Popkultur
Weltfrauentag: Die besten 10 Songs zum Thema Female Empowerment
Da facettenreiche, komplexe Frauenfiguren in der Pop- und Rockmusik glücklicherweise keine Seltenheit sind, gibt es zahlreiche Songs, die ihnen Tribut zollen. Zum Weltfrauentag am 8. März haben wir zehn Songs zum Thema Female Empowerment ausgewählt, mit denen es sich besonders gut in die Haarbürste krächzen lässt. Regler auf 11 – Happy International Women’s Day!
von Sina Buchwitz und Victoria Schaffrath
1. Aretha Franklin – Respect (1967)
Klar: Wir können nicht über Female Empowerment in der Musik sprechen, ohne Aretha Franklins Respect zu erwähnen. Ihre gospellastige Version des Songs, der im Original zwei Jahre zuvor von Otis Redding aufgenommen worden war, entwickelt sich zur Hymne der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Der veränderte Text sorgt außerdem dafür, dass er auch der Frauenbewegung eine deutliche Stimme schenkt: Damals ist es Frauen in den USA nicht möglich, Sozialhilfe zu beziehen, wenn sie mit einem Mann zusammenleben. Und so singt Aretha in ihrer Version von einer Frau, die ihre illegal beanspruchte Sozialhilfe an ihren inoffiziellen Lover abgibt, sobald dieser nach Hause kommt. Die erwartete Gegenleistung? R-E-S-P-E-C-T.
Auf den Punkt: „Oh, your kisses, sweeter than honey / and guess what? So is my money”
2. The Runaways – Cherry Bomb (1976)
Als Cherie Currie mit den Kolleginnen Joan Jett, Lita Ford, Jackie Fox und Sandy West die Männer-dominierte Rockwelt umkrempeln soll, schnellen weltweit Augenbrauen in die Höhe. Immerhin stakst die beinahe noch Minderjährige in Korsage und Strapsen über die Bühne und singt im durch sie inspirierten Titel Cherry Bomb davon, wie sie statt der braven Schülerin lieber den Satansbraten mit eindeutigen sexuellen Interessen mimt. Damals hagelt es Entrüstung, heute liefert das Stück den Soundtrack (weiblicher) Teenie-Rebellion und der dazugehörigen Coming-of-Age-Filme.
So ganz selbstbestimmt darf man die Attitüde der jungen Frauen heute leider nicht mehr einordnen. Strategisch inszeniert Manager Kim Fowley seinerzeit das unangepasste Image; hinter den Kulissen streicht er Großteile der Gehälter ein, reicht Drogen oder misshandelt Bandmitglieder verbal. Fox spricht später gar von Vergewaltigung. Systematischen Missbrauch gab es eben schon lange vor der #MeToo-Ära, aber trotz Fowley schaffen es die Runaways in die Annalen der Rockgeschichte. Der Performance und dem Ehrgeiz dieser Pionierinnen sollte man daher an Stärke nichts absprechen.
Auf den Punkt: „Hello world, I’m your wild girl / I’m your ch-ch-ch-cherry bomb”
3. Chaka Khan – I’m Every Woman (1978)
Eine erste Single, die derart in die Musikgeschichte eingeht, können nicht viele Musikschaffende vorweisen. Aber das Erfolgsgespür erstreckt sich bei der als Yvette Marie Stevens geborenen Chaka Khan auf weit mehr als das musikalische Debüt: Jahre bevor Sender wie MTV das Musikvideo als Pflichtmedium etablieren, dreht sie für I’m Every Woman bereits einen Promo-Film. Zudem legt sie 1984 den Grundstein für die heute gängige Kollaboration von R&B und Rap, indem sie mit Melle Mel (Grandmaster Flash and the Furious Five) die Prince-Nummer I Feel For You aufnimmt und damit das erste erfolgreiche Feature dieser Art präsentiert.
In I’m Every Woman besingt Khan selbstbewusst die fürsorglichen und emphatischen Qualitäten der weiblichen Bevölkerung. Als Vorbild dient ihr dabei die eigene Mutter, die sie auch heute noch in den sozialen Netzwerken regelmäßig ehrt. Mit der Stiefmutter engagiert sie sich in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der Sechzigerjahre, tritt sogar den Black Panthers bei. Die geballte Frauenpower im Text des Songwriter-Duos Ashford & Simpson (Ain’t No Mountain High Enough) macht sich in den Neunzigern auch Whitney Houston zunutze. Gemeinsam mit Mutter Cissy hatte diese nämlich schon den Hintergrundgesang auf dem Original übernommen. Ihre Version von I’m Every Woman bringt sie gleich nach I Will Always Love You heraus – und verleiht dem Erfolgssong eine neue Nuance an weiblichem Zusammenhalt.
