Popkultur
Rock-Justiz: Die absurdesten Gerichtsverfahren der Musikwelt
Die Welt des Musikbusiness ist eine merkwürdige Welt, in der es statt Milch und Honig komplexe Persönlichkeiten und Verdienstmöglichkeiten im Überfluss gibt. Kein Wunder also, dass es vor Streitigkeiten und Gerichtsverfahren nur so wimmelt. Wir schauen uns die wahnwitzigsten Forderungen und spektakulärsten Fälle an.
von Victoria Schaffrath
John Fogerty vs. Fantasy Records
Als John Fogerty nach kurzem, aber produktivem Erfolg 1972 bei Creedence Clearwater Revival aussteigt, gilt es, auch die geschäftlichen Beziehungen zu lösen. Gerade dieser Aspekt erscheint Fogerty dringlich, empfindet er doch die Deals mit der Plattenfirma Fantasy Records als enorm nachteilig für die Band. Fantasy hängt hingegen sehr an den Kaliforniern und entlässt Fogerty nur unter einer Bedingung: Er muss die Rechte an den eigenen Songs vollständig an Fantasy und deren Inhaber Saul Zaentz überschreiben.
Den Schalk im Nacken: Ein Pressebild von Fogerty aus den Achtzigern. Credit: Victoria Pearson.
Doch Fogerty wäre nicht Fogerty, wenn er seinem Unmut nicht Luft machen müsste. Zum einen bringt er es fertig, 15 Jahre lang keinen einzigen Song zu spielen, der Zaentz potenziell die Taschen füllt. Auf seinem 1985 veröffentlichten Soloalbum Centerfield finden sich dann gleich zwei Songs, die man durchaus als offenen Affront gegen den Label-Chef werten darf, nämlich Zanz Kant Danz und Mr. Greed. Da geht dieser das erste Mal vor Gericht und tritt aus der Verhandlung als Sieger hervor, Fogerty muss ersteren Titel umbenennen. Den Vogel schießt Zaentz jedoch ab, als er Fogerty des Plagiats beschuldigt – und zwar an seinem eigenen Song. Die Solo-Nummer The Old Man Down The Road klinge wie der „CCR“-Song Run Through The Jungle, nur eben mit neuem Text. Fogerty überzeugt eine Jury vom Gegenteil, indem er beide Songs im Gerichtssaal auf der Gitarre spielt.
Als Fogerty sich übrigens die Anwaltskosten zurückholen will und auf Stein beißt, klagt er zurück und schafft es schließlich bis vor den obersten amerikanischen Gerichtshof. Ob die Zeit alle Wunden heilt oder Fogerty lediglich die Chance auf einen letzten Seitenhieb wittert: Als Zaentz 2004 seine Anteile am Label verkauft, unterschreibt der Musiker erneut bei Fantasy.
Tony Iommi vs. Ozzy Osbourne
Dass Tony Iommi und Ozzy Osbourne sich schon zu Schulzeiten nicht besonders gut verstehen, legt vielleicht nicht die beste Basis für eine langfristige Zusammenarbeit bei Black Sabbath. Als der „Prince of Darkness“ seinerzeit unter dem Pseudonym „Ozzy Zig“ nach einer Band sucht und Iommi mit Bill Ward auftaucht, um den möglichen Sänger unter die Lupe zu nehmen, dreht sich der Gitarrist auf dem Absatz um: Mit derselben „Pestilenz“, die er aus Jugendtagen kennt, will er keinesfalls in einer Band spielen.
So verwundert es eigentlich nicht, dass die Streitigkeiten seit Osbournes Sabbath-Rausschmiss 1979 gleich mehrfach ihren Weg vor Gericht finden. Ein besonderes Schmankerl: Ein Verfahren um die Nutzung des Bandnamens Black Sabbath 2009. Laut Osbournes Anwälten nutzen Iommi, Ward und Geezer Butler diesen nämlich ziemlich monopolistisch, dabei stünden dem Fledermaus-Fan 50 Prozent der Erträge zu, unter anderem aus Merchandising-Umsätzen. Der Grund? Erst durch Osbournes markante Stimme sei Sabbath der langanhaltende Erfolg gelungen. Iommi und Konsorten sehen das natürlich anders. Nach einigem Hin und Her einigt man sich außergerichtlich, kurz darauf starten gar die Pläne für die Reunion. Doch bei der 2017 abgeschlossenen Abschiedstour herrscht wieder böses Blut: beide Parteien lassen später verlauten, die Zusammenarbeit nicht gerade als Spaziergang zu empfinden. Ob das nächste Sabbath-Treffen wohl wieder vor Gericht stattfindet?
