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Popkultur

„Mein eigener Trauermarsch“: Die Geschichte von Procol Harums „A Whiter Shade Of Pale“

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Procol Harum
Foto: Ivan Keeman/Redferns/Getty Images

Nicht oft ist die allererste Single einer Band zugleich auch ihr größter Erfolg. Auf Procol Harum und A Whiter Shade Of Pale trifft das zu. Im Mai 1967 erscheint die barocke Verwehung eines Songs – und läutet in England den Summer Of Love ein. Zum Tod des Schöpfers Gary Brooker zeichnen wir die Geburt des Jahrhundertsongs nach.

von Björn Springorum

Das Frühjahr 1967 ist eine wilde Zeit in London. Gerade erst haben die Beatles in Gegenwart vieler prominenter Persönlichkeiten ihr Crescendo A Day In The Life eingespielt, hat die Polizei das Haus von Keith Richards auf den Kopf gestellt, hat Jimmy Hendrix im Astoria erstmals seine Gitarre in Brand gesteckt. Als der Frühling in der Luft liegt, kündet er von großen Umwälzungen, Veränderungen – und immer neuen wegweisenden Platten. Die Erste der Doors, Surrealistic Pillow von Jefferson Airplane, The Velvet Underground & Nico Die künftigen Referenzwerke geben sich die Klinke in die Hand.

Die Katze von Liz Coombes

Mittendrin in diesem legendären Tumult: Eine junge Band namens Procol Harum. Zuvor als The Paramounts bekannt, die mit Poison Ivy immerhin einen kleinen Beitrag zur Musikgeschichte der Sechziger leisten, nennen sich Sänger Gary Brooker und Texter Keith Reed künftig nach der Katze einer Katze ihrer Freundin Liz Coombes – Schreibfehler inklusive, mit Procol statt Procul. Ursprünglich wollen Brooker und Reed gar nicht selbst in der Band auftauchen und stattdessen nur die Songs schreiben. Aber es kommt natürlich mal wieder alles anders.

In der ersten fixen Besetzung Gary Brooker (Gesang, Piano), Matthew Fisher (Orgel), Ray Royer (Gitarre), David Knights (Bass) und Bill Eyden (Schlagzeug) bucht man sich im April 1967 in die Londoner Olypmic Studios ein – zur selben Zeit, als die Rolling Stones hier gerade ihren psychedelischen Versuchsballon Their Satanic Majesties Request aufblasen. Im Gepäck hat man den allerersten Song: ein ungewöhnliches, sanftes, jenseitiges Stück mit dem klangvollen Namen A Whiter Shade Of Pale.

„Das klingt nach einem gewaltigen Hit!“

Ob Denny Cordell und die anderen Produzenten und Techniker in den Olympic Studios wissen, was sie da gerade aufnehmen, ist nicht kolportiert. Es scheint aber nicht so: Cordell ist sich alles andere als sicher, dass sich die extrem prominenten Drum-Becken im Song als radiotauglich erweisen würden und schickt vorsichtshalber mal ein Vorabexemplar des Songs an Radio London. Die spielen den Song kurzerhand und verkünden: „Das klingt nach einem gewaltigen Hit!“

Schon wenige Wochen später ist klar: Der Radio-DJ hat Recht. Aber so was von. Nur zwei Takes brauchen Procol Harum, um diesen melancholischen, nostalgischen Tagtraum aufzunehmen, wenige Wochen später erscheint das Stück schon. Und macht die Band über Nacht zu Stars. Das liegt zum Teil daran, dass A Whiter Shade Of Pale einerseits vertraut verwaschen und dezent psychedelisch klingt wie vieles 1967. Die üppige barocke Aura des Songs und die sehr nah an Johann Sebastian Bach angelehnte Hammond-Melodie verpassen dem Stück aber vor allem eine surreale Sogwirkung, die von dem verschleppten Tempo gekrönt wird. „Ich versuchte nicht bewusst, Rock und Klassik zu kombinieren“, sagte Gary Brooker 2014. „Bach war einfach in mir.“

Geht’s um Sex?

Gerätselt wird seit 1967 über den kryptischen, merkwürdigen Text. Glaubt man Texter Keith Reed, dann ist ihm die erste Idee zu diesem Song auf einer Party gekommen, wo irgendjemand zu einer Frau sagte: You’ve turned a whiter shade of pale, du bist ja bleicher als bleich. Und das blieb stecken. Hoch allegorisch und metaphorisch wird hier mit nautischen Symbolen und Begrifflichkeiten aus der Welt des Tanze wahrscheinlich eine Verführung unter Alkoholeinfluss beschrieben. Sagen zumindest einige.

Reed selbst gehört interessanterweise nicht dazu. „Ich wollte eine stimmungsvolle ‚Mädchen verlässt Jungen‘-Geschichte schreiben. Ich wollte einfach eine Szene malen, nicht extra mysteriös sein.“ Vielleicht habe er während der Ideenfindung etwas geraucht, meint er, aber nicht, als er den Text geschrieben hat. „Ich war von Büchern beeinflusst, nicht von Drogen.“

Zehn Millionen verkaufte Exemplare

Ist auch so ungewöhnlich genug: Mit knapp über vier Minuten ist er länger als die meisten damaligen Radio-Hits, zudem folgt er nicht dem typischen Pop-Schema mit mindestens drei Refrains. Zehn Millionen verkaufte Exemplare von dieser ersten Single allein zeigen aber wohl recht deutlich, dass sich niemand großartig daran stört. A Whiter Shade Of Pale gehört somit zu den erfolgreichsten Singles aller Zeiten und ist so oft über den Ladentisch gewandert wie Elvis Presleys Hound Dog oder My Sweet Lord von George Harrison. 2004 wurde bekannt gegeben, dass der Song die am meisten ausgestrahlte Nummer im Großbritannien der letzten 70 Jahre ist.

Der erste Tag des Summer Of Love

Nicht schlecht für die allererste Komposition. Die Kehrseite: An diesen Erfolg können Procol Harum nicht mal ansatzweise anknüpfen. Homburg, die zweite Single, in der ein bestimmtes Hutmodell besungen wird (!), bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, und auch das selbstbetitelte Debüt macht keine großen Sprünge. Was bleibt, ist dieser eine unvergessene Song. Am 1. Juni 1967 steht er zum ersten Mal ganz oben an der Spitze der UK-Singlecharts – zeitgleich mit Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band, das in den Albumcharts ganz oben ist. Für Jim Irvin vom Mojo Magazin ist dieser Tag offiziell der erste vom britischen Summer Of Love.

Brian Wilson von den Beach Boys, damals reichlich derangiert und ob der Arbeiten an Smile einen Schritt vom Abgrund entfernt, hat wenige positive Assoziationen: Als er den Song das erste Mal hört, denkt er, es sei sein eigener Trauermarsch.

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