac gehört und die Inspiration hinterließ ihre Spuren. Auf dem Album Still Got The Blues und den beiden Nachfolgern After Hours und Blues For Greeny sind so viele großartige Beispiele für seinen Stil. Er spielt den Blues in all seinen Formen, aber für sein Gitarrenspiel bieten Balladen immer noch den besten Kontrast. ‘Jumping At Shadows’, ‘Separate Ways’, ‘Still Got The Blues’, ‘As The Years Go Passing By’, ‘Need Your Love So Bad’ und ‘Nothing’s the Same’ sind alle fantastische Einblicke in die Arbeit dieses virtuosen Musikers, der nach seinem Herzinfarkt 2011 leider nicht mehr unter uns weilt.

Richard Thompson ist eine ganz andere Art von Gitarrengott. Am bekanntesten ist seine Arbeit als Mitglied der britischen Folklegende Fairport Convention, aber er leistete auch einen maßgeblichen Beitrag zum Sound der gesamten Bewegung, tauchte auf Alben von Sandy Denny und Nick Drake auf, und veröffentlichte Soloalben, sowie Kollaborationen mit seiner Frau Linda. Er fühlte sich mit der akustischen Gitarre genauso wohl wie mit der elektrischen und spielt mit einer Hybridtechnik, sowohl mit Fingerpicking und Plektrum.

Nicht jeder Gitarrengott musste mit Pyrotechnik protzen. Sie beeindrucken einfach mit ihrer vollendeten Virtuosität. Thompsons langes Solo in dem Song ‘Can’t Win’ vom Album Watching the Dark findet fast überhaupt kein Ende und es ist so gut, dass man auch gar nicht möchte, dass es aufhört. Auf ‘Hard on Me’ von Mock Tudor (1999) bricht er wirklich aus, aber er hat immer die Kontrolle, und genau das ist eine der Facetten, die sein Gitarrenspiel so attraktiv machen. Aus seiner Zeit mit Fairport Convention sticht besonders seine Arbeit auf ‘Mr Lacey’ auf Fairport Convention at the BBC heraus und auf dem neunminütigen Werk ‘Sloth’ auf Full House zeigt er seine komplette Bandbreite.

GitarreDie ultimative Auszeichnung ist es, wenn andere Künstler die Talente eines Guitar Heros für ihre Platten haben wollen – der letzte Schliff, wenn nur der unverwechselbare Sound eines bestimmten Musikers gut genug ist. Beispiele dafür kann man an ganz unvermuteten Orten finden. Die meisten werden wissen, dass Slash auf den Spuren von Van Halen wandelte, als er auf Michael Jacksons ‘Black Or White’ spielte, aber er spielte auch auf Lenny Kravitzs Album ‘Always On The Run’ (daher auch die Erwähnung kurz vor dem Solo). Stevie Wonder ruft Jeff Becks Namen bei seinem Solo auf ‘Lookin’ For Another Pure Love’ von Talking Book, aber bei Jon Bon Jovis ‘Blaze of Glory’ wird er nicht groß angekündigt. Und wenn Ihr etwas wirklich Geniales hören wollt, dann empfiehlt sich sein Gastauftritt auf Trombone Shortys Track ‘Do To Me’. Auf Lionel Richies ‘Running With The Night’ sind sogar zwei großartige Solos von Steve Lukather von Toto (unbedingt die Albumversion anhören, da auf der Singleversion das Solo beschnitten ist). Richard Thompsons einzigartiger Stil passt auch perfekt zu ‘Sister Madly’ von Crowded House und mit seiner Performance auf dem Gaucho Albumtrack ‘Time Out Of Mind’ ist Mark Knopfler einer von vielen großen Musikern, die auf den Platten von Steely Dan mitwirkten. Slash hat einen weiteren Gastauftritt auf Rihannas Track ‘Rockstar 101’, und Rihanna hat außerdem das große Glück, Nuno Bettencourt in ihrer Liveband zu haben – Grund genug, sich ihre Show anzusehen.

So sieht es also aus. Ein Gitarrengott kann sehr viel ausmachen…

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