Popkultur
Zehn Blues-Empfehlungen für den Einstieg
Nach Exkursionen in den Glam Rock und den Soul, wagen wir heute den größten Sprung in die Vergangenheit und widmen uns dem Blues. Bereits ab 1870 legt dieses Genre den Grundstein für fast alles, was wir heute hören. Umso schwieriger fällt der Einstieg, doch keine Sorge: Wir helfen.
von Timon Menge
Hier könnt ihr euch einige unserer Blues-Empfehlungen anhören:
Mit dem Blues hat alles angefangen. Ob Rock, Pop, Hip-Hop oder Soul: Kaum ein modernes Genre kommt ohne Einflüsse aus dem Mississippi Delta, aus Chicago, Texas oder New Orleans aus. Werfen wir einen Blick auf die prägenden Figuren der Mutter aller Stilrichtungen.
Robert Johnson
Man weiß nicht viel über Robert Leroy Johnson, der nur 27 Jahre alt wurde. Der Legende nach, hat er seine Seele an den Teufel verkauft, um besser Gitarre spielen zu können. Hört man sich die wenigen Aufnahmen des Ausnahmekünstlers an, klingt diese Theorie gar nicht so weit hergeholt. Man kann kaum glauben, dass Johnson nur zwei Hände hatte. Auch Keith Richards von den Rolling Stones möchte nach dem ersten Hören wissen: „Wer ist der andere Gitarrist?“ Heute gilt Johnson als Schlüsselfigur und Mitbegründer des Delta Blues.
Anspieltipps: Cross Road Blues, Sweet Home Chicago, Cross Road Blues – Take 1, Come On In My Kitchen, I Believe I’ll Dust My Broom
Bessie Smith
Sie gilt als „Kaiserin des Blues“, als eine der besten Sängerinnen ihrer Zeit und nimmt mehr als 150 Platten auf. Vor allem in den Zwanzigern und Dreißigern fährt Bessie Smith große Erfolge ein. Die Anfänge entstehen aus der Not heraus: Weil ihre Familie nicht über die Runden kommt, betätigen sich Smith und ihr Bruder Andrew in Chattanooga als Straßenmusik-Duo. Später unterschreibt sie einen Plattenvertrag mit Columbia Records und landet gleich mit ihrer ersten Single Downhearted Blues einen Nummer-eins-Hit. Am 26. September 1937 erliegt sie den Folgen eines schweren Verkehrsunfalls, doch ihr Einfluss auf die Bluesmusik bleibt unvergessen.
Anspieltipps: Nobody Knows You When You’re Down And Out, Devil’s Gonna Git You, Baby Won’t You Please Come Home, Empty Bed Blues, Pt. 1, St. Louis Blues
John Lee Hooker
Wo Robert Johnson als Urvater des Delta Blues gilt, überträgt John Lee Hooker ihn auf die E-Gitarre. Außerdem erweitert er den Stil um seine ganz eigene Duftmarke, wie zum Beispiel starke Boogie-Woogie-Einflüsse. In seiner Kindheit darf er nur Kirchenlieder hören — seine erste Berührung mit der Musik. Den Blues lernt Hooker durch seinen Stiefvater William Moore kennen. Auch Tony Hollins, eine Bekanntschaft von Hookers Schwester Alice, bringt ihm die Musikrichtung nahe, und lässt ihn Stücke wie Crawlin’ King Snake sowie Catfish Blues üben. Später schreibt Hooker damit Bluesgeschichte. Am 21. Juni 2001 stirbt er im Alter von 83 Jahren im Schlaf.
Anspieltipps: Boom Boom, One Bourbon, One Scotch, One Beer, I’m In The Mood, Boogie Chillen, Chill Out (Things Gonna Change)
B.B. King
Er trägt den Titel „König des Blues“. Gemeinsam mit Albert King und Freddie King zählt er zu den „Kings Of The Blues Guitar“. Tatsächlich etabliert B.B. King eine Spielweise, die viele Gitarristinnen und Gitarristen nach ihm beeinflussen soll, vor allem im Rahmen seiner Soli. Wie so oft, beginnt auch seine musikalische Sozialisation in der Kirche. Professioneller Musiker möchte er werden, nachdem er den Delta Blues zum ersten Mal im Radio gehört hat. Ein paar Jahre später spielt er in der Sendung von Sonny Boy Williamson. Mehr als 70 Jahre dauert seine Karriere an, bevor er am 14. Mai 2015 im Alter von 89 Jahren stirbt.