Auf den Punkt: „I’m every woman / It’s all in me / Anything you want done baby / I do it naturally / Oh, I can sense your needs like rain onto the seeds / I can make a rhyme of confusion in your mind”
4. Gloria Gaynor – I Will Survive (1978)
Egal, ob in den wilden Siebzigern, den Neunzigern oder im Jahr 2021: Wenn Gloria Gaynor im Disco-Evergreen I Will Survive ihren Verflossenen wissen lässt, dass er nicht mehr länger willkommen ist, muss frau einfach mitgrölen. Dabei ist der Ursprung der kämpferischen Überzeugung in Gaynors Stimme tragischer Natur: Nach einer schweren Rückenverletzung liegt die Sängerin für ein halbes Jahr im Krankenhaus, temporär leidet sie ab der Hüfte abwärts sogar unter einer Lähmung.
Ausgerechnet zu dieser Zeit bietet ihr jemand I Will Survive an. Gloria Gaynor hat bereits seit drei Jahren keinen Charterfolg mehr gelandet und weiß, dass dieser Song ihre Karriere retten könnte. So entscheidet sie sich dazu, den Titel trotz Stütz-Korsett aufzunehmen – und wird mit einem Mammut-Hit belohnt, der bis heute zu den wichtigsten Hymnen der Schwulenszene zählt.
Auf den Punkt: „I’m not that chained-up little person still in love with you / And so you felt like dropping in and just expect me to be free / Well, now I’m saving all my lovin’ for someone who’s loving me”
5. Dolly Parton – 9 To 5 (1980)
Als Dolly Partons Single 1980 zeitgleich mit dem gleichnamigen Film 9 To 5 erscheint, ahnt wohl niemand, dass dessen Thematik auch mehr als 40 Jahre danach noch aktuell sein würde. Der Titel bezieht sich auf die 1973 gegründete Organisation 9to5, die sich für die Gleichberechtigung von Frauen am Arbeitsplatz einsetzt.
Dolly Parton spielt in der Komödie die Rolle der Doralee Rhodes, die als Sekretärin für einen sexistischen und egoistischen Chef arbeitet. In ihrer Freizeit frönt sie ihren Rachefantasien, die unbeabsichtigt Wirklichkeit werden. Um die Abwesenheit ihres gekidnappten Chefs zu vertuschen, schmeißt Doralee gemeinsam mit zwei Freundinnen den Laden allein – und macht den Job deutlich besser als ihr Boss. Was auf den ersten Blick nach leichtfüßiger Comedy klingt, ist vielerorts noch immer bittere Wahrheit. 2019 verdienten Frauen laut dem statistischen Bundesamt in Deutschland immer noch 19 % weniger als Männer.
Auf den Punkt: „9 to 5, for service and devotion / You would think that I would deserve a fair promotion / Want to move ahead but the boss won’t seem to let me”
6. Eurythmics – Sisters Are Doin’ It For Themselves (1985)
Wo Annie Lennox drunter steht, ist Frauenpower drin. Sie spielt in den Achtzigern gemeinsam mit Größen wie Grace Jones, David Bowie und Prince mit Gendernormen und zeigt, dass man als Frau nicht immer auch feminin agieren und aussehen muss. Mit Ex-Partner Dave Stewart speist sie als Eurythmics das Radio mit Pop-Perlen wie Here Comes The Rain Again, There Must Be An Angel (Playing With My Heart) oder Sweet Dreams (Are Made Of This). Zwar ergänzt sich das Paar musikalisch, doch mit Sisters Are Doin’ It For Themselves plädiert Lennox eher dafür, dass frau auch ohne männliches Zutun auf eigenen Füßen zu stehen vermag. Ein früher Hinweis auf die Solo-Karriere?