Roger Waters vs. Pink Floyd
1985 bleibt von Pink Floyd nur noch ein Flickenteppich aus Streitigkeiten zwischen Roger Waters und David Gilmour übrig. Kreativ geht zwischen den beiden nichts mehr und als Songwriter findet Waters, er habe durchaus das Recht, die Gruppe aufzulösen. Damit sie aus dem Management-Vertrag kommen, tritt er den Bandnamen formell an Gilmour und Nick Mason ab, ganz in dem Glauben, die Gruppe sei ohnehin Geschichte. Gilmour und Mason lachen sich ins Fäustchen und machen natürlich als Pink Floyd weiter, während Waters sich entrüstet an seinen Anwalt wendet.
Man kann sich jedoch einigen: Im Austausch gegen den Bandnamen bekommt Waters die Urheberrechte für das Konzept zu The Wall. So richtig glücklich dürfte das den Komponisten nicht gemacht haben, denn 1987 kommt A Momentary Lapse Of Reason von Pink Floyd raus. Die Comeback-Platte schafft den kommerziellen Erfolg, die dazugehörige Tour zeigt deutlich mehr Zugkraft als das zeitgleich veröffentlichte Solomaterial von Waters. Erst 2005 begraben sie das Kriegsbeil für eine Show bei Live 8. Da kommt Waters scheinbar zur Besinnung: „Ich bereue meinen Anteil an dieser Negativität.“
Axl Rose vs. Slash & Duff McKagan
Auch wenn es bei Guns ’N Roses nie ein offizielles Aus gibt, bleibt ab Mitte der 90er von der Originalbesetzung lediglich Axl Rose übrig, der sich nicht gerade die Finger nach öffentlichen Auftritten leckt. Die offizielle Version seitens Slash lautet ganz PR-freundlich, man konnte schlicht nicht mehr auf Augenhöhe arbeiten, was die Direktion der Band anging. Dem dürfte Rose zustimmen, schafft er es doch vor deren Austritt noch recht schlitzohrig, Slash und Duff McKagan um ihre Verlagsrechte zu bringen. Böse Stimmen behaupten gar, Rose habe sich dabei den leicht angesäuselten Zustand der beiden zunutze gemacht.
2004 klagen Duff und Slash deswegen das erste Mal. Sie finden, Axl dürfe ruhig den ein oder anderen Film-Deal für „GNR“-Songs annehmen und so die Konten aller Beteiligten nähren. 2005 flattern bei Duff und Slash dann plötzliche gar keine Schecks mehr in den Briefkasten und es geht wieder vor Gericht. Das Geld fließt bald wieder, doch die Verlagsrechte liegen weiterhin bei Rose. McKagan und Slash rocken derweil bei Velvet Revolver. Nach viel Verwirrung um das Album Chinese Democracy und Lineup-Wechseln wie am Fließband findet die Originalbesetzung von Guns ’N Roses 2016 doch wieder zueinander. Es folgen Touren und Sammler-Kollektionen, die zumindest finanziell das Vergangene wieder gutmachen dürften.
Courtney Love vs. Dave Grohl & Krist Novoselic
Der selbstgewählte Tod Kurt Cobains wühlt 1994 die Rock-Welt auf. Seine Witwe Courtney Love befindet sich seitdem beinahe durchgängig vor Gericht, mal als Klägerin, mal als Angeklagte. Meist geht es dabei um irgendwelche Hinterlassenschaften des Nirvana-Sängers. So auch kurze Zeit nach dessen Tod, als Love mit Cobains ehemaligen Bandkollegen Dave Grohl und Krist Novoselic kooperieren soll, was unveröffentlichte Aufnahmen der Gruppe betrifft.
Genauer möchten Grohl und Novoselic die letzte gemeinsame Single You Know You’re Right in die Regale bringen. Love kann sich nicht unbedingt mit der Idee anfreunden, blockiert jahrelang die Veröffentlichung und behauptet gar, ein Vertrag zwischen ihr und den beiden Grunge-Rockern sei nichtig, da sie zum Zeitpunkt der Unterzeichnung high gewesen sei. Das eigentliche Problem: Love fürchtet, das Erbe Nirvanas werde verscherbelt und Grohl und Novoselic erhielten zu viel Lorbeeren für die Kunst, die hauptsächlich Cobain geschaffen habe. Man einigt sich schließlich außergerichtlich, der Song erscheint 2004.