Anspieltipps: Three O’ Clock Blues, You Upset Me Baby, Every Day I Have The Blues, Don’t Answer The Door, The Thrill Is Gone
Willie Dixon
Willie Dixon beherrschte die Gitarre, den Bass und seine Stimme, doch man kennt ihn vor allem als Songschreiber, zum Beispiel für Muddy Waters und Howlin’ Wolf. Aus Dixons Feder stammen Klassiker wie Hoochie Coochie Man, I Just Want To Make Love To You, Little Red Rooster und Spoonful. Mit jenen Stücken prägt er den Chicago Blues und die dort ansässige Plattenfirma Chess Records, die von 1950 bis 1965 ihren Zenit erlebt. In den späten Fünfzigern arbeitet Dixon außerdem mit Chuck Berry und entwickelt sich zu einem wichtigen Bindeglied zwischen Blues und Rock’n’Roll. Später covern Led Zeppelin und die Rolling Stones seine Songs. Am 29. Januar 1992 stirbt er im Alter von 76 Jahren an Herzversagen.
Anspieltipps: Back Door Man, I Can’t Quit You Baby, Little Red Rooster, Spoonful, You Shook Me
Muddy Waters
Auch Muddy Waters prägt die Szene in Chicago maßgeblich. Als „Father Of Modern Chicago Blues“ begeistert er mit der Gitarre, der Mundharmonika und seiner Stimme. Mit dem psychedelisch angehauchten Album Electric Mud wagen er und Chess Records ein psychedelisches Experiment, das in die Bluesgeschichte eingeht. Doch nicht nur das: Für die Rolling Stones fungiert sein Song Rollin’ Stone als Namensgeber, zahlreiche namhafte Künstlerinnen und Künstler covern seine Stücke. Sogar Gitarrengott Jimi Hendrix nennt ihn als wichtigen Einfluss. Am 30. April 1983 stirbt Waters im Schlaf an Herzversagen.
Anspieltipps: Mannish Boy, I’m Your Hoochie Coochie Man, I Can’t Be Satisfied, Rollin’ Stone, Got My Mojo Working
Buddy Guy
Muddy Waters’ Studiogitarrist hat ebenfalls eine Karriere vor sich und schreibt als Buddy Guy Musikgeschichte, auch wenn es zunächst nicht danach aussieht: Als „Hired Gun“ für Chess Records spielt er an der Seite von Größen wie Waters, Howlin’ Wolf, Little Walter, Sonny Boy Williamson und Koko Taylor. Anschließend arbeitet er als LKW-Fahrer, nur abends spielt er Konzerte. Erst während des erneuten Blues-Booms in den Achtzigern (siehe Stevie Ray Vaughan weiter unten) erlebt Guy einen zweiten Frühling. Den Startschuss dafür liefert unter anderem Eric Clapton, der den alten Hasen zu seiner 24-Nights-Show in die Royal Albert Hall einlädt. Guys Stil wird aus geografischen Gründen gerne dem Chicago Blues zugeordnet, doch das wird seinem facettenreichen und experimentellen Spiel nicht gerecht.
Anspieltipps: Mustang Sally, Feels Like Rain, Damn Right, I’ve Got The Blues, What Kind Of Woman Is This?, Mary Had A Little Lamb
Alexis Korner
Mit dem Blues kommt Alexis Korner durch den Zweiten Weltkrieg in Kontakt und entdeckt die Musikrichtung im Radio. „Von da an wollte ich ihn spielen“, erzählt er später in einem Interview. Mit seiner Begeisterung steckt er eine ganze Generation an. So gehört er zwar sicher nicht zu den kommerziell erfolgreichsten Musiker*innen des 20. Jahrhunderts, ganz bestimmt aber zu den wichtigsten. Als Schlüsselfigur der britischen Blues-Szene ebnet er nicht nur John Mayall, sondern auch Eric Clapton und den Rolling Stones den Weg. Am 1. Januar 1984 erliegt Korner einer Krebserkrankung.