Unterstützen soll bei Sisters eigentlich Tina Turner, der die Botschaft der Nummer nach dem Ike-Fiasko am Herzen liegen dürfte. Ein terminlicher Engpass macht der Traum-Kombo zwar einen Strich durch die Rechnung, doch die Eurythmics holen sich kurzerhand Aretha Franklin ins Boot und steuern dieses unbeirrt in den Hafen der feministischen Hymnen. So liest sich auch die Liste der Coverversionen wie ein Lexikon an imposanten Frauenfiguren: Unter anderem versuchen sich die Pointer Sisters, Christina Aguilera mit Florence Welch und anderen, Ann und Nancy Wilson von Heart mit Comicfigur Lisa Simpson für das Yellow Album, die Spice Girls und nicht zuletzt die Besetzung von Xena – Die Kriegerprinzessin an dem Song.
Auf den Punkt: „Now this is a song / To celebrate / The conscious liberation / Of the female state”
7. No Doubt – Just A Girl (1995)
Mit dem Album Tragic Kingdom und Singles wie Don’t Speak und Just A Girl gelingt No Doubt 1995 der Durchbruch, aber eigentlich läuft da schon nur noch die Gwen-Stefani-Show. Der Langspieler ist der erste, auf dem die Frontfrau auch als primäre Songschreiberin fungiert und verleiht dem Ska-Punk-Sound der Kombo eine wichtige Pop-Note. Just A Girl soll dabei das erste Stück sein, das sie gänzlich ohne Bruder Eric zu Papier bringt.
Inhaltlich wie zeitlich kommt man nicht umhin, die Leadsingle in den Kontext der „Riot Grrrl“-Bewegung zu setzen, mit der Stefani ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel vollführt: Einerseits spielt sie mit ihrer Band auf Veranstaltungen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzen, andererseits bezeichnet sie offener feministische Kolleginnen als wütend. Mal erklärt sie, sie sei „nicht wirklich eine Feministin“, dann wiederum prangert sie all die ungerechten Regeln an, die man jungen Mädchen auferlegt. Attitüde und Text genügen immerhin, das Stück für die Initiative zu beanspruchen. Just A Girl taugt übrigens auch bestens als Soundtrack zum Verdreschen von Aliens, wie Brie Larson 2019 im als erste Marvel-Frontfrau in Captain Marvel unter Beweis stellen darf.
Auf den Punkt: „Oh, I’m just a girl, all pretty and petite / So don’t let me have any rights / Oh, I’ve had it up to here”
8. Beyoncé – Run The World (Girls) (2011)
„Aggressiv, intensiv und radikal engagiert“, so wird Run The World 2011 im New York Magazine beschrieben, und das trifft den Nagel wohl auf den Kopf. Beyoncé erklärt Frauen hier zu den Machthaberinnen dieser Welt und fordert sie auf, diese Rolle für sich zu beanspruchen. Der Song spaltet die Kritiker*innen: Während das eine Lager Beyoncé für ihren kompromisslosen Feminismus feiert, kritisieren die anderen sie für ihre stetige Behandlung dieses Themas. Doch obwohl Titel wie Single Ladies (2008) oder Independent Women (2000) durchaus zum Female Empowerment gezählt werden können, spricht Run The World eine sehr viel deutlichere Sprache.
Rückblickend betrachtet war das nur der Anfang: Die folgenden Alben Beyoncé (2013), Lemonade (2016) und The Lion King: The Gift (2019) zelebrieren Frauenpower ebenso radikal und animieren junge (Schwarze) Frauen dazu, ihre Weiblichkeit ungeniert geltend zu machen.
Auf den Punkt: „Boy, you know you love it / How we’re smart enough to make these millions / strong enough to bear the children / then get back to business”
9. Lady Gaga – Scheiße (2011)
Dass Lady Gaga ein Faible für die deutsche Sprache hat, beweist nicht nur ihr Rilke-Tattoo auf dem Oberarm: 2011 nennt die Künstlerin einen Titel auf ihrem zweiten Studioalbum Born This Way „Scheiße“. Der technolastige Dance-Pop-Track entsteht nach einer durchzechten Partynacht in Berlin und beinhaltet eine undeutliche Fantasiesprache, die für das ungeübte, US-amerikanische Ohr vermeintlich deutsch klingt. In einem Interview erklärt Gaga das Kauderwelsch in Scheiße zum Symbol für all den misogynen Mist, den sich starke Frauen auf ihrem Weg anhören müssen. Die englischsprachigen Zeilen des Songs adressieren genau diesen Missstand und animieren junge Frauen zur unerschrockenen Selbstbestimmung.