Doch schlimmer geht’s immer: Wieder und wieder schießt Love öffentlich oder vor Gericht besonders gegen Grohl und kritisiert dessen Anspruch auf Nirvana-Tantiemen. Zeitweise behauptet sie gar, er habe ihrer und Cobains gemeinsamer Tochter Frances Bean Avancen gemacht. Wir geben zu bedenken, dass ebendiese Tochter sich 2018 gemeinsam mit ihrem Ex-Mann gezwungen sieht, Love wegen versuchtem Mord und Hausfriedensbruch zu verklagen. Fragt sich also, ob es wirklich eine posthum veröffentlichte Single ist, die dem Erbe Cobains schadet.
The Verve vs. Rolling Stones
Als 1997 erstmals Bittersweet Symphony durch die Radios plärrt, ahnt die Zuhörerschaft schnell, dass es sich um einen Hit handelt. Die Verursacher The Verve treffen mit dem Klassik-Sample zu Beginn des Lieds einen Nerv, aber auch einen Urheberrechtsanspruch: Die Geigen stammen nämlich aus einer Orchester-Version des Rolling Stones-Hits The Last Time. Die Briten waren zwar so klug, die Verwendung absegnen zu lassen, nutzen aber letztlich ein längeres Segment als ursprünglich besprochen. Mick Jagger und Keith Richards lassen das nicht auf sich sitzen. Sie überzeugen das zuständige Gericht ohne Probleme von ihrem Anspruch, sodass die gesamten Tantiemen in Zukunft bei den Rock-Veteranen landen.
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Für die Musiker rund um Richard Ashcroft ein herber Schlag, landen sie mit der bittersüßen Symphonie doch ihren größten Hit. Noch im November 2018 lässt der Leadsänger verlauten: „Ich hole mir diese Kohle!“ Sein Wunsch wird schneller wahr, als man glauben mag: Denn im Mai 2019 lässt Ashcroft via Pressemeldung eine unerwartete Wendung verlauten. Mit sofortiger Wirkung treten die Stones ihren Anspruch ab, in Zukunft gilt Ashcroft wieder als Songwriter. Für ihn vor allem in fußballerischer Hinsicht ein Erfolg: „Sie lassen den Song immer laufen, bevor England spielt. Jetzt kann ich endlich den Moment genießen.“
Noel Gallagher vs. Liam Gallagher
Bei Oasis gibt es Zeit ihrer Existenz ebenso viele Hits wie brüderliche Streitigkeiten. Ob Liam, der Noel während der ersten US-Tour eins mit dem Tamburin verpasst. Oder Noel, der öffentlich seine Mutter bemitleidet, weil sie seinen Bruder großziehen musste: Als sich bei den pöbelnden Briten 2009 der Deckel schließt, überrascht es niemanden, dass es zum Großteil an den Gallagher-Brüdern liegt.
Im 2011 folgenden Gerichtsverfahren geht es dann nicht etwa um Urheberrechte oder Tantiemen, sondern um üble Nachrede. Wen wundert’s? Sänger Liam verklagt seinen Bruder auf eine öffentliche Entschuldigung; Noels Behauptung, die Trennung der Band beruhe auf einem wegen Liams Trinkverhalten abgesagten Festivalauftritt, sei pure Fiktion. Die Entschuldigung kriegt er, wenn auch unter Vorbehalten. Die Klage zieht er letztlich zurück. Ruhe gibt’s danach jedoch nicht: Jüngst kündigt Liam eine Dokumentation über seine Solo-Karriere an, woraufhin Noel prompt mit dem Anwalt droht, sollte sein Bruder darin Oasis-Material singen. So richtig ernst nimmt man dieses Gallagher-typische Gepose nicht, aber wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann, dass im Musikgeschäft hinter jeder Ecke ein Gerichtsverfahren lauert.

Popkultur
Zeitsprung: Am 1.4.2008 feuern Velvet Revolver ihren Sänger Scott Weiland.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.4.2008.
von Christof Leim
Das sah schon nach „Supergroup“ aus, was sich da 2002 zusammenbraute: Drei Musiker von Guns N’ Roses und der Sänger von den Stone Temple Pilots gründen Velvet Revolver. Doch sechs Jahre später ist der Ofen aus und Scott Weiland raus. Vorher gab es noch eine lahme Platte, Streit im Internet und die ganz kalte Schulter.