Anspieltipps: 3/4 A.D., Get Off My Cloud, Early In The Morning, Chicken Shack, Sweet Home Chicago
Eric Clapton
Eric Clapton gilt völlig zurecht als einer der wichtigsten und einflussreichsten Gitarristen*innen aller Zeiten. Nicht nur als Solokünstler, sondern auch mit Gruppen wie Cream und The Yardbirds schreibt er Musikgeschichte. Phasenweise gehört er zur Band von Brit-Blues-Legende John Mayall. Ganze 18 Grammys erhält Clapton im Lauf seiner Karriere und ist als einziger Musiker gleich dreimal in der Rock And Roll Hall Of Fame vertreten. Wie kaum ein*e andere Künstler*in prägt er den Begriff des Gitarrengottes. Dabei wechselt er zu Yardbird-Zeiten ganz bodenständig eigenhändig die Saiten, die ihm bei der Show reißen. Das Publikum applaudiert währenddessen, ganz langsam. Dadurch erhält Clapton seinen Spitznamen „Slowhand“.
Anspieltipps: Five Long Years, Cocaine, Crosscut Saw, Riding With The King, Time For A Change
Stevie Ray Vaughan
Stevie Ray Vaughan haben wir es zu verdanken, dass der Blues auch heute noch cool ist. Das war zu Beginn der Achtziger nämlich so gar nicht der Fall. Vaughan lässt sich davon nicht beirren und entwickelt sich zu einem der besten Gitarristen aller Zeiten, wird mit Preisen überhäuft und verhilft dem Blues mit seiner Leidenschaft zu einem furiosen Comeback. Auch lange nach seinem Tod durch einen Helikopterabsturz im Jahr 1990, nennen Künstler wie John Mayer und Kenny Wayne Shepherd ihn als wichtigen Einfluss.
Anspieltipps: Pride And Joy, Texas Flood, Tin Pan Alley (AKA Roughest Place In Town), Lenny, Life By The Drop

Popkultur
Zeitsprung: Am 26.3.1990 hat Gary Moore immer noch den Blues.
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 26.3.1990.
von Christof Leim
Ein Rocker entdeckt den Blues: Den guten Namen hat Gary Moore sich mit knackigem Hard Rock und sogar Jazz Fusion erspielt. Seinen größten Hit landet er jedoch am 26. März 1990 mit Still Got The Blues, einem geschmackvollen Blues-Album. Für die prägnanteste Stelle fängt er sich allerdings eine Plagiatsklage ein…
Hier könnt ihr Gary und seine alte Liebe hören:
Alte Liebe rostet nicht: Auf dem Cover von Still Got The Blues sehen wir einen kleinen Jungen in seinem Zimmer, die viel zu große Les Paul auf den Knien, einen Übungsverstärker vor sich und Jimi Hendrix‘ Konterfei an der Wand. Die Rückseite der Platte zeigt die gleiche Szenerie – nur diesmal mit einem erwachsenen irischen Gitarrenhelden, irgendwo in einem Hotelzimmer, mit einer Dose Bier und einem angebissenen Hamburger vom Zimmerservice. Auf seinem Schoß eine Les Paul, vor ihm der gleiche Marshall-Combo, und auf dem Boden liegt wieder ein Album von John Mayall…
Zurück zu den Ursprüngen
Der Blues ist eben immer noch da für Gary Moore, als er 1990 eine neue Phase seiner Karriere einläutet. Vorher hatte sich der irische Sänger und Gitarrist in härteren Rock-Gefilden herumgetrieben: So spielt er nach Skid Row (der irischen Variante), einigen Soloalben und sogar einem mehrjährigen Jazz-Fusion-Ausflug mit Colosseum II etliche Jahre bei den immergrünen Thin Lizzy, bevor er 1979 endgültig unter eigenem Namen durchstartet. Mit Alben wie Run For Cover (1985), dem keltisch gefärbten Wild Frontier (1987) und After The War (1989) etabliert er sich als Hard-Rock-Flitzefinger, der zeitgemäß schreddern kann und mitunter die Haare so hübsch hochtoupiert trägt wie die sonstigen Helden der Zeit. Immerhin: Moore kriegt in der Regel noch ein kleines bisschen mehr Geschmack in seinen Ton als die meisten anderen.