Auf den Punkt: „Blonde high-heeled feminist, enlisting femmes for this / Express your womankind, fight for your right”
10. Lizzo – Truth Hurts (2019)
Als etwas unfreiwillige Galionsfigur der „Body Positivity“-Bewegung gelingt Lizzo 2019 ein Hit, den der Rolling Stone zu Recht als „ultimativen Akt der Selbstfürsorge“ bezeichnet. Bei Truth Hurts mag es um einen Ex-Partner gehen, der die Protagonistin nicht zu schätzen wusste, allerdings rückt dieser bei der süffisanten Wortakrobatik der Amerikanerin konsequent in den Hintergrund. Mit Zeilen wie „I just took a DNA test / turns out I’m 100% that bitch“ trifft die Rapperin und Sängerin unnachahmlich-direkt die Sprache der Zeit.
Zunächst ist der Track ein Schläfer, denn erst durch seine Verwendung im Netflix-Film Someone Great und als virale Tonspur auf TikTok nimmt er zwei Jahre nach Erstveröffentlichung Fahrt auf. Dann kommt der große Erfolg inklusive Grammy, Welttournee und sechsfacher Platinauszeichnung. Die neu gewonnene Plattform weiß Lizzo zu nutzen: Als zeitgemäßer Popstar predigt sie radikale Selbstliebe für alle Körper, Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten und Achtsamkeit. Dass sie sich im Video zu Truth Hurts selbst heiratet, klingt da eigentlich nur logisch.
Auf den Punkt: „I put the sing in single / Ain’t worried ’bout a ring on my finger”
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Popkultur
Zeitsprung: Am 4.6.1990 verstirbt Punk-Ikone Stiv Bators nach Zusammenstoß mit einem Taxi.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 4.6.1990.
von Frank Thießies und Christof Leim
Als Sänger Stiv Bators am 4. Juni 1990 in Paris an den Folgen eines Verkehrsunfalls stirbt, ist dies ironischerweise die am wenigsten glamouröse Form des Ablebens für einen Rockstar mit Hang zum Morbiden. Dabei hatte der Sänger der Dead Boys und The Lords Of The New Church Zeit seines Lebens mit der Todessehnsucht gespielt. Ein Rückblick auf den Werdegang einer Legende des Punk und Gothic Rock.
Hier könnt ihr euch Young, Loud And Snotty anhören, das Debüt der Dead Boys:
Joey Ramone höchstselbst hatte ihnen geraten überzusiedeln: Ursprünglich stammen die Dead Boys aus Cleveland, Ohio; in New York City jedoch werden sie schnell eine der Hausbands im CBGB’s, eines legendären Punk-Epizentrums, und zu einem Publikumsmagneten für die aufkeimende Sicherheitsnadel-Szene. Mit ihrem programmatischYoung, Loud And Snotty betitelten Debüt von 1977 und der Punk-Hymne Sonic Reducer sowie ihren drastisch-provokanten, autoaggressiven Bühnenshows macht sich die Band im verrottenden Big Apple einen Namen. Ihr Anführer: Sänger Steven John Bator, genannt Stiv Bators. Bereits ein Jahr später folgt ein zweites Album, We Have Come For Your Children, welches übrigens auch den von Guns N‘ Roses Jahrzehnte später popularisierten Song Ain’t It Fun enthält.
Gothic-Größe
Mag die Band selber auch Spaß an jenen Gigs und den Provokationen haben, so ist sie anfangs doch etwas zu sperrig für einen Mainstream-Erfolg. Hier liegt vermutlich einer der Gründe dafür, dass sich die Dead Boys im Jahre 1979 auch schon wieder auflösen. Vorerst versteht sich. Nachdem Sänger Stiv Bators auf seinem Dezember 1990 erscheinenden Solodebüt Disconnected schon die Punk-Wurzeln zugunsten eines Garagen-Power-Pop-Sounds kappt, verschlägt es den Frontmann kurze Zeit später nach London. Dort gründet er nach der Zwischenstopp-Band The Wanderers 1981 schließlich zusammen mit Leuten von The Damned, Sham 69 und The Barracudas eine neue Supergoup: The Lords Of The New Church. Deren kühler, vergleichsweise gefälliger und gar nicht mehr so stachliger Sound, eine Mischung aus Gothic, Glam, Garagen Rock und einer kleinen Portion Punk, trifft genau den (britischen) Zeitgeist in der Post-Punk-Ära und soll in Sachen Klang und Look zahlreiche nachkommende Düsterrocker wie etwa die finnischen Finsternisfreunde The 69 Eyes maßgeblich prägen.