Hört euch hier das Velvet-Revolver-Debüt Contraband an:
Natürlich hat die ganze Welt mit Spannung zugehört, als Slash, Duff McKagan und Matt Sorum zusammen mit dem Gitarristen Dave Kushner und dem Frontmann der Stone Temple Pilots, Scott Weiland, eine Band gründen. Beim Debüt Contraband von 2004 kommen nicht ganz unerwartet zwei musikalisch benachbarte Welten zusammen: Classic Rock und alternative-lastiger Grunge-Sound. Die Scheibe wird zum Erfolg, doch der Nachfolger Libertad bleibt 2007 weit hinter den Erwartungen zurück.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Velvet Revolver live 2007. Foto: Kreepin Deth/Wiki Commons.
Den weltweiten Touren der Band tut das keinen Abbruch, diverse Aufenthalte in Entzugskliniken, Visa-Probleme und kurzzeitige Verhaftungen durchkreuzen einige Pläne allerdings schon. Als Velvet Revolver im Januar 2008 ihre Rock’n’Roll As It Should Be-Tour durch Europa starten, hängt der Haussegen bereits schief. Am 20. März 2008 verkündet Weiland sogar auf offener Bühne in Glasgow: „Ihr seht hier etwas Besonderes: Die letzte Tour von Velvet Revolver.“
Längt beschlossene Sache
Was er nicht weiß: Seine Kollegen haben da längst beschlossen, ohne ihn weiterzumachen, wie Slash später in einem Interview eröffnet. Das liegt unter anderem daran, dass Weiland ständig die Fans ewig lang warten lässt, und das können die Guns N’ Roses-Jungs nach dem Dauerdrama mit dem notorisch verspäteten Axl Rose nicht mehr akzeptieren. Slash, der zottelhaarige Gitarrengott, berichtet auch, dass die Bandmitglieder während der UK-Shows so gut wie kein Wort mit ihrem Sänger wechseln. „Wir haben ihm die kalte Schulter gezeigt, dass es nur so eine Art hatte.“
Kein einfacher Zeitgenosse: Scott Weiland. Credit: CRL.
Nach dem Debakel von Glasgow, das in einer halbherzigen Performance gipfelte, tragen die Musiker zudem ihren Zank in die Öffentlichkeit: Drummer Matt Sorum veröffentlicht ein Statement, das ohne Namen zu nennen deutlich mit dem Finger auf Weiland zeigt. Der wird in seiner Antwort ein gutes Stück bissiger und ziemlich persönlich. Dass das alles nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand. Am 1. April 2008 schließlich verkünden Velvet Revolver offiziell, dass Scott Weiland nicht mehr zur Band gehört.
Wie sich rausstellt, endet damit auch die Geschichte dieser Supergroup, sieht man von einer einmaligen Live-Reunion am 12. Januar 2012 bei einem Benefizkonzert ab. Denn leider können die Herren jahrelang keinen geeigneten Nachfolger finden, obwohl Könner wie Myles Kennedy von Slashs Soloband und Alter Bridge, Sebastian Bach (ehemals Skid Row), Lenny Kravitz und Chester Bennington (Linkin Park) als Kandidaten gehandelt werden. Slash und McKagan kehren schließlich zu Guns N’ Roses zurück, während Weiland bis 2013 bei den Stone Temple Pilots singt und anschließend mit seiner eigenen Band The Wildabouts unterwegs ist. Am 3. Dezember 2015 wird er tot in deren Tourbus gefunden. Rest in peace.
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Zeitsprung: Am 15.5.1995 klicken bei Scott Weiland zum ersten Mal die Handschellen.
Popkultur
„The Record“: Was kann das Debüt der Supergroup Boygenius?
Supergroups kennt man ja eher von Männern. Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus, die drei prominenten Damen hinter Boygenius, ändern das. Ihr Debüt The Record klingt zumeist sanft, verträumt, melancholisch, bricht aber manchmal wie entfesselt los. Indie-Album des Jahres? Gut möglich.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch The Record anhören:
Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus sind jede für sich Ikonen, einflussreiche Künstlerinnen, die es mit unter 30 zu prominenten Figuren gebracht haben. Bei Boygenius bündeln die drei ihr kreatives Genie in einem Trio, das es in der Indie-Welt so noch nicht gegeben hat – und das ist angenehmerweise mal keine hohle PR-Übertreibung. Jede von ihnen kann als Stimme ihrer Generation gewertet werden, jede von ihnen gehört zu einer neuen Ära von selbstbestimmten Künstlerinnen, die auf ihre Weise den Boys-Club der Rockmusik unterwandern, aushöhlen, obsolet machen wollen.