Mit 38 Jahren besinnt er sich auf seine Wurzeln, den guten alten Blues, die Ursuppe allen Rockens. „Ich liebe den Blues seit den Sechzigern“, erklärt er in einem Radiointerview mit SWR3. „Mit der 13 oder 14 habe ich zum ersten Mal John Mayall & The Blues Breakers gehört, mit Eric Clapton an der Leadgitarre. Schon der erste Song All My Love hat mein Leben auf einen Schlag verändert. Ich habe noch eine Gitarre so klingen hören.“
Rock-Sound im Zwölftakter
Dabei deckt der damals in Großbritannien lebende Ire das ganze Spektrum des Genres ab, von getragen bis flott, aber immer in zeitgemäßer Produktion – und bei Gelegenheit durchaus noch ziemlich rockend. Er selbst gibt dazu gegenüber SWR3 zu Protokoll: „Damals spürte man den Einfluss der letzten zehn Jahre in meinem Gitarrensound und meiner Spielweise.“ Das Ergebnis sind vor allem in den rockigen Songs feurige Gitarreneinsätze, die bei aller Authentizität und Werktreue das entscheidende Quäntchen an zusätzlicher Energie rüberbringen.
Der Höhepunkt der Platte liegt zweifelsohne im Titelstück Still Got The Blues (For You), einem getragenen Schmachtfetzen im 6/8-Takt und einer wundervoll einprägsamen Gitarrenmelodie. Damit erinnert die über sechs Minuten lange Nummer an Parisienne Walkways, der Kollaboration mit Phil Lynott (Thin Lizzy) von 1978, und beschränkt sich nicht auf das grundlegende Zwölf-Takt-Schema des Blues. Das Stück wurde zum Welthit und Moores größtem Erfolg. Auch Jahrzehnte später funktioniert der Song noch hervorragend und läuft regelmäßig im Radio, sogar Eric Clapton höchstselbst hat ihn 2013 auf seinem Album Old Sock als Tribut an den 2011 verstorbenen Moore aufgenommen.
Versehentlich geklaut
Besagte Hookline allerdings erweist sich als Problem: 1974 hatte eine deutsche Progressive-Rock-Band namens Jud‘s Gallery ein Instrumental mit dem Titel Nordrach geschrieben, in dem exakt die Akkordfolge und Anfangsmelodie von Still Got The Blues (For You) zu hören sind. Das Münchner Landgericht gibt deshalb 2008 nach acht Jahren der Auseinandersetzung der Plagiatsklage von Jürgen Winter Recht, dem Chef von Jud‘s Gallery. Das Mysteriöse dabei: Nordrach war bis zum Zeitpunkt der Entstehung von Still Got The Blues nie veröffentlicht worden, sondern wurde nur live gespielt, darunter bei einer Aufzeichnung im SWF-Studio in Baden-Baden im März 1974. Kurz gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Klampfer aus Irland solch obskure Werke kennt, scheint gering. Das Gericht jedoch geht davon aus, dass Moore den Song im Radio oder auf der Bühne gehört haben könnte. Ein Radiobeitrag von SWR3 berichtet sogar, Moore habe in den Siebzigern in Deutschland gelebt und sei auf Konzerten von Jud‘s Gallery gesehen worden. Ob das stimmt, bleibt juristisch jedoch unerheblich, denn der Plagiatsvorwurf hängt nicht davon ab, ob die Passage tatsächlich bewusst kopiert wurde.