Klinisch tot
Ihre ersten drei Alben, The Lords Of the New Church (1982), Is Nothing Sacred? (1983) und The Method To Our Madness (1984), hauen die neuen Gothic-Größen noch im Jahrestakt raus. Auf der Bühne bemüht Bators immer wieder gerne seinen seit Dead-Boys-Zeiten etablierten Mikrofonkabel-Strangulations-Trick. Ein Gimmick, welches dem Sänger 1983 bei einem Gig fast wortwörtlich das Genick bricht: Als Fans zu sehr an der Strippe ziehen, verliert Bators das Bewusstsein und muss gar ins Krankenhaus eingeliefert werden. Für einige Minuten ist er sogar klinisch tot. Sein lakonischer Kommentar dazu soll gelautet haben: „Ich bin einmal fast auf der Bühne gestorben. Wie um Himmels Willen soll man das noch übertreffen?“
Is This The End?
Zwar nicht so kurzlebig wie die Dead Boys, sind auch die Lords Of The New Church nach New Wave-Vorstößen sowie einem Madonna-Cover von Like A Virgin im Sommer des Jahres 1989 für Bators schon wieder Geschichte. Dort fasst der inzwischen in Paris lebende Sänger 1990 den Plan, zusammen mit dem späteren Schlagzeuger der Toten Hosen, Vom Ritchie, plus den Punk-Legenden Dee Dee Ramone und Johnny Thunders eine neue Gruppe ins Leben zu rufen. Doch die kurz unter dem Namen The Whores Of Babylon agierende Formation hat keinen Bestand.
Als Stiv Bators am 3. Juni 1980 auf der Straße von einem Auto – manche behaupten, es sei ein Taxi gewesen – erwischt wird und so Opfer eines Verkehrsunfalls wird, ahnt der Sänger noch nicht, wie folgenschwer seine Verletzungen sind. Das Krankenhaus verlässt er jedenfalls unbehandelt, nachdem er ein paar Stunden warten musste. Keine gute Idee: Stiv Bators verstirbt in der folgenden Nacht im Schlaf an einem Schädel-Hirn-Trauma. Er wurde 40 Jahre alt.
Zur arg gewöhnlich anmutenden Todesursache („Rockstar von Taxi angefahren“) kommen in der Folgezeit nicht nur eine, sondern gleich zwei des Rock’n’Roll würdige Mythen: Auf Bators Wunsch hin soll seine Asche von seiner Freundin Caroline Warren über dem Pariser Grab von Doors-Sänger Jim Morrison verstreut worden sein – angeblich jedoch nicht, bevor Warren davon noch schnell ein Näschen geschnupft haben soll. Was letztlich dann doch eine Prise mehr ist, als nur ein Toter-Rockstar-Mythos für Fußgänger…
Zeitsprung: Am 6.8.1996 spielen die Ramones ihre letzte Show
Popkultur
Zeitsprung: Am 3.6.1983 ermordet „Layla“-Trommler Jim Gordon seine Mutter.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 3.6.1983.
von Christof Leim
Jim Gordon gehört in den Sechzigern und Siebzigern zu den Besten in Sachen Rock’n’Roll-Schlagzeug. Er spielt auf legendären Alben wie Pet Sounds von den Beach Boys, Pretzel Logic von Steely Dan und Apostrophe von Frank Zappa. Doch Gordon ist krank: Irgendwann beginnt er, Stimmen zu hören. Am 3. Juni 1983 schließlich kommt es zu einer Tragödie…
Hier könnt ihr das legendäre Album von Derek & The Dominos reinhören:
Derek & The Dominos 1970. Ganz links: Jim Gordon.
Keine Frage, es läuft gut damals für Jim Gordon, sehr gut sogar: Angeblich geht auf der Höhe seines Erfolges die Nachfrage so weit, dass der Drummer jeden Tag zwischen Studiosessions in Los Angeles und abendlichen Auftritten in Las Vegas hin- und herfliegt. Er spielt auf All Things Must Pass, dem ersten Soloalbum von Ex-Beatle George Harrison, und gehört 1970 er zur Bluesrock-Supergroup Derek & The Dominos mit Eric Clapton. Die wird vor allem bekannt mit dem Klassiker Layla. In diesem Song verarbeitet Clapton seine Liebe zu Pattie Boyd, der Ehefrau seines Freundes George Harrison. (Die ganze Geschichte zu dieser verzwickten Situation findet ihr hier.)
Vielleicht gerät das Stück deshalb so eindringlich, denn der Gitarrengott leidet. Am Schlagzeug: Jim Gordon. Die sieben Minuten lange Nummer endet mit einem langen, elegischen Piano-Outro, das aus Gordons Feder stammt. Zumindest offiziell: Später wird kolportiert, dass er die Idee von seiner damaligen Freundin Rita Coolidge übernommen habe. Die Songwriting-Credits laufen heute noch auf Clapton/Gordon. Das Lied gewinnt sogar später einen Grammy, als Clapton es für sein Unplugged-Album neu auflegt. (Mehr dazu hier.)
Traurige Eskalation
Kurzum: Für Jim Gordon könnte es nicht besser laufen. Nur leider geht es dem am 14. Juli 1945 geborenen Musiker psychisch nicht gut. Er beginnt, Stimmen zu hören, unter anderem die seiner Mutter. Diese Stimmen nötigen ihn zu hungern und halten ihn zusehends davon ab, sich zu entspannen, zu schlafen oder Schlagzeug zu spielen. Seine medizinische Betreuung schätzt die Ursache dieser Probleme falsch ein und behandelt ihn wegen Alkoholmissbrauchs. Das hilft leider nicht.
Am 3. Juni 1983 greift Jim seine 72 Jahre alte Mutter Osa Marie Gordon mit einem Hammer an und ersticht sie mit einem Messer. Später gibt er an, eine Stimme habe ihm das befohlen. Erst nach seiner Verhaftung wird diagnostiziert, dass Gordon massiv an Schizophrenie leidet. Wegen einer vor kurzem beschlossenen juristischen Reform gilt das vor Gericht nur eingeschränkt als Entlastung: Gordon wird am 10. Juli 1984 zu mindestens 16 Jahren Gefängnis verurteilt („16 years to life“). Er ist 38 Jahre alt und sollte nie mehr öffentlich Schlagzeug spielen.
Der erste Anspruch auf Begnadigung steht ihm 1991 zu, doch das Gericht lehnt dies mehrere Male ab. 2005 gibt Gordon an, seine Mutter sei noch am Leben, 2014 erscheint er nicht zur Anhörung. Die Staatsanwaltschaft verkündet, der Inhaftierte sei weiterhin „massiv psychologisch eingeschränkt“ und „eine Gefahr, wenn er nicht seine Medikamente nimmt“. Die Diagnose der Schizophrenie wird 2017 bestätigt, das zehnte Gnadengesuch wird im März 2018 abgelehnt. Jim Gordon verstirbt schließlich am 13. März 2023 im Alter von 77 Jahren in einer medizinischen Strafvollzugsanstalt in Kalifornien.
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Zeitsprung: Am 16.1.1992 spielt Eric Clapton ohne Strom & landet den größten Hit seiner Karriere.
Popkultur
20 Jahre „Paper Monsters“: Als Dave Gahan richtig laufen lernte
Über 20 Jahre singt Dave Gahan die Texte von Martin Gore. Dann erscheint sein Solodebüt Paper Monsters, auf dem er erstmals für alles verantwortlich ist. Für den Depeche-Mode-Frontmann ist es die ultimative Feuertaufe; für viele Fans ein Fragezeichen. 20 Jahre später wollen wir mal schauen, wie die Platte gealtert ist.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr euch Paper Monsters anhören:
Dave Gahans erste Soloplatte erscheint so spät, dass man sich fragt, warum sie überhaupt noch kommt. 2003 hat er mit Depeche Mode alles durch – 20 Jahre an der Spitze einer der größten Pop-Bands der Achtziger, mehrere Überdosen, Nahtoderfahrungen, Suizidversuche, angehimmelt von Millionen und auch intern alle Streits, Ego-Schlachten und Machtkämpfe durch, die so eine Band aus drei Männern eben so mit sich bringt.
Kein egozentrischer Alleingang
Mit anderen Worten: Ein Soloalbum hätte eigentlich viel früher Sinn ergeben. Es kam aber eben nie dazu. Doch genau dieser Umstand macht Paper Monsters zu einer spannenden Ausnahmeerscheinung. Das Album ist nicht das Produkt eines zickigen Frontmanns, der insgeheim denkt, die anderen eh nicht zu brauchen. Es ist ein ehrliches, tief gefühltes Statement eines Künstlers, der nach zwei Jahrzehnten ausschweifendem Leben weiß, wer er ist, was er sagen möchte. Und vor allem, was er an seinen Bandkollegen hat.
Slide-Gitarre und U2
Die große Frage bei Gahans Premiere auf der Solistenbühne ist dann aber trotzdem die, die sich jeder erfolgreiche Bandmusiker bei einem Alleingang stellen muss – egal, ob Phil Collins, Freddie Mercury oder Ozzy: Kann er es überhaupt, so ganz ohne Hilfe? Bei Depeche Mode übernimmt bekanntlich Martin Gore das Gros des Songwriting und der Lyrics, 20 Jahre lang sang Gahan also Texte, die gar nicht von ihm sind. Auf Paper Monsters kommt dann sogar beides von ihm, die Töne und die Worte, und natürlich hört man dem Album an, wessen Lieder der Messias der Popwelt da die letzten Jahre von der Bühnenkanzel predigte: Dave Gahan orientiert sich für sein erstes Soloalbum an Songs Of Faith And Devotion, packt ein wenig melancholische U2-Stimmung drüber und lebt sich spannenderweise an der Slide-Gitarre aus.
Läuterung oder Selbstdarstellung?
Die kommt von Knox Chandler, ein gefragter Studiomusiker, der Dave Gahan auch kompositorisch unter die Arme greift. Paper Monsters ist wie das Depeche-Mode-Album einer Americana-Band – weit, voller Hall, Streichern, Pianos und Gahans innerstem Seelenleben. Denn vor allem das ist dieses Album: Sein großer persönlicher Moment, das erste Mal, dass wir auch in seinen Kopf schauen können. Lyrisch gibt es deswegen auch die volle Nabelschau. Toxische Beziehungen, Alkoholsucht, zehrende Liebeslieder, existentielle Motive und mehr als eine Zeile, die sein Verhalten der letzten 20 Jahre verurteilt. Dave Gahan will Läuterung erfahren, tänzelt aber immer wieder auf der Schwelle zur Selbstdarstellung. Das ist die Gefahr aller Soloalben. Bei Paper Monsters geht es gerade noch mal gut.
Gahans beste Gesangsleistung
Musikalisch entsteht in den New Yorker Electric Lady Studios eine überwiegend ruhige, elegische, verträumte Platte. Produzent Ken Thomas, bekannt vor allem durch seine Arbeit mit Sigur Rós, beschert dem heiliggesprochenen Personal Jesus des Pop einen dichten, atmosphärischen Sound, sorgsam austariert zwischen glitzernder Electronica, endloser Weite, Western-Flair und zerrenden Gitarren. Synthesizer sind überraschenderweise Mangelware auf Paper Monsters. Dann wiederum ist ja irgendwie klar, dass Gahan möglichst viel Raum zwischen sich und seinem Hauptarbeitgeber schaffen möchte. Im Vordergrund steht aber natürlich eh sein größter Trumpf – seine Stimme. Mit Anfang 40 sind seine Tage als größtes Sexsymbol des Planeten so langsam vorüber, da konzentriert er sich lieber ganz auf sein volles, unverkennbares Timbre. Besser singt Dave Gahan auf keinem Depeche-Mode-Album. Das scheint er sich für seinen ganz persönlichen Auftritt aufgespart zu haben.
Bei Erscheinen sorgt Paper Monsters für gemischte Reaktionen und performt auch in den Charts eher unauffällig. So wirklich scheint 2003 niemand zu wissen, was man mit diesem Album anfangen soll. Vor allem wird dann auch seine stimmliche Leistung gelobt (etwa im schleppenden, gitarrenlastigen Hidden Houses), weniger die einzelnen Songs. Durchaus auffällig ist, wie weit Paper Monsters vom damals aktuellen Depeche-Mode-Album Exciter entfernt ist. Man kann es als also durchaus Statement sehen, dass Gahan mit dem experimentellen und elektronischen Sound seiner Hauptband nicht allzu zufrieden war. Zeigt auch das, was danach passiert: Auf Playing The Angel geht es 2005 wieder deutlich organischer zu. Und noch etwas ist neu: Erstmals steuert Gahan drei Songtexte bei. Hat also doch etwas bewirkt, dieser erste Alleingang. Zumindest für ihn persönlich.
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