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Popkultur

Zeitsprung: Am 1.9.1989 beschwören Mötley Crüe den „Dr. Feelgood“

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Mötley Crüe Dr. Feelgood Cover

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 1.9.1989.

von Christof Leim

Während der Achtziger kann man Mötley Crüe schon als veritable Könige des Hard Rock begreifen. Nur wenige Bands des Genres verkaufen mehr Platten (Bon Jovi und Def Leppard schon), und noch weniger Kollegen leben den Hedonismus der Ära mehr als die vier Typen aus Hollywood. Doch ein Kronjuwel fehlt noch: Platz eins der Billboard-Charts. Das gelingt Mötley Crüe mit ihrem fünften Album Dr. Feelgood. Und die Burschen stehen dafür sogar zum ersten Mal nüchtern im Studio…

Hier könnt ihr Dr. Feelgood anhören:

Wein, Weib, Gesang. Oder internationaler: Sex, Drugs, Rock’n’Roll. Für eine Band vom Sunset Strip der Achtziger reicht das durchaus als Arbeitsplatzbeschreibung. Leider hätte dieser Lebensstil die vier Chaoten von Mötley Crüe beinahe umgebracht, insbesondere Nikki Sixx schießt den Vogel ab und sich gleich mit, als er sich mit einer Heroin-Überdosis kurzzeitig auf den Weg ins Jenseits macht. Weil das so nicht weitergehen kann, entscheidet sich das Quartett für einen kollektiven Entzug. Zumal sie noch eine Rechnung offen haben, nachdem ausgerechnet Whitney Houston 1987 dem Album Girls, Girls, Girls seinen Weg an die Chartspitze verbaut hatte.

Also begeben sich Bassist Sixx, Drummer Tommy Lee, Sänger Vince Neil und Gitarrist Mick Mars nach Vancouver ins Little Mountain Studio. Es soll richtig rangeklotzt werden, nur die Musik zählt. Drei Monate arbeitet sich die Band zusammen mit Produzent Bob Rock „den Arsch ab“, wie der später in den Liner Notes berichtet.

Es zahlt sich aus: Die zehn Songs (plus ein Intro) gehören zum Besten, was Mötley Crüe im Laufe ihrer Karriere hervorbringen. Dr. Feelgood bietet mitreißende Party-Rock-Nummern mit XXL-Refrains, dicken Rockriffs und noch dickeren Grooves. Denn Bob Rock schneidert für die Platte einen sagenhaften Sound zusammen: groß, breit, stark, lebendig und rund. Mick Mars sagt später im Interview mit dem guitar-Magazin: „Ja, Bob und ich haben da ein paar schöne Gitarrenwände hochgezogen.“ Lars Ulrich findet die Produktion so gut, dass er für das schwarze Album seiner kleinen Band Metallica ebenfalls Bob Rock anheuert – und explizit Dr. Feelgood als Referenz nennt. Man muss sich nur mal die Bassdrum von Tommy Lee im Titelstück anhören: Das hat wirklich Wumms.

Da man sich unter Rockstars natürlich kennt, singen/grölen etliche hochkarätige Gäste bei den Backing Vocals mit, zum Beispiel Steven Tyler und Bryan Adams im Song Sticky Sweet. (Der eine nimmt gerade ebenfalls in Vancouver mit Aerosmith Pump auf, der andere wohnt sowieso da.) Ansonsten hören wir Robin Zander und Rick Nielsen von Cheap Trick, Jack Blades von Night Ranger und die Jungs von Skid Row (die mit ihrem Debütalbum anschließend die Crüe-Tour begleiten dürfen).

Inhaltlich geht es natürlich um das wilde Leben: She Goes Down hat jedenfalls nichts mit Kellertreppen, Aufzügen oder abschüssigen Straßen zu tun. Das Geräusch eines sich öffnenden Reißverschlusses am Anfang des Songs könnte da ein Hinweis sein. Und wir könnten wetten: In Slice Of Your Pie geht es nicht um Kuchen. Kickstart My Heart verarbeitet Nikkis Nahtoderfahrung von 1987, als er mit einer Adrenalininjektion ins Herz wiederbelebt werden musste –  im Pulp Fiction-Style, quasi. Dr. Feelgood erzählt die Geschichte eines Hollywood-Dealers, und der Schmachtfetzen Without You weint (angeblich) Tommys gescheiterter Ehe mit Heather Locklear hinterher. Den großartigen Titel Don’t Go Away Mad (Just Go Away) hat Nikki in irgendeinem Film aufgeschnappt.

Mötley Crüe Singles Cover

Hitmaterial: Die Hälfte der Songs von „Dr. Feelgood“ wird als Single ausgekoppelt

Fünf Singles werden von der Platte veröffentlicht, die Videos laufen auf Headbanger’s Ball rauf und runter. Für den Clip zu Kickstart My Heart mieten sich Mötley Crüe unter dem Namen The Foreskins in ihrer alten Spielwiese Whisky-A-Go-Go auf dem Sunset Strip ein und spielen nach Jahren mal wieder eine Clubshow. Und endlich schaffen sie es an die Spitze: Dr. Feelgood erreicht Platz eins der Billboard-Charts. Nimm dies, Whitney Houston!

Die Verkaufszahlen gehen in die Millionen, heute ist die Scheibe das erfolgreichste Werk im Mötley-Katalog. Dr. Feelgood und Kickstart My Heart werden sogar 1990 bzw. 1991 für einen Grammy nominiert, verlieren aber beide Male gegen Living Colour. Immerhin gibt’s den American Music Award für „Best Hard Rock/Heavy Metal Album Of The Year“.

Die anschließende Welttournee startet am 14. Oktober 1989 in der Grugahalle in Essen und marodiert für 154 Shows durch Europa, Nordamerika, Australien und Japan. Die Band reist in einem Privatjet mit Innenausstattung aus schwarzem Leder, auf der Bühne steht eine riesige Aufblas-Harley. Es läuft. Allerdings ändern sich zu Beginn der Neunziger die Geschmäcker im Rock’n’Roll, und die Streitereien mit Vince Neil nehmen überhand. Der fliegt deshalb raus (oder kündigt, weiß man nicht so genau) und singt erst wieder 1997 auf einem Mötley-Album (Generation Swine), aber das gehört mal wieder in andere Geschichten. 1989 jedenfalls sind Mötley Crüe eine feste Institution und zertifizierte Superduper-Rockstars.

Zeitsprung: Am 28.1.1988 reicht ein Nikki Sixx-Doppelgänger eine sonderbare Klage ein.

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