Allerdings erweist sich eben jene Akkordfolge als Standard, der in der Musikgeschichte schon unzählige Male vorgekommen ist (ein so genannter „Quint-Fall“), während die Melodie sich schlicht an Grundtönen orientiert. Sogar im Jazz-Standard Autumn Leaves oder Lionel Richies Hello wäre sie zu finden, schrieb die Süddeutsche seinerzeit. Ob Moore nun absichtlich geklaut hat (unwahrscheinlich), ein phänomenales, wenngleich unterbewusstes Melodiegedächtnis besitzt (denkbar) oder schlicht über die gleichen Akkorde stolperte (vermutlich) – ohne seinen Ton wäre Still Got The Blues (For You) nie so gelungen. Beide Parteien einigen sich schließlich außergerichtlich: Moore zahlt Winter eine nicht veröffentlichte Summe an Schadenersatz und darf dafür weiter die Urheberschaft von Still Got The Blues (For You) für sich beanspruchen.
Neues und Altes in blau
Als Gast beim A.C. Williams-Klassiker Oh Pretty Woman spielt Blues-Legende Albert King mit. Seine coolen, cleanen Licks stehen in einem interessanten Gegensatz zu den sportlichen Hard-Rock-Soli von Gary Moore mit wesentlich mehr Verzerrung und Flitzefingerei. Die beiden Herren haben jedoch Spaß zusammen, wie der Videoclip zu dem als Single ausgekoppelten Song zeigt: Der Ire schmeißt sich in 1a-Gitarrenhelden-Posen, der Amerikaner raucht entspannt Zigarre – und beide lachen.
Bei Too Tired darf die Bläsersektion mit swingenden Einwürfen ran, dazu liefert sich Moore nette Wechselspiele mit einem weiteren Veteran: Albert Collins. Geschrieben hat das Stück einst Johnny Guitar Watson, den genau das Schicksal ereilte, welches Lemmy von Motörhead dieser Tage für sich quasi ankündigt: Er verstarb 1996 auf der Bühne. Aber das ist eine andere Geschichte (die ihr hier lesen könnt).
Beeindruckende Gästeliste
Ein Höhepunkt der Platte findet sich in King Of The Blues, einer klassisch strukturierten Moore-Komposition mit vielen netten Licks des Meisters und herrlichen Bläsern. Erzählt wird die Lebensgeschichte von Albert King, der auch namentlich im Text genannt wird, aber ausgerechnet bei der Nummer nicht mitspielt. Dafür zeigt Thin-Lizzy-Mann Brian Downey, dass er den Swing besitzt, den man für Blues braucht, der aber auch jede gute Hard-Rock-Band besser macht.
Sogar ein echter Beatle mischt mit: That Kind Of Woman stammt aus der Feder von George Harrison, der zu diesem netten Nümmerchen Slide- und Rhythmusgitarren beisteuert. Mit dem Urheber von Stop Messin‘ Around schließlich verbindet Gary Moore eine Menge: Peter Green von Fleetwood Mac nahm dereinst in Dublin den jungen Hoffnungsträger ein wenig unter seine Fittiche und beeinflusste ihn nicht unwesentlich.
Lohnender Stilwechsel
Die stilistische Umorientierung lohnt sich jedenfalls: Was ein einmaliger Ausflug sein sollte, avanciert zum größten Erfolg in der Karriere von Gary Moore und verkauft in den USA mehr als alle anderen seiner Werke. 1995 erhält er dafür eine Gold-Auszeichnung, ebenso erreicht die Single Still Got The Blues (For You) erreicht hohe Positionen und zum ersten Mal die Top 100 in den USA. Hierzulande geht die Scheibe fast eine halbe Million mal über die Tresen.
Geschmack, Stil und feurige Gitarre: Gary Moore 1990. Foto: George Bodnar
Man könnte sogar argumentieren, dass Gary Moore sich mit diesem stilistischen Wandel dem Untergang entzogen hat, dem viele Hard-Rocker und Sportgitarristen der Achtziger angesichts der Grunge-Welle entgegen sahen. Moore bleibt dem Blues fortan von wenigen Ausnahmen abgesehen treu und spielt weitere Platten in diesem Stil ein. Denn alte Liebe rostet nun mal nicht: „Durch dieses Album und den Song habe ich viele neue Fans gewonnen“, gibt er später zu Protokoll. „Aber deswegen habe ich sie nicht aufgenommen, es war die Musik selbst, die mich dorthin geleitet hat. Da fühle ich mich zu Hause.“
Zeitsprung: Am 30.9.1978 veröffentlicht Gary Moore „Back On The Streets“.