Wie einst Nirvana
Das tun Boygenius auf ihrem Debüt The Record nicht etwa laut, schrill, wütend. Sondern mit Sanftmut, melancholischer Ruhe und bockstarken Songs. Ist doch eh cleverer und nachhaltiger, das geballte Talent sprechen zu lassen, das die drei Künstlerinnen auch im Verbund auf wundersame Weise zu kanalisieren wissen. Und dann sind da eben noch die subtilen kleinen Spitzen, die Hinweise: Auf dem Cover ihrer ersten EP, die bereits 2018 erschien und ein langes Schweigen einläutete, sitzen sie genau so da wie Crosby, Stills & Nash auf ihrem Debüt. Und auf dem Rolling-Stones-Cover Anfang des Jahres stellen sie die Pose des Nirvana-Covershoots von 1994 nach. Kurt Cobain hätte das gefallen.
Warum wir eine reine Girl-Supergroup gebracht haben, wird schnell klar: Wo männliche Supergroups dann eben doch irgendwann an den exorbitanten Alpha-Male-Egos zerschellen wie Hagelkörner auf Asphalt, gehen Bridgers, Baker und Dacus die Sache beeindruckend egalitär und basisdemokratisch an. Niemand drängt sich in den Vordergrund, weil alle gleichberechtigt sind. Keine Frontfrau, keine Divaallüren. „Wir ziehen uns gegenseitig hoch“, so sagte Bridgers damals dem Rolling Stone. „Wir sind alle Leadsängerinnen und feiern uns gegenseitig dafür.“ Männer bekommen das eben irgendwie deutlich schlechter hin, ist einfach so.
Die Avengers der Indie-Welt
Das alles wäre natürlich nicht viel wert, wenn The Record nicht alle hohen Erwartungen spielend überflügeln würde. Es ist ein Album, um es kurz zu machen, das einem den Glauben an die Zukunft der Gitarrenmusik zurückbringt. Es ist mal laut, mal ahnungsvoll, mal zart, mal ruppig. Vor allem aber ist es ein homogenes, reifes Werk, das in seiner Lässigkeit die Jahrzehnte transzendiert. Offenkundig sind die Einflüsse der „Avegners der Indie-Welt“, wie eine enge Freundin der Band das mal auf den Punkt brachte: Classic Rock, die Laurel-Canyon-Szene, Grunge, der Folk von Crosby, Stills & Nash, von denen sie gleich auch die verschiedenen Gesangsharmonien haben.
Eins der ganz großen Highlights ist $20, ein furioser Rocker mit schroffer Lo-Fi-Gitarre, der sich plötzlich öffnet und von allen drei Stimmen ins Ziel getragen wird. Die Mehrheit des Materials ist ruhig, verträumt, am ehesten trifft es wohl lakonisch. Emily I’m Sorry etwa oder das kurze Leonard Cohen, inspiriert von einer unfreiwilligen Geisterfahrt der Drei auf einer kalifornischen Interstate. Die Ausbrüche wie Anti-Curse, in denen Baker von einer Nahtoderffahrung im Pazifik singt, läuten deswegen umso lauter, dringlicher. Dynamik ist König, das wissen die drei. Oder besser Königin.
Musste Rick Rubin draußen bleiben?
Sie wissen eh sehr viel. Wie schwer sie es haben würden, zum Beispiel. So kamen sie überhaupt erst auf ihren Namen Boygenius: Nach zahlreichen schlechten Erfahrungen mit vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden männlichen Kollaborateuren, die von der ganzen Welt gefeiert werden, nannten sie sich selbst so, um sich Mut zuzusprechen. Ob das auch für Rick Rubin gilt? Aufgenommen haben sie zumindest in dessen Shangri-La Studio in Malibu. Aber er hat keinen Recording Credit und durfte vielleicht nur kiffend im Garten sitzen. Vorstellbar.
The Record ist ein geniales Debüt. Es ist aber mehr, ein Instant-Klassiker, ein Album, das sich einreiht in die großen Singer/Songwriter-Momente der letzten 50 Jahre. Es ist radikal ehrlich, direkt, ungefiltert, unaufgesetzt und das Testament großen Willens. Alle Songs hätten auch auf den jeweiligen nächsten Alben der drei Solitärinnen auftauchen können. Aber dann würde ihnen etwas fehlen. The Record ist ein Album voller Risse, durch die das Licht hineingelangt, um bei Leonard Cohen zu bleiben. Ein heilsames Stück Musik, durchwirkt von Insider-Jokes, kleinen Hieben geben das Patriarchat und jeder Menge Beweise für diese besondere Freundschaft. Das wird Grammys hageln.
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Popkultur
Zeitsprung: Am 31.3.1958 veröffentlicht Chuck Berry „Johnny B. Goode“.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 31.3.1958.
von Christof Leim
Das sind die Grundlagen des Rock’n’Roll, liebe Brüder und Schwestern. Hier kommt viel der großartigen Krachmusik her, die wir im Zeitsprung feiern: Am 31. März 1958 veröffentlicht Chuck Berry den Klassiker Johnny B. Goode. Keine drei Minuten lang ist das Ding, Bluesschema in A, dazu ein flotter Backbeat und eine heiße Leadgitarre, und ab geht die Revolution. Bei Songs wie diesem haben sie alle zugehört, die Beatles, die Stones und AC/DC.
Geschrieben hatte Chuck Berry die Nummer bereits 1955 über einen „country boy“, einen Jungen vom Lande, der nicht richtig lesen und schreiben kann, aber so mühelos Gitarre spielt, als müsse er nur eine Glocke läuten. Und eines Tages wird sein Name auf allen Plakaten stehen… Wie sich später herausstellt, singt Berry hier über sich selbst. Darauf weist alleine schon der Titel hin, denn der Musiker wurde in der Goode Avenue in St. Louis geboren. Nur anfangs diente sein Pianist Johnnie Johnson als Namenspate für den Song. Der spielt jedoch nicht mal mit; bei den Aufnahmen am 6. Januar 1958 in den Chess Studios in Chicago haut Lafayette Leake in die Tasten. Den Bass bedient der nicht ganz unbekannte Blueser Willie Dixon. Das markante Eingangslick leiht sich Chuck Berry vermutlich bei Ain’t That Just Like A Woman, einer Nummer von Louis Jordan aus dem Jahr 1946, und zwar Note für Note, wie man hier hören kann. Die Originalversion der Single samt Text findet ihr hier.
Urvater des Rock’n’Roll: Chuck Berry
Aus dem Stand ein Hit
Johnny B. Goode wird zum Hit beim Publikum, und zwar unabhängig von der Hautfarbe, was Ende der Fünfziger keinesfalls als selbstverständlich gesehen werden kann. Der Track erreicht Platz zwei in den Billboard Hot R&B Sides Charts und Platz acht in den Hot 100 Charts. Wo der Unterschied zwischen diesen Hitparaden liegt, wissen wir nicht, aber fest steht: Mit der Nummer ging was. Um das zu erreichen, muss Berry eine kleine Änderung im Text vornehmen: Ursprünglich singt er von einem „little coloured boy“, ändert das aber in „little country boy“, um auch im Radio gespielt zu werden. Keine einfachen Zeiten für einen Schwarzen als Rockstar.
Die Goldene Schallplatte an Bord der Raumsonde Voyager. Johnny fliegt mit.
Heute gilt Johnny B. Goode als der wichtigste Chuck-Berry-Song. Er wird mit Preisen geehrt und in Bestenlisten aufgenommen, nicht zuletzt wird er 1977 mit der Voyager in den Weltraum geschossen. An Bord dieser Raumsonde befindet sich nämlich eine goldene Schallplatte mit Audioaufnahmen von der Erde, etwa der Stimme eines Kindes, Klassik von Johann Sebastian Bach – und eben Rock’n’Roll von Chuck Berry.
Da kommt noch mehr
Vier weitere Stück schreibt der Sänger und Gitarrist im Laufe der Jahre über den Charakter Johnny B. Goode: Bye Bye Johnny, Go Go Go, Johnny B. Blues und Lady B. Goode. Außerdem nennt er ein Album und dessen 19-minütiges instrumentales Titelstück danach: Concerto In B. Goode. Einen weiteren Popularitätsschub erhält das Lied 1985 durch Film Zurück in die Zukunft mit Michael J. Fox.
Die Liste der Coverversionen ist endlos und streift alle möglichen Genres, sie reicht von Jimi Hendrix, AC/DC und Judas Priest über NOFX und LL Cool J bis zu Motörhead und Peter Tosh. Und vermutlich fetzt noch heute irgendwo eine halbstarke Nachwuchskapelle bei ihrer dritten Probe durch das Bluesschema in A.
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Zeitsprung: Am 7.9.1955 macht Chuck Berry den „Duck Walk“. Später freut sich Angus.
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