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Popkultur

„Power Up“: AC/DC setzen ein verkorkstes Jahr unter Strom

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AC/DC
Foto: Josh Cheuse

2020 kann auch schön sein: AC/DC stöpseln wieder ein, drehen auf elf und legen mit Power Up den elektrifizierenden Beweis vor, dass alte Besen immer noch am besten kehren. Ein Kniefall in Kritikform? Mitnichten! Eher ein knallharter Realitätscheck.

von Björn Springorum

Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter. Eins und eins ergibt zwei. Im Winter ist es kalt, im Sommer ist es warm. Ein Toast landet immer auf der Marmeladenseite. Und AC/DC klingen wie AC/DC. So ist das nun mal mit Naturgesetzen. Wir Menschen können sie nicht ändern. Wir können nur damit leben.

Hört hier das neue AC/DC-Album Power Up:

Es ist deswegen wohl nur für die wenigsten überraschend, dass AC/DC auch auf Album 17 so klingen, wie sie eben klingen. Ein Ton, eine Sekunde des Openers Realize und man realisiert sprichwörtlich: In Australien gehen die Uhren nicht nur anders. Sie stehen seit Jahrzehnten still. Und ich möchte jetzt jede*n Nörgler*in höflich bitten, vorzutreten und das Unvermeidliche loszuwerden. Originell sei das ja alles schon seit Jahrzehnten nicht mehr, man solle sich doch bitte endlich mal zur Ruhe setzen, all den ambitionierten Jungspunden das Feld überlassen und überhaupt, das ist doch eigentlich furchtbar kindisch, in dem Alter immer noch so rumzuhüpfen.

Sie spielen diese Musik nicht, sie sind diese Musik.

Ganz ruhig und bestimmt sage ich da: Nix da! Das hier ist nicht irgendeine Band. Das hier sind AC/DC. Sie spielen diese Musik nicht, sie sind diese Musik. Jede letzte Faser ihrer Körper besteht aus purem Rock, durch ihre Adern fließen flüssige Riffs von Angus Young und ihr Herz pumpt im stoischen Groove von Phil Rudd. Seit 1975 gibt es für diesen Güterzug nur eine Richtung: Geradeaus, immer auf kürzestem Weg ins Ziel. Wer das einfallslos findet, hat schlichtweg keine Ahnung von dieser Musik. Und macht sich höchstwahrscheinlich auch Ananas auf die Pizza.

Es steht in Stein gemeißelt wie die präsidialen Visagen im Mount Rushmore: AC/DC waren AC/DC, AC/DC sind AC/DC und AC/DC werden immer AC/DC bleiben. Naturgesetze ändern sich nicht. Ein Album wie Power Up ist deswegen so ziemlich das Beste, das uns in diesem verkorksten Jahr passieren konnte. Wenn alles andere ungewiss, unplanbar, unwägbar und unerträglich wird, tut es gut, wieder eine alte Konstante in unserem Leben zurückzuerhalten. AC/DC sorgen für ein kleines bisschen Normalität in einer surrealen Dystopie, für einen Lichtblick am Ende eines echt dunklen Jahres.

Wäre ja aber auch so schon eine Sensation gewesen, dieses Album. Nach Rock Or Bust standen eher Schlagzeilen wie Phil Rudds Gerichtsverhandlungen oder Brian Johnsons temporärer Ausstieg, der tatsächlich Axl Rose hinters Mikro der australischen Dampflock brachte. Dann teilte auch noch Bass-Masseur Cliff Williams mit, dass er nach den Touren zu Rock Or Bust aus gesundheitlichen Gründen aussteigen würde. Der Tod von Malcolm Young 2017 war die Spitze all jener tragischen Ereignisse, nach denen niemand ernsthaft daran geglaubt hätte, dass AC/DC jemals wieder eine Platte aufnehmen würden.

Tribut an Malcolm Young

Aber sie haben es getan. Und sie können es noch. Niemand spielt diese Musik wie sie, niemand fühlt den Groove so wie sie, niemand schreisingt wie sie, niemand schnitzt sich Riffs vom Griffbrett wie sie. Geschrieben von den Gebrüdern Young, enthält Power Up das letzte Material des verstorbenen Malcolm Young. „Dieses Album ist meinem Bruder Malcom gewidmet. Es ist ein Tribut an ihn ebenso wie Back In Black ein Tribut an Bon Scott war“, sagte Angus Young kürzlich im Rolling Stone. Das verschafft Power Up ganz automatisch eine Sonderstellung im Kanon der Australier. Es steht aber auch ohne diese emotionale Bürde für sich: roh, furios, minimalistisch, schnörkellos und so dermaßen auf den Punkt gerockt, dass man die Uhren danach stellen kann. Hört man, dass hier jetzt Angus den Lead-Part übernimmt und nicht Malcolm? Ganz ehrlich: Es spielt keine Rolle!

Aufgenommen im Spätsommer 2018 binnen sechs Wochen in Bryan Adams’ Warehouse Studio in Vancouver, erfüllt Power Up jedes einzelne Versprechen dieser Musik. Es ist vollkommen egal, ob das jetzt 2018, 2008 oder 1988 war. AC/DC schaffen die Zeit ab, arbeiten sich auf gewohnt höchstem Niveau an sich selbst ab und altern weiter in Würde. Schon beeindruckend, wie man dieses Uhrwerk wieder zum Laufen gebracht hat. Sie machen einfach weiter, immer weiter, als hätten sie keinen Tag Pause gemacht. Unbeirrbar, unbelehrbar, auf dezidiert positive Art stoisch und mit einem Selbstbewusstsein, von dem jede*r noch was lernen kann.

Schuster, könnte man auch sagen, sollen bei ihren Leisten bleiben. Und wer die letzten 45 Jahre damit zugebracht hat, Schuhe zu nageln, macht einfach verflixt gute Schuhe. Schuhe, die sitzen, die bequem sind, die man gar nicht einlaufen muss, weil sie sich dem Fuß anschmiegen. Power Up ist ein solcher Schuh. Und ganz nebenbei ein Versuch des Universums, dieses Jahr ein wenig versöhnlicher, sicher aber deutlich lauter zu Ende gehen zu lassen. Das kann man anders sehen. Aber dann hat man diese Musik nicht verstanden.


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