Popkultur
Zeitsprung: Am 25.3.2015 fährt James Corden Mariah Carey zur Arbeit
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 25.03.2015
von Victoria Schaffrath und Christof Leim
„Danke dir, dass du mir mit dem Weg zur Arbeit hilfst. Der Verkehr ist echt übel“, murmelt James Corden da beiläufig Richtung Beifahrersitz. „Ich weiß, es ist unerträglich“, erwidert keine Geringere als Mariah Carey. Am 25. März 2015 startet mit diesem Dialog Carpool Karaoke, die Kultsequenz aus Cordens Late Late Show. Sehen wir uns die Höhepunkte des Formats an.
Schaut euch hier alle Folgen von Carpool Karaoke an
Als James Corden am 23. März 2015 die Late Late Show von Brit-Kollege Craig Ferguson übernimmt, kennt ihn in Amerika kaum jemand. Der Schauspieler und Komödiant hatte sich zwar in Großbritannien einen Namen machen können, doch das Scheinwerferlicht in Kalifornien wirft größere Schatten. Corden weiß, dass er sich beweisen muss. So zieht er zwei Tage nach Amtsantritt ein Ass aus dem Ärmel.
Fahrgemeinschaft 2.0
Der junge Brite importiert ein Format, dass er erstmals für die britische Wohltätigkeitsveranstaltung Red Nose Day 2011 umgesetzt hatte: Da beorderte er George Michael in ein Auto, kurvte mit ihm durch London und trällerte gemeinsam mit dem Sänger dessen Hits. Michael entpuppte sich dabei als charmanter Partner, Corden als kompetenter Gastgeber. Zum Auftakt der US-Show muss also ein ähnlich hochkarätiger Gast her.
So kommt es, dass zwei Tage nach der „British Invasion“ des Abendprogramms Weltstar Mariah Carey in einen LA-typischen SUV steigt. Zunächst kokettiert sie noch, sie könne nach einer durchzechten Nacht nicht mitsingen, aber dann sprengt plötzlich ihr Schmettergesang die Autoscheiben. Dass Corden eine absolut passable zweite Stimme hinbekommt, sorgt bei Stücken wie Always Be My Baby, Fantasy, Thirsty und Vision Of Love mitunter für Ansätze von Gänsehaut.
Erfolgsformel Menschlichkeit
Der Sympath erklärt den durchschlagenden Erfolg des Segments (und demzufolge auch der gesamten Show) recht einleuchtend: „Da schwingt eine Einfachheit und Intimität mit. Einen Star solchen Kalibers in der gleichen Umgebung zu sehen, in der du und ich sonst auf dem Weg zur Arbeit singen, macht ihn menschlich.“
Logisch, dass danach nicht nur Musiktreibende auf Promotour, sondern ganze Musical-Besetzungen mit Corden „zur Arbeit fahren“ möchten. Die Videos, die im Netz häufig viral gehen, bringen so ungewöhnliche Partnerschaften wie Rod Stewart und Rapper ASAP Rocky oder Michelle Obama und Missy Elliott hervor. Ob oberkörperfreie Red Hot Chili Peppers, die Foo Fighters, Paul McCartney oder den gefiederten Elton John: Auch die großen Namen des Rock holt sich Corden gern dazu.
Bei so viel Prominenz lassen die Starallüren nicht zu wünschen übrig: Berufsprovokateur Kanye West sagt gleich mehrfach hintereinander kurzfristig ab und macht aus dem SUV mal eben eine Boeing; zwischen Corden und Dave Grohl gibt es nach der Ausstrahlung ein kleines Missverständnis. Immerhin rettet Anthony Kiedis laut eigenen Angaben während der Dreharbeiten einem Säugling das Leben. Das ist dann doch etwas mehr Aufruhr, als wir morgens auf dem Weg zur Arbeit ertragen könnten.
Zeitsprung: Am 2.3.2014 knipst eine YouTuberin David Gilmour – ohne es zu wissen.
Popkultur
Review: „Das ist los“ von Herbert Grönemeyer ist genau das Album, das wir jetzt brauchen
Herbert Grönemeyer schenkt uns auf Das ist los sinnstiftende Lieder über die Liebe und den Zusammenhalt. Ob er die Gesellschaft damit kitten kann, ist fraglich. Doch alleine der Versuch verdient Hochachtung.
von Björn Springorum
Hier könnt ihr Das ist los hören:
Herbert Grönemeyer veröffentlicht keine Alben. Herbert Grönemeyer veröffentlicht Bestandsaufnahmen. Seines Lebens, aber auch von unser aller Leben. Immer wenn eine neue Platte von Deutschlands größtem und erfolgreichsten Künstler erscheint, so wirkt es, kommt sie genau zur rechten Zeit. Seine Lieder sind Salben für die Wunden, die wir uns seit seinem letzten Album zugezogen haben, zumeist stille und zurückhaltende Gebäude, in denen wir Schutz suchen können.
„Hoffnung ist gerade so schwer zu finden“ lautet dann auch der erste Satz des Albums. Er stammt natürlich aus der Lead-Single Deine Hand, mit der Grönemeyer schon vor einigen Monaten begeistern konnte. Eine einfühlsame Ode an Liebe, Freundschaft und Zusammenhalt – wie viele seiner Songs sowohl im Mikrokosmos als auch im Makrokosmos zu sehen. Es geht um tatsächliche Partnerschaft, aber auch um den universellen Zusammenhalt. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass wir das als Gesellschaft dringend nötig haben.
Nur ein Gutmensch?
Fünf Jahre nach Tumult ist die Welt noch viel tumultartiger geworden. Da braucht es große Künstler, die mit Ruhe, Reflexion und Besonnenheit aufarbeiten, was da eigentlich mit uns und der Welt passiert ist in diesen irren letzten Jahren. Sicher kann man das abtun, verunglimpfen als onkelnde Ratschläge vom alten weißen Mann, als Motivationscoach mit nasaler Stimme. Damit macht man es sich aber zu einfach. Grönemeyer polarisiert, und das schon sehr lange. Die einen echauffieren sich darüber, dass er ja gar nicht singen (geschweige denn tanzen) kann, die anderen halten ihn für einen aufdringlichen Gutmenschen mit Moralkomplex und biederen Thesen. Gutmensch – wie so ein Wort überhaupt zu einer Beleidigung werden konnte, sagt ja auch sehr viel.
Manchmal spielt er seinen Kritiker*innen in die Karten auf diesem Album. Der Titelsong zum Beispiel erinnert eher an Bierzelt oder Schlagerfestival – trotz seines cleveren, defragmentierten Textes, der den Informations-Overkill der heutigen Zeit versinnbildlichen soll. Doch die großen Momente gehören eh den Balladen, das ist bei Grönemeyer schon lange so. Tau zum Beispiel, ein Lied, umrankt von Trauerflor. Der Rest ist mal flott und tanzbar, mal umgarnt von Vintage-Elekronik, mal elegisch mit Streichern.
Songs, die Mut zuflüstern
Um Tod, Verlust und Trauer geht es auch auf Das ist los. Aber nicht als Fixpunkt, sondern als Unausweichlichkeiten des Lebens. Überwiegend möchte Grönemeyer uns stärken, uns Mut zuflüstern, uns als Ganzes wieder zusammenbringen. Man darf sich fragen, wieso ihm das so wichtig ist, warum er denkt, dass ausgerechnet er als Messias zu uns singt. Man darf sich aber auch fragen, warum es sonst niemand tut. Das ist los zeigt uns, dass wir nicht aufgeben sollten, nicht verzagen sollten, nicht den Ist-Zustand beibehalten sollten. Stattdessen sollen wir „Raus in den Sturm“, wie es im dringlichen Genie heißt, rein ins Leben, in die Verantwortung.
Diejenigen, die ihn bisher schon als Gutmenschen abkanzelten, werden sich darauf stürzen und ihn in der Luft zerreißen. Dabei sind es gerade diejenigen, die hier mal genau hinhören sollten. Das ist los ist nicht das beste Grönemeyer-Album, wahrscheinlich nicht mal Top fünf. Es ist aber mal wieder mal genau das Album, was wir jetzt brauchen. Und allein dafür gebührt im Hochachtung.